Der Mars-Ultor Tempel wurde recht früh, gegen Ende des 5./Anfang des 6. Jahrhunderts, zerstört.[1] Viele antike Baumaterialien wurden während des mittelalterlichen Umbaus des umliegenden Stadtviertels wiederverwendet. Ab den 9. Jahrhundert wurde ein Teil des ehemaligen Tempels in den christlichen Baukomplex der Basilianer, zunächst mit der Errichtung der Kirche San Basilio ai Pantani auf den Ruinen der Cella, ab 1566 auch mit dem Bau des Dominikanerinnenklosters SS. Annunziata, umgewandelt. Im 13. Jahrhundert ließen sich in diesem Viertel auch die Cavalieri di Rodi (heute Malteserorden genannt) nieder. Durch diese frühen, wechselhaften Umbauten und Besetzungen wurde die Topografie des Augusteischen Forums immer undeutlicher.[2] Daher wurde das Areal oft falsch benannt. In seiner Zeichnung schrieb Baldassare Peruzzi (1481–1536) beispielweise, die Kirche San Basilio würde sich auf dem „forum transitorium“ befinden (Abb. 7).[3]
Abb. 7: Baldassare Peruzzi, Pegasuskapitell, um 1518 (?), Feder, schwarzer Stift, Florenz, Uffizien, Inv. A 633r © Foto: Gallerie degli Uffizi; mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur. Jegliche Reproduktion oder Vervielfältigung ist ausdrücklich verboten.
Bereits vor den bedeutenden archäologischen Ausgrabungen, die ab Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem in den 1920er Jahren durchgeführt wurden und das heutige Erscheinungsbild des Augustusforums prägen, haben sich zahlreiche Künstler und Gelehrte des Quattrocento und des Cinquecento für den Ort interessiert. Unter Sixtus IV. wurden beispielsweise um 1477 Ausgrabungen in der Nähe von San Basilio durchgeführt, die Fra‘ Gioco da Verona (um 1433–1515) miterlebt haben soll.[4] Baldassarre Peruzzi (Abb. 7) und Antonio Labacco (Abb. 2 ) lieferten in ihren auf den damals bereits spärlichen Überresten des Augustusforums basierenden Rekonstruktionsvorschlägen wichtige Informationen zum Dekor des Tempels.[5] Auch Antonio da Sangallo der Jüngere (1484–1546) und Sallustio Peruzzi (vor Anfang 16. Jahrhundert–1573) haben sich der Vermessung und der Aufnahme des weiten Areals des Augustusforums gewidmet, Giovanni Battista da Sangallo (Antonios Bruder, 1496–1548) zeichnete Architekturdetails nach.[6] Nach dem Vorbild von Peruzzi und Labacco illustrierten auch Sebastiano Serlio (Abb. 8) und Andrea Palladio in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Mars-Ultor-Tempel in ihren Publikationen, das Pegasuskapitell erschien im Druckwerk von Desgodets, allerdings erst im Supplemento von 1843.[7] Durch die Niederlassung der Dominikanerinnen im Jahr 1566 war das Klosterareal und somit der Zugang zu Fragmenten des ehemaligen Mars-Ultor-Tempels wie dem Pegasuskapitell laut Ganzert nur beschränkt zugänglich.[8] Dies könnte auch erklären, warum dieses Kapitell später nur noch selten dargestellt wurde und dann grundsätzlich auf der Basis von Peruzzis und Labaccos Wiedergaben. Dennoch muss der Zeichner des Karlsruher Blattes Mitte der 1760er Jahre Zugang zu einem Kapitell, oder zu einem Gipsabguss des Marmorkapitells gehabt haben, sodass er seine Zeichnung vor dem Originalfragment vervollständigen konnte.
Abb. 8: Sebastiano Serlio, Kapitelle, Holzschnitt, in: Regole generali di architetura sopra le cinque maniere de gli edifici, Venedig 1540 (erste Ausgabe 1537), 4. Buch, Taf. LXIV, Augsburg, Stadt- und Staatsbibliothek, 2 Alt 77CC BY-NC 4.0
Wie viele Pegasuskapitelle es während der Renaissance gab und wo sie zur Zeit Piranesis bewahrt waren, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Auf seiner Zeichnung notierte Baldassare Peruzzi, dass das Kapitell in der Kirche von San Basilio zu sehen war; Giovanni Battista da Sangallo gab einen vergleichbaren Hinweis für die Überreste des Tempels.[9] Die Mehrzahl der Autoren gehen insofern davon aus, dass das heute fast vollständige, in den Musei dei Fori Imperiali in Rom aufbewahrte Pilasterkapitell für diese Renaissancezeichnungen als Vorbild diente.[10] Anhand eines Situationsfotos und einer Zeichnung von Luigi Rossini (1843) zeigt Ganzert, dass das Pilasterkapitell bereits vor den Ausgrabungen der 1930er Jahre, zumindest seit Mitte des 19. Jahrhunderts, in einer Umfassungsmauer des Klosters eingebaut war.[11] Auf seiner Grundlage könnten Peruzzi und in der Folge Labacco ein Säulenkapitell rekonstruiert haben. Eventuell existierten, wie es Lucrezia Ungaro vermutet,[12] zu ihrer Zeit auch weitere Überreste, darunter vielleicht auch Säulenkapitelle, die heute nur mehr fragmentarisch erhalten sind. Darüber hinaus wurden Gipsabgüsse des Kapitells im Rahmen der akademischen Unterrichtspraxis benutzt, wie es beispielsweise das Exemplar der Villa Medici (Rom, Académie de France à Rome, Inv. 2015.0.34, Anfang des 19. Jahrhunderts) nachweist – und dies bereits ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.[13] Die linke Hälfte des Kapitells könnte durchaus nach einem solchen Gipsabguss gezeichnet worden sein. Ein weiterer Abguss in der ehemaligen Sammlung vom Architekten und Direktor der Royal Academy, Thomas Lawrence (1769–1830) zeigt nur eine Hälfte des Kapitells (Abb. 9), so wie es in der Bauornamentik üblich war. Wie dort ist in der Zeichnung gerade auch die linke Hälfte nach einem dreidimensionalen Vorbild wiedergegeben – ob dies ein Zufall ist oder aber ein Hinweis darauf, dass nach einem Gipsabguss gearbeitet wurde, bleibt eine offene Frage. Die Existenz von Gipsabgüssen des Kapitells bezeugt in jedem Fall den hohen Stellenwert, den das Stück im Rahmen der klassischen Ausbildung einnahm.
Abb. 9: Abguss eines korinthischen Pilasterkapitells mit Pegasusvoluten aus dem Mars-Ultor Tempel, Ende 18. Jahrhundert/frühes 19. Jahrhundert, Gipsabguss, 91,5 x 63 x 41,3 cm, London, © Royal Academy of Arts, Inv. 11/2882
Bénédicte Maronnie
Kommentare
Hier können Sie uns Anmerkungen und Kommentare zu unseren Objekten hinterlassen, die nach Sichtung durch unsere Mitarbeiter*innen allen Leser*innen angezeigt werden.