Auch dieses Blatt zeigt die charakteristische, schwungvolle Handschrift Giovanni Battista Piranesis. An der Zeichnung selbst waren wohl unterschiedliche Mitarbeiter seiner Werkstatt tätig. Dargestellt sind zwei Kapitelle, das eine streng von der Seite, das andere in leichter Unteransicht, als sei es gekippt worden. An seiner Unterseite ist sogar die Einkerbung zur Befestigung auf einer Säule zu sehen. Die zwei fingerförmigen Motive links unten sind Detailstudien für die Kanneluren (senkrechte Rillen) der Säule, deren Ansatz unter dem darüber gezeichneten Kapitell zu sehen ist.
Werkdaten
Künstler
Giovanni Battista Piranesi (1720–1778) (?) und/oder Zeichner der Piranesi-Werkstatt
Ort und Datierung
Rom, vor 1773
Abmessungen (Blatt)
195 x 379 mm
Inventarnummer
IX 5159-35-34-1
- Zeichenmedien
Schwarze Kreide über Graphit mit Korrekturen in Rötel
- Beschriftungen
In der Handschrift von Giovanni Battista Piranesi am oberen Rand links in schwarzer Kreide bezeichnet: „dal Principe Pio“
- Literatur
Georg Kabierske: A Cache of Newly Identified Drawings by Piranesi and His Studio at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Master Drawings 53, 2015, S. 147–178, hier S. 155, Abb. 11 und S. 167, Abb. 30.
- Hadernpapier
Vergé, italienische Herstellung (vermutlich in den Marken oder Umbrien, Pioraco oder Foligno); Zeichnung vermutlich auf der Filzseite; weitere Informationen siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Aufriss des Herkulestempels in Cori (Fragment)
Das Werk im Detail
- Kurzbeschreibung
Das Blatt zeigt zwei nebeneinander angeordnete antike Kapitelle, die überwiegend in Graphit und schwarzer Kreide gezeichnet sind. Während das rechte Kapitell perspektivisch in Unteransicht als dreidimensionales Objekt dargestellt wurde, ist das linke kleiner und nur in zweidimensionaler Vorderansicht wiedergegeben. Gezeichnet wurden sie auf einem Makulaturpapier, dessen fragmentarisch überlieferte heutige Rückseite (IX 5159-35-34-1v) als Vorstudie für Tafel 6 in der 1764 erschienenen Serie Antichità di Cora diente. Diese beiden Kapitelle entstanden anschließend, als das Papier umgedreht und erneut bezeichnet wurde. Möglicherweise hat man es schon damals auf die jetzige Größe beschnitten. Die Kapitelle wurden schließlich in der 1773 (laut Katalog von 1792) erstmals gedruckten Tafel 88 der Vasi, candelabri zusammen mit anderen Elementen antiker Bauornamentik abgebildet (Abb. 1).
Abb. 1: Giovanni Battista Piranesi, Darstellungen antiker Bauornamentik mit den Kapitellen aus dem Palazzo Orsini Pio Righetti (rot markiert), Radierung, 1773, in: Vasi, candelabri, Taf. 88, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.696
©Museumslandschaft Hessen Kassel, 2020, CC BY-NC-SA 3.0Dass die Zeichnungen dabei als Vorstudien dienten, legt auch die jeweils weitgehend übereinstimmende Größe nahe. In der Handschrift von Giovanni Battista Piranesi sind sie mit der Ortsangabe „dal Principe Pio“ beschriftet. Im Druck ist diese mit Bezug zu beiden Objekten über dem kleineren Kapitell ausführlicher angegeben als „Capitello nel giardino del Palazzo Pio, a campo di fiore. L’altro A si vede nello stesso luogo“,[1] (Kapitell im Garten des Palazzo Pio, am Campo di Fiore. Das andere A ist an der gleichen Stelle zu sehen) (Abb. 2). Dabei handelt es sich um den Palazzo Orsini Pio Righetti in Rom; ob die Kapitelle dort noch vorhanden sind, ist unklar.
Abb. 2: Vergleich des kleineren Kapitells in Giovanni Battista Piranesi, Darstellungen antiker Bauornamentik mit den Kapitellen aus dem Palazzo Orsini Pio Righetti, Radierung, 1773, in: Vasi, candelabri, Taf. 88 (Ausschnitt), Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.696
©Museumslandschaft Hessen Kassel, 2020, CC BY-NC-SA 3.0 und der Zeichnung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, IX 5159-35-34-1 (Ausschnitt)Auf dem Karlsruher Blatt wurde das Palmettenmotiv des rechten Kapitells an einigen Stellen kräftig in schwarzer Kreide überarbeitet, offenbar um die Konturen zu verstärken. In Rötel wurde die perspektivisch verkürzte Abakusplatte ein Stück nach hinten verlängert, im Druck sogar noch etwas erweitert (Abb. 3), sowie die an deren Unterseite angebrachte linke Rosette präzisiert. Am linken Kapitell hat man lediglich die Zahl acht in eine der mittleren Kanneluren des Säulenansatzes in Rötel eingetragen. Dabei handelt es sich vermutlich um eine knappe Notiz, um sich der Anzahl dieser ornamentalen Einkerbungen für die Übertragung in den Druck zu vergewissern, die in jeder Hälfte zu acht Stück vorhanden sind. Ein ähnliches Vorgehen lässt sich bei der Zeichnung des Albano-Altars beobachten, an dessen oberem Rand die Unterteilungen des Mäanderfrieses durchnummeriert wurden (IX 5159-35-47-1, siehe Zeichnerischer Prozess). Außerdem wurden zwei einzelne Kanneluren etwas vergrößert am unteren Blattrand wiederholt. Dieses Verfahren ist auch bei den großformatigen Vasen- und Kandelaberzeichnungen zu beobachten, die wie die Kapitelle in den Vasi, candelabri Verwendung fanden (siehe zum Beispiel IX 5159-35-46-1, IX 5159-36-30-1). Im Druck wurde dieser Säulenschmuck schließlich mit Beschädigungen inszeniert, die in der Zeichnung noch nicht vorhanden sind.
Abb. 3: Vergleich des großen Kapitells in der Zeichnung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, IX 5159-35-34-1 (Ausschnitt) und Giovanni Battista Piranesi, Darstellungen antiker Bauornamentik mit den Kapitellen aus dem Palazzo Orsini Pio Righetti, Radierung, 1773, in: Vasi, candelabri, Taf. 88 (Ausschnitt), Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.696
©Museumslandschaft Hessen Kassel, 2020, CC BY-NC-SA 3.0Nicht einfach zu lösen ist die Zuschreibungsfrage. Einerseits ist das Blatt eindeutig von Giovanni Battista Piranesi beschriftet, und ebenso könnten die Korrekturen in Rötel sowie die kräftige Überarbeitung der Palmetten in schwarzer Kreide auf seine Intervention zurückgehen. Auch bei den Vasen- und Kandelaberzeichnungen wäre dies denkbar. Andererseits dürften die Hauptzeichnungen nach unserem heutigen Verständnis eher von einem Werkstattmitarbeiter, vielleicht von einem der Kinder Piranesis, angelegt worden sein. Insbesondere bei der linken Studie fehlt das Zusammenspiel aus Präzision und Leichtigkeit, wie es für Piranesis eigenhändige Antiken- und Ornamentzeichnungen charakteristisch ist (siehe zum Beispiel IX 5159-35-19-5, IX 5159-35-30-5). Bei beiden Kapitellstudien wirkt die Linienführung der Palmettenmotive angestrengt und steif gezeichnet. Hingegen erkennt man zwischen den Palmetten der rechten Studie auch Zickzack-Schraffuren, wie sie ebenso in der Giovanni Battista Piranesi zuzuschreibenden Zeichnung von drei Konsolen mit Meerwesen zu beobachten sind (IX 5159-35-33-3). Das obere Exemplar fand gleichfalls, wenn auch seitenverkehrt und detaillierter ausgearbeitet, links unten auf Tafel 88 der Vasi, candelabri Verwendung.
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Der Buchstabe „A“ ist Teil der Bildlegende und bezieht sich auf das am unteren Rand des Drucks dargestellte größere Kapitell.
- Merkmale des Papiers
Wasserzeichen
Lilie im Kreisring, darüber das Monogramm "CB"
Belege
Andrew Robison: Piranesi: Early Architectural Fantasies. A Catalogue Raisonné of the Etchings, Washington 1986, S. 221–224, Nr. 33–40 (Varianten, 1760–1780er Jahre); Edward Heawood: Watermarks Mainly of the 17th and 18th Centuries, Hilversum 1950, Tafel 218, Nr. 1598 (Variante, in: Agostino A. Georgi: Alphabetum Tibetanum, Rom 1762).
Sammlungen
Karlsruher Alben:
Nahe Varianten: IX 5159-35-14-3; IX 5159-35-17-3; IX 5159-35-29-3; IX 5159-35-34-1.
Varianten: IX 5159-35-4-1; IX 5159-35-5-2; IX 5159-35-33-1; IX 5159-35-35-2; IX 5159-35-39-1; IX 5159-35-42-1; IX 5159-35-43-1; IX 5159-36-19-1; IX 5159-36-20-1.
New York, Morgan Library & Museum:
Nahe Varianten: Studies from the Antique with Rams' Heads, Barbarian Trophies, and Figures of Victory, Acc. No. 1955.11:34; Design for a Mantelpiece with Masks on Lintel, a Bird on Jamb and a Rabbit on the Other, Acc. No. 1966.11:66.
