Das Pilasterkapitell zeigt eine eigenwillige Ornamentik: Auf einem Kranz von Akanthusblättern ruhend, ist ein geflügeltes Pferd (Pegasus) wiedergegeben, dessen Körper mit dekorativen Blättern und Voluten verschmilzt. Nur die linke Seite ist detailliert ausgeführt. Während das Pferd dort in die architektonische Form eingebunden ist, stürmt es in der lediglich skizzierten Ansicht rechts deutlicher voran. Ungewöhnlich ist, dass für die beiden Hälften der Zeichnung unterschiedliche Vorlagen verwendet wurden.
Werkdaten
Künstler
Unidentifizierter Schüler der Piranesi-Werkstatt, Gruppe 9
Ort und Datierung
Rom, zweite Hälfte der 1760er Jahre, sicher vor 1778
Abmessungen (Blatt)
268 x 203 mm
Inventarnummer
IX 5159-35-29-4
- Zeichenmedien
Vorzeichnung und Überarbeitung in schwarzer Kreide, teils gepaust; weitere Informationen siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Keine
- Literatur
Unpubliziert
- Hadernpapier
Vergé; vermutlich italienische Herstellung; weitere Informationen siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Keine erkennbaren Hinweise auf eine rückseitige Bezeichnung oder Beschriftung
Das Werk im Detail
- Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung
Das hier dargestellte Figuralkapitell mit Flügelpferden (Pegasus) stammt aus dem Mars-Ultor-Tempel, der sich ehemals auf dem Augustusforum in Rom befand. Das in Verbindung zum Gott Mars gedeutete Pegasus-Motiv gehörte zum Innendekor der Cella, deren Langwände mit einer Pilaster- und einer vorgelegten Säulenordnung gegliedert waren.[1] Von den Kapitellen sind heute überwiegend Fragmente erhalten, nur eines der Pilasterkