Giovanni Battista Piranesi war auch ein bedeutender Entwerfer für Innendekorationen. Dazu gehörten insbesondere seine zahlreichen Entwürfe für Kamine, die er 1769 als Radierungen in dem Werk Diverse maniere d’adornare i cammini (Verschiedene Arten, Kamine zu ornamentieren), publizierte. Dieses Blatt zeigt einige Detailstudien für derartige Kaminentwürfe. Durch Piranesis Freund, den schottischen Architekten Robert Adam (1728–1792) wurden sie insbesondere für die Innenausstattungen britischer Herrenhäuser von großer Bedeutung. Robert Adams Zeichnungen aus Rom erläutert der Essay “Die Alben der Brüder Adam im Sir John Soane's Museum”.
Werkdaten
Künstler
Unidentifizierter Zeichner der Piranesi-Werkstatt, Gruppe 8 und Giovanni Battista Piranesi (1720–1778), Gruppe 1
Ort und Datierung
Rom, um 1766
Abmessungen (Blatt)
244 x 313 mm
Inventarnummer
IX 5159-35-30-1
- Zeichenmedien
Feder in Braunschwarz (Eisengallustinte) und schwarzer Stift (Kreide) mit fetthaltigem Bindemittel; weitere Informationen siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Keine
- Literatur
Georg Kabierske: A Cache of Newly Identified Drawings by Piranesi and His Studio at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Master Drawings 53, 2015, S. 147–178, hier Abb. 42, S. 172f.
- Hadernpapier
Vergé; vermutlich italienische Herstellung; Zeichnung vermutlich auf der Filzseite; weitere Informationen siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Verwischte Abdrücke eines Farbmittels; parallele mit Lineal gezogene Linien
Das Werk im Detail
- Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung
Die auf zwei aufeinanderfolgende Seiten in das erste Klebealbum eingefügten Zeichnungen (IX 5159-35-30-1 und IX 5159-35-31-5) bildeten ursprünglich ein gemeinsames Blatt, das vermutlich mit Stecknadeln zusammengehalten wurde, deren Einstichlöcher noch sichtbar sind (siehe Prozesse historischer Nutzung) (Abb. 1). In unterschiedlichen Medien sind verschiedene dekorative Entwürfe dargestellt, die sich mit Giovanni Battista Piranesis Kaminentwürfen in Verbindung verbringen lassen.
Abb. 1: Detailstudien für drei Kamine und eine Tabula ansata, Montage aus den zwei separaten Blättern, vermutlich 1766, Feder in Braunschwarz (Eisengallustinte) und schwarzer Stift (Kreide), mit fetthaltigem Bindemittel, 244 x 313 mm und 332 x 96 mm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-30-1 u. IX 5159-35-31-5
Bildmontage: Maria Krämer, CC0 1.0Georg Kabierske
- Beschreibung und Komposition
Auf diesem Blatt sind – teilweise ineinander gezeichnet – drei Teile von Kaminstürzen und eine Tablua ansata zu sehen, die von einem auf einem Hippokampen (Mischwesen aus Pferd und Meerestier) reitenden Eroten bekrönt wird. Am oberen Blattrand, um 90° gedreht, ist ein mit wenigen Strichen nur leicht skizziertes Stück einer Kaminverkleidung zu erkennen, auf der eine dekorative Urne steht. Der in Eisengallustinte gezeichnete und mit verschiedenen Ornamenten dekorierte Eckteil eines Sturzes in der linken Blatthälfte könnte den Entwurf zu einem Kamin- oder Spiegelrahmen gebildet haben und wäre somit symmetrisch zur rechten Ecke zu ergänzen. Auch der große Kaminsturz in der unteren Blatthälfte ist nur zur Hälfte dargestellt, in seiner dekorativen Gestaltung aber wesentlich weiter ausgearbeitet. Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Hände beobachten, die eine schnell skizzierend, die andere eher auf eine sorgfältige Erfassung von Figuren bedacht. Die gedachte symmetrische Mitte des Kaminfrieses markiert ein konvexes Feld, in das ein von Schwänen gerahmtes Gorgonenhaupt gesetzt ist. An dieses zentrale Feld anschließend folgt rechts ein Eroten-Girlanden-Fries, der zur linken Seite gleichfalls zu ergänzen ist. Die Gestaltung des Frieses mit Porträtköpfen erinnert an antike Sarkophagreliefs.
Die rechts den Fries fortsetzende und hier zu ergänzende Kaminwange befindet sich auf einem separaten, vertikalen Blatt (IX 5159-35-31-5) und ist vollständig in dem skizzenhaften, schnellen und expressiven Duktus ausgeführt, der der Frieszeichnung in Teilen ebenfalls eigen ist. Auch motivisch setzt sich der Fries des Kaminsturzes fort, mit einem weiteren angedeuteten Porträtkopf sowie einer Girlande, die rechts in einem auf die Ecke gesetzten Bukranion endet. Darunter folgt ein auf Löwenfüßen stehender, konisch zulaufender Pfeiler, an dem seitlich Girlanden vertikal herabhängen. Am oberen Endes des Pfeilers ist eine stieropfernde Viktoria, auf den Feldern darunter sind ein Medaillon mit Büstenkopf, eine Elipsenform mit skizzenhaft wiedergegebener Figur, eine tabula ansata sowie weitere nur angedeutete Dekorformen zu erkennen. Mit Feder und Tinte ist zwischen den Pfeiler und die rechts herabhängende Girlande möglicherweise der Buchstabe „a“ geschrieben.
Georg Kabierske
- Einordnung in das Gesamtwerk Piranesis
Die beiden Zeichnungen (IX 5159-35-30-1 und IX 5159-35-31-5) entstanden im Kontext von Piranesis Kaminentwürfen, die er in den 1760er Jahren zeichnete. Einige wenige wurden dabei in Marmor als Kamineinfassungen für Auftraggeber ausgeführt, eine größere Anzahl 1769 im Stichwerk Diverse maniere d’adornare i cammini als Radierungen publiziert.[1] Piranesi entlehnte dabei dekorative Motive aus der ägyptischen, griechischen, etruskischen und römischen Kunst und stellte sie auf kreative Weise zu neuen Assemblagen zusammen. Er schuf damit eine immense Ornamentvielfalt, die, in den Radierungen publiziert, weiteren Künstlern als Inspirationsquelle für eigene Entwürfe dienen konnte. Darüber hinaus existieren aber auch Zeichnungen, die weder als Vorlage für eine Druckgraphik noch, soweit bekannt, als Entwurf für ein real ausgeführtes Ausstattungsstück dienten. Von den hier vorliegenden Zeichnungen wurde lediglich das Motiv mit Medusenhaupt und Schwänen in einem radierten Kaminentwurf von Piranesi aufgegriffen, und zwar auf Tafel 48 der Diverse maniere, wo es ebenfalls in der Mittelachse eines Sturzes eingesetzt ist (Abb. 2).
Abb. 2: Giovanni Battista Piranesi, Kaminentwurf, Radierung, in: Diverse maniere, Rom 1769, Taf. 48, Museumslandschaft Hessen Kassel, SM-GS 6.2.692
CC BY-NC-SA 3.0Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Siehe weiterführend William Rieder: Piranesi’s Diverse maniere, in: The Burlington Magazin 115, 1973, S. 308–317; John Wilton-Ely: Piranesi as Architect and Designer, New York/New Haven/London 1993, S. 121–165; Heather Hyide Minor: G. B. Piranesi’s „Diverse maniere“ and the Natural History of Ancient Art, in: Memoirs of the American Academy in Rome 56/57, 2011/12, S. 323–351.
- Ableitung, Rezeption und Dissemination
Dennoch scheint dieser Karlsruher Kaminentwurf (IX 5159-35-30-1 und IX 5159-35-31-5) über das Stadium der Entwurfsskizze hinaus weiterentwickelt worden zu sein. So hat sich im vierten Klebealbum des englischen Architekten Thomas Hardwick (1752–1829) im Royal Institute of British Architects (RIBA) in London eine Zeichnung von Giuseppe Manocchi (1731–1782) erhalten, die eine leicht veränderte Version des Kaminentwurfes zeigt (Abb. 3).[1]
Abb. 3: Giuseppe Manocchi, Kaminentwurf nach Piranesi, 1766, schwarze Kreide, etwa 290 x 265 mm, London, Royal Institute of British Architects, Hardwick-Album VOS/5 f.26
© RIBA Collections, RIBA127520Der Fries im Kaminsturz ist hier verkürzt, es gibt nur zwei girlandentragende Eroten, die sich von der dazwischen eingesetzten und von einer Muschel hinterfangenen Büste abwenden. Diese Komposition wurde offenbar direkt aus dem mittleren Segment des Karlsruher Blattes übernommen, während die Posen der beiden Eroten leicht abgewandelt beziehungsweise gespiegelt sind. Der weitere Friesverlauf ist nur noch angedeutet, die zweite Girlande flüchtig skizziert und das Horn des abschließenden Bukranions im proportionalen Zusammenhang unklar positioniert. Als alternative Entwurfslösung setzte Manocchi außerdem die Wange des Kamins, die hier auf einer rechteckigen Basis zu stehen kommt, weiter nach innen, sodass sie mit dem rechten Eroten eine vertikale Achse bildet. Notizen in der Handschrift Manocchis auf der Rückseite des Blattes, die sich auf den November 1766 beziehen, legen nahe, dass die Zeichnung zu dieser Zeit oder auch kurz danach ausgeführt wurde. Damit ist auch ein Hinweis für die Datierung des Karlsruher Entwurfes gegeben: Er dürfte vor der Zeichnung Manocchis entstanden sein, d.h. kurz vor oder im Jahre 1766. Denn dem Karlsruher Blatt ist in seiner skizzenhaften Ausführung ein entwerfender Charakter eigen, während Manocchi seine Zeichnung weitaus determinierter und präziser im Sinne einer Nach- oder Reinzeichung anlegte.
Giuseppe Manocchi war im selben Umfeld wie Nicolas François Daniel Lhuillier (um 1736–1793) tätig. Auch er war ein Schüler von Charles-Louis Clérisseau (1721–1820) und fertigte in Rom für verschiedene Auftraggeber Ornamentzeichnungen an, die bislang nur ansatzweise bearbeitet wurden.[2] Wie auch im Fall von Lhuillier finden sie sich in den Klebealben der zahlreichen Architekten, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Rom aufgehalten haben. Die Zeichnungen reichen von skizzenhaften ornamentalen Details, Grotesken, antiken Friesen, Decken- und Kaminstudien in Feder bis hin zu sauber ausgearbeiteten, in Wasserfarben bunt angelegten Bauaufnahmen und Entwürfen von Decken im antiken wie renaissancezeitlichen Geschmack sowie Landschaftsstudien.
1763 wurde Manocchi von den Brüdern Robert und James Adam nach London geholt, um in deren Architekturbüro zu arbeiten.[3] Bislang wurde in der Forschung angenommen, er sei erst 1773 nach Rom zurückgekehrt. Diese Vermutung basiert offenbar auf einer ungenauen Aussage des Architekten George Richardson, der in seinem 1776 erschienenen Buch A Book of Ceilings, Composed in the Style of the Antique Grotesque angibt, Manocchi sei 18 Jahre lang für Adam tätig gewesen.[4] Karen Buttler konnte 2014 aber erstmals auf Grundlage eines Briefs von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800) und einer auf 1767 datierten und dem Botschafter von Malta gewidmeten Zeichnung einer antiken Decke im Hardwick-Album, Bd. 3, fol. 67 des RIBA, schlüssig nachweisen, dass Manocchi bereits zu diesem Zeitpunkt wieder in Rom gewesen sein muss.[5] 1769 war er bei Piranesi angestellt, wie aus einem Brief des Architekten James Byres (1733–1817) an John Stuart, 3. Earl of Bute (1713–1792) vom 20. Mai jenes Jahres hervorgeht: „Gioseppe Manocchi, who went to England with Mr. Adams and worked there sometime for him. but I believe ran away and left him. he is now under Engagements with Piranesi but has some hours of the day to himself which he employs in Painting in that way….”.[6]
Die Zeichnung nach dem Kaminentwurf Piranesis legt jedoch nahe, dass sich Manocchi bereits um den November 1766 oder bald darauf in Rom befand und offenbar schon zu diesem Zeitpunkt mit Piranesi zusammenarbeitete. In den Hardwick-Alben des RIBA befinden sich zudem weitere Kaminzeichnungen Manocchis, in denen Piranesis Entwürfe variiert werden. Möglicherweise reflektieren sie Manocchis Tätigkeit in der Piranesi-Werkstatt, die in der zweiten Hälfte der 1760er Jahre zu einer Zeit erfolgte, als die ab 1767 in Einzelblättern und 1769 vollständig publizierten Radierungen der Diverse maniere gerade in Vorbereitung waren.