Varianten: Design for mantelpiece with a vase between volutes, Acc.-No. 1966.11:84; Three Figures and Architectural Details, Acc. No. 1950.9
Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz:
Varianten: Le Antichità Romane: Opera Di Giambatista Piranesi Architetto Veneziano Divisa In Quattro Tomi, Bd. 1: De'quali si contengono gli avanzi degli antichi edifizj di Roma… Rom 1756, Sign. gr.-2" Nw 4581-1: R, Taf. 11 und 17; Bd. 4: Contenente I Ponti Antichi Gli Avanzi De' Teatri De' Portici E Di Altri Monvmenti Di Roma, Rom 1756, Sign. gr.-2" Nw 4581-4: R, Taf. 8
Herstellungsmerkmale
Ungefärbt; hohe Stärke; wenig nachgiebig; ungleichmäßige Stoffverteilung; prägnante Filzmarkierung (Details 2, 3, Streiflicht); im Reflexlicht deutlicher Oberflächenglanz (manuell geglättet).
Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Graphit (Details 1, 3, 4): In der Gesamtsicht graues bis schwarzes Erscheinungsbild; weitgehend leichter Auftrag mit geringfügigen Ablagerungen weitgehend auf den Erhebungen der Papieroberfläche; im Reflexlicht glänzend.
Detail 1a: Auflicht
GraphitauftragDetail 1b: Close-upGraphitauftrag; Glanz (siehe auch gleiche Stelle in UVR) Detail 2a: Auflicht
Schwarze Kreide; streifiger Strich (Beschriftung)Detail 2b: Streiflicht
Schwarze Kreide; streifiger Strich (Beschriftung)Detail 3a: Auflicht
Schwarze Kreide in unterschiedlicher Auftragsstärke über GraphitDetail 3b: Streiflicht
Schwarze Kreide in unterschiedlicher Auftragsstärke über GraphitDetail 3c: Close-up
Schwarze Kreide über Graphitlinien (an Glanzpunkten erkennbar)Schwarze Kreide (Details 2, 3, 4): streifiger Auftrag; unterschiedlich deckender (Detail 2), in stark akzentuierten Bereichen tiefschwarzer Auftrag (Details 3–4), furchige Linien.
Detail 4a: Auflicht
Schwarze Kreide in unterschiedlicher Auftragsstärke über GraphitDetail 4b: Close-up
Schwarze Kreide über Graphitlinien (an Glanzpunkten erkennbar)Rötel (Detail 5): stark verwischt, wenig aufliegendes Pigment.
Detail 5: Auflicht?
Überarbeitung in Rötel über schwarzer KreideNicht zu der Entstehung der Zeichnung gehörige Farbmittel: Von der Rückseite braun durchgeschlagenes flüssiges Farbmittel, löscht UV-Strahlung aus (eisenhaltige Tinte; UVF, Abb.;).
Maria Krämer
- Zeichnerischer Prozess
Dieses Blatt vereint recto und verso zwei Vorzeichnungen für Piranesis Druckwerk. Die vorderseitige Zeichnung ist in gleicher Größe und seitenrichtig in Vasi, candelabri abgebildet (WE 981). Flächige Öleinwirkung von der Abnahme der Zeichnung mittels Ölpause erschwert die Interpretation der Zeichenmedien. Wahrscheinlich wurde der Großteil der Zeichnung in Graphit ausgeführt, der an einigen unüberarbeiteten Bereichen identifizierbar ist (Abb. 4), beispielsweise an allen mit dem Lineal gezogenen Linien und in Bereichen des Zierwerks, so etwa am linken Säulenkapitell im linken Teil des Kymas.
Abb. 4: Unüberarbeitete Bereiche in Graphit (erscheinen im Reflexlicht spiegelnd), daneben Überarbeitungen in schwarzer Kreide Die Zeichnung wurde großzügig mit schwarzer Kreide überarbeitet, besonders akzentuiert zeigt sich dies in der mittigen Auswölbung des rechten Kapitells. Die Beschriftung oben links wurde ebenfalls in schwarzer Kreide beigefügt. Es gibt wenige Überarbeitungen in Rötel, etwa an der vierblättrigen Blüte an der linken vorderen Ecke des zentralen Kapitells, die ohne Korrektur nachgefahren wurde. Die rechte Kante des Kämpfers wurde in Rötel verlängert, was auch für die Radierung übernommen wurde.
Maria Krämer
- Merkmale historischer Nutzung
Die Zeichnung erscheint mit einigen Abweichungen größengleich mit dem Druck in den Vasi, candelabri. Von beiden Seiten des Blattes aus sind flächige Verbräunungen sichtbar, die durch UV-Anregung gelblich fluoreszieren ( UVF, Abb.), ein Hinweis auf den Kontakt mit geöltem Papier. Deformationen des Papiers zwischen den paarigen Stecknadeleinstichlöchern zeigen, dass Stecknadeln von beiden Seiten aus befestigt wurden, was als weiteres Indiz für das Übertragen beider Zeichnungen mit geöltem Papier gelten kann.
Maria Krämer
Schlagwörter
- Vasi, candelabri
- Rötel
- Giovanni Battista Piranesi
- Piranesi-Werkstatt
- Italienisches Papier
- Schwarze Kreide
- Kapitell
- Lilie im Kreisring (Beizeichen: CB oberhalb)
- Graphit
- IX 5159-35-34-1
- Palazzo Orsini Pio Righetti
GND-Begriffe
Permalink | piranesi.kunsthalle-karlsruhe.de/de/werk/141/zwei-kapitellstudien
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