Georg Kabierske und Stefan Morét
Einzelnachweis
1. Die Kaminzeichnung Manocchis im Royal Institute of British Architects (RIBA) konnte während einer gemeinsamen Forschungsaufenthalts 2016 durch Georg Kabierske, Maria Krämer und Stefan Morét identifiziert werden.
2. Vgl. Georg Kabierske: Römische Lehrjahre. Zum Zeichnen und Sammeln von Bauornamentik in Rom in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, 2 Bde., Universität München 2020, Masterarbeit (unpubliziert), S. 21–24.
3. Vgl. Karen Buttler (Bearb.)/Norbert Michels (Hg.): Sammeln und Zeichnen. Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff in Rom, Ausst. Kat. Dessau, Anhaltische Gemäldegalerie/Rom, Casa di Goethe, Petersberg 2014, S. 21.
4. Vgl. Sir Howard Colvin: Biographical Dictionary. in: Dana Arnold (Hg): Reading Architectural History, London [u.a.] 2002, S. 64.
5. Vgl. Karen Buttler (Bearb.)/Norbert Michels (Hg.): Sammeln und Zeichnen. Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff in Rom, Ausst. Kat. Dessau, Anhaltische Gemäldegalerie/Rom, Casa di Goethe, Petersberg 2014, S. 21.
6. Der Brief ist publiziert in: Francis Russel: John, 3rd Earl of Bute and James Byres: A Postscript, in: David R. Marshall/Susan Russel/Karin Wolfe (Hg.): Roma Britannica. Art and Patronage in Eighteenth Century Rome, London 2011, S. 128–130.
- Zuschreibungshypothesen
In den Karlsruher Kaminstudien (IX 5159-35-30-1 und IX 5159-35-31-5) sind mindestens zwei verschiedene Zeichenhände zu erkennen. Giovanni Battista Piranesi zuschreiben lassen sich die kraftvoll entworfenen, in schwarzem Stift skizzierten Elemente wie die Tabula ansata mit ihrer schemenhaften Füllung, die Rahmung der zentralen Kartusche im unteren Kaminsturz, die skizzenhaften Frieselemente sowie vor allem die zugehörige Wange auf dem heute separaten Blatt zuschreiben. Dieser Zeichenstil findet in weiteren Kaminentwürfen Piranesis in der Morgan Library (Abb. 4) (siehe auch Inv. 1966.11.77; 1966.11.89) und der Kunstbibliothek Berlin (Inv. Hdz 6314) seine Entsprechung.
Abb. 4: Giovanni Battista Piranesi, Linke Hälfte eines Entwurfs für einen Kamin mit Bukranien und Girlanden am Sturz und Satyrn an den Wangen, schwarze Kreide, 269 x 207 mm
© The Morgan Library & Museum. 1966.11.72. Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. MorganWie schon auf dem Karlsruher Blatt findet man in dem Entwurf aus der Morgan Library gleichfalls den Buchstaben „a“ in der Kaminwange. Dies ist ein typisches Vorgehen Piranesis, das sich in Karlsruhe auch bei den Kandelaber-Zeichnungen beobachten lässt. Unklar gezeichnete oder in ihrer dreidimensionalen Schichtung besonders komplexe Partien werden so markiert und in einer knappen Legende daneben durch eine erklärende Notiz kommentiert (siehe IX 5159-35-45-1).
Von einer anderen Hand stammen hingegen die präziser gezeichneten Elemente der Frieszone, also die beiden Eroten, die Girlande und die dazwischen platzierte weibliche Büste sowie der Eros samt dem Hypokampus. Diese bislang keinem namentlich bekannten Zeichner eindeutig zuzuordenbare Hand kehrt in den Karlsruher Alben in mehreren Zeichnungen wieder (siehe Essay „Stilistische Gruppen“, Gruppe 8). Besonders deutlich ist die Übereinstimmung bei den Eroten, die sich auch auf dem Sockel einer im Auftrag Piranesis restaurierten Vasenkomposition (IX 5159-35-21-3) finden (Abb. 5).
Abb. 5: Detailvergleich der Vase mit Rankendekor auf sechseckigem Sockel mit girlandetragenden Eroten, vor 1779, 164 x 392 mm, und Detailstudien für drei Kamine und eine Tabula ansata, vermutlich 1766, 244 x 313 mm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-21-3 und IX 5159-35-30-1
CC0 1.0Es wäre zu überlegen, ob diese präziseren Elemente zuerst gezeichnet und dann von Piranesi zu einer neuen Komposition weiterentwickelt wurden. Für ein nachträgliches hinzufügen der Tabula ansata spricht etwa, dass die Konturlinie an den Hufen des offenbar bereits existierenden Hippokampen unterbrochen sind.
Das in Feder und brauner Tinte gezeichnete dekorative Element (Abb. 6) stimmt stilistisch mit IX 5159-35-33-2 überein, das ebenfalls in den Kontext von Piranesis dekorativen Entwürfen einzuordnen ist.
Abb. 6: Detailstudien für drei Kamine und eine Tabula ansata (Detail), 1766, 244 x 313 mm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-30-1
CC0 1.0Hier ist eine Zuschreibung an Piranesi selbst wiederum nicht auszuschließen, allerdings wirkt es im Vergleich zu anderen Kaminentwürfen des Künstlers in Feder weniger lebendig. Dieser strengere Zeichenstil könnte aber auch durch die klassisch-antiken Ornamentmotive bedingt sein, die eine präzisere Zeichenweise erfordern. Vergleichbar wäre dabei ein Blatt mit weiteren ornamentalen Detailstudien seiner Hand in der Morgan Library (Inv. 1966.11.47). Für Piranesi sprechen aber auch die routinierten Schraffuren, mit denen die kleinen Hintergrundflächen zwischen den Palmetten ausgefüllt sind, sowie das teilweise mehrfache Nachziehen der Linien. Eine derartige Vorgehensweise lässt sich ebenso bei Kaminentwürfen in der Morgan Library (Inv. 1966.11.75) als auch bei dem Entwurf für einen Konsoltisch (IX 5159-35-34-4) beobachten, der auch für die Diverse maniere als Radierung umgesetzt wurde.
Der am oberen Blattrand schwach skizzierte Kamin bietet hingegen so wenige Anhaltspunkte, dass eine Zuschreibung kaum möglich erscheint (Abb. 7).
Abb. 7: Detailstudien für drei Kamine und eine Tabula ansata (Detail, gedreht), vermutlich 1766, 244 x 313 mm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-30-1
CC0 1.0Diese Skizze könnte sowohl von Piranesi selbst als auch von einem Werkstattmitarbeiter ausgeführt worden sein. Das zart angedeutete Girlanden-Rosetten-Ornament lässt in seiner Anordnung darüber hinaus an Kaminentwürfe des englischen Architekten Robert Adam denken, für den Manocchi gearbeitet hat und der auch mit Piranesi gut bekannt war (siehe z.B. Sir John Soane’s Museum, SM Adam volume 22/133; SM Adam volume 22/237; SM Adam volume 22/244).[1]
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Zum Verhältnis von Piranesi und den Brüdern Adam siehe: John Wilton-Ely: „Amazing and Ingenious Fancies": Piranesi and the Adam Brothers, in: Memoirs of the American Academy in Rome. Supplementary Volumes, Bd. 4: The Serpent and the Stylus: Essays on G. B. Piranesi, Ann Arbor, Mich. 2006, S. 213–237.
- Kunsthistorische Bedeutung
Im Unterschied zu den Piranesi-Konvoluten in der Morgan Library oder der Kunstbibliothek Berlin sind Kaminentwürfe in Karlsruher sehr selten. Neben den beiden hier besprochenen Zeichnungen (IX 5159-35-30-1 und IX 5159-35-31-5) weisen lediglich IX 5159-35-9-6v, IX 5159-35-21-3v und IX 5159-35-34-4 einen direkten Bezug zu den Diverse maniere auf. Hinzu kommt noch eine Vorzeichnung für den Kamin auf Tafel 30, die sich auf der Rückseite einer weiteren Piranesi-Zeichnung befindet, die in das Klebealbum des Weinbrenner-Schülers Heinrich Geier (Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai), KIT, Karlsruhe, Inv. Geier 1, fol. 113) eingeklebt worden ist (siehe Essay Die Piranesi-Zeichnung im Geier-Album).[1]
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Das auf der Vorderseite wiedergegebene Säulenfragment wurde erst 1790 von Francesco Piranesi in einer zusätzlichen Tafel zu den Vasi, candelabri in eine Radierung umgesetzt. Bis auf dieses Blatt enthält das Klebealbum ansonsten Transparentpausen, die Geier während seines Architekturstudiums in Weinbrenners Bauschule anfertigen musste, darunter auch etliche Kopien nach Motiven aus den beiden Piranesi-Alben der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Da diese weitere eigenhändige Piranesi-Zeichnung in den Alben der Kunsthalle nirgends fehlt – es gibt keine Leerstelle mit Klebespuren –, scheinen die gesamten Zeichnungen zum damaligen Zeitpunkt noch in einem anderen Kontext, wie etwa einer losen Blattsammmlung, aufbewahrt worden zu sein. Zudem ging Geier möglicherweise davon aus, dass es sich um eine von Friedrich Weinbrenner selbst in Italien angefertigte Zeichnung handelte. Diesem ist das Blatt auf dem Albumpapier auch zugeschrieben („Original von Weinbrenner“). Möglicherweise erfolge dies aber erst unter Arthur von Schneider, der sich um 1960 mit Weinbrenners Zeichnungen seiner Italienreise befasste. Erstmals publiziert in: Georg Kabierske: Weinbrenner und Piranesi. Zur Neubewertung von zwei Grafikalben aus dem Besitz Friedrich Weinbrenners in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, in: Brigitte Baumstark/Joachim Kleinmanns/Ursula Merkel (Hg.): Friedrich Weinbrenner, 1766–1826: Architektur und Städtebau des Klassizismus, Ausst. Kat. Karlsruhe, Städtische Galerie und Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Petersberg 2015 (2. Aufl.), S. 75–87, hier S. 84 u. S. 436f, Nr. 11.47 (damals Francesco Piranesi zugeschrieben).
- Zeichnerischer Prozess
Vier Zeichnungen in unterschiedlichen Techniken und verschiedenen Ausrichtungen sind auf diesem Blatt vereint. Drei Zeichnungen wurden mit einem schwarzen Stift gezeichnet, eine mit Feder in Eisengallustinte. Die in Feder ausgeführte Zeichnung liegt unter der im rechten Winkel dazu ausgeführten Zeichnung eines Kaminentwurfs in schwarzer Kreide. Die geraden, helleren Linien der Federzeichnung entstanden mithilfe eines Lineals und dienen als Konstruktionszeichnung. Die Verzierungen wurden mit kräftigem, dunklem Strich eingefügt. In den Zeichnungen in schwarzem Stift mischen sich zwei Ausführungsmodi. Zum einen ist ein schneller, skizzenhafter Duktus mit breit gesetzten Strichen zu erkennen, zum anderen handelt es sich um detailliert ausgeführte Elemente mit feinen, teils schraffierten-schummernden Linien. Die Reihenfolge der Entstehung dieser Zeichnungen lässt sich anhand der technischen Merkmale nicht bestimmen.
Maria Krämer
- Merkmale des Papiers
Ohne Wasserzeichen
Herstellungsmerkmale:
Ungefärbt; hohe Stärke; holzige Einschlüsse; deutliche Sieb- und Filzmarkierung (Abb. 3b), Trocknungsfalten am oberen Rand (Mitte des ursprünglichen Bogens); gelatinegeleimt (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt); im Reflexlicht leichter Glanz (manuelle Glättung).
Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Schwarzer Stift (Kreide) mit fetthaltigem Bindemittel: Möglicherweise zwei unterschiedliche schwarze Stifte oder ein einziger schwarzer Stift mit fetthaltigem Bindemittel mit stark variierendem Erscheinungsbild (Details 1–4): häufig weitgehend mattschwarz, pastos mit furchigen Vertiefungen; stellenweise krümelig, gebunden wirkender Abrieb; graues, reflektierendes Erscheinungsbild in UVR (Medusenhaupt); Strichbild ist in allen Kreideskizzen des Blattes ähnlich.
Detail 1: Auflicht
Schwarzer StiftDetail 2: Auflicht
Schwarzer StiftDetail 3a: Auflicht
Schwarzer StiftDetail 3b: Streiflicht
Schwarzer Stift; PapierstrukturDetail 4: Auflicht
Schwarzer StiftFeder in Braunschwarz (Eisengallustinte): Dunkel begrenzte Trocknungsränder mit schwarzen Pigmenten; innerhalb des Strichs mehrere, ringförmig aufeinander folgende Trocknungslinien (Detail 5); löscht UV-Strahlung aus (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt), unter IR-Strahlung transparenter (Hinweis auf eisenhaltige Tinte, IRR, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt).
Detail 5a: Auflicht
Feder in Braunschwarz; Schwarzer Stift (waagrechte Striche)Detail 5b: Streiflicht
Feder in Braunschwarz; Schwarzer Stift (waagrechte Striche)Detail 5c: Auflicht
Feder in Braunschwarz; Schwarzer Stift (waagrechte Striche); PapierstrukturDetail 5d: Streiflicht
Furchiger Strich des schwarzen StiftsNicht zur Entstehung der Zeichnung gehörende Farbmedien: im unteren Bereich Ablagerungen von Rötel.
Maria Krämer
- Merkmale historischer Nutzung
An allen vier Kanten beschnitten; verso Spuren einer früheren Montierung (Klebepunkte und Papierfragmente), dort Insektenfraß; Abdruck eines geölten Papiers oder Firnisses im oberen Bereich mit kleinen schwarzen Ablagerungen auf den Höhen des Blattes; paarige Einstiche einer Stecknadel am rechten Rand; länglicher Ölfleck unten links, vielleicht auch Kontaktabdruck eines Öl enthaltenden Zeichenmediums.
Maria Krämer
- Prozesse historischer Nutzung
Auffallend sind sehr feine Einstiche in der Stärke einer Akkupunkturnadel im Bereich der tabula ansata, die sich bereits vor der Ausführung der Zeichnung dort befanden, wie aus den Unterbrechungen der Linien zu schließen ist. Die Teilzeichnung eines Kamins wurde auf IX 5159-35-31-5 fortgeführt. Die Linien lassen erkennen, dass die Zeichnung fließend von einem Papier auf das andere übergeht, wobei IX 5159-35-31-5 leicht versetzt unter diesem Blatt lag (Abb. 8).
Abb. 8: Digitale Zusammenfügung der beiden Blattfragemente, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-30-1 und IX 5159-35-31-5, Auflicht
Bildmontage: Maria KrämerAbb. 9: Digitale Zusammenfügung der beiden Blattfragmente, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-30-1 und IX 5159-35-31-5, Durchlicht. Oberhalb von IX 5159-35-31-5 sind Stecknadeleinstiche erkennbar.
Bildmontage: Maria KrämerVermutlich wurden die Zeichnungen mit Stecknadeln zusammengehalten: Am rechten Rand des Blattes finden sich Einstichlöcher, die sich jedoch oberhalb des rechts an das Motiv ansetzenden Fragments befinden (Abb. 9). Wahrscheinlich ist, dass beide Blätter nachträglich beschnitten wurden. Die zwei Papierfragmente stammen jedoch nicht von einem ehemals zusammengehörigen Bogen, wie Unterschiede in der Siebstruktur und um 90° zueinander versetzt verlaufende Kettdrähte belegen.
Montierungshistorie
Klebepunkte verso mit anhaftenden Papierfragmenten belegen eine frühere Montierung. Sie weisen teilweise Insektenfraß auf, was auf eine längere Zeit der ungestörten Lagerung hindeutet.
Maria Krämer
Schlagwörter
- Schwarzer Stift
- Fetthaltiger schwarzer Stift (Kreide)
- Giovanni Battista Piranesi
- Italienisches Papier
- Schwarze Kreide
- Diverse maniere
- Eisengallustinte
- Tabula ansata
- Stilistische Gruppe 08
- Stilistische Gruppe 01
- Unidentifizierter Zeichner der Piranesi-Werkstatt
- Kaminsturz
- Robert Adam
- Giuseppe Manocchi
- Kamin
- Entwurf
- Stecknadel
- IX 5159-35-31-5
- IX 5159-35-30-1
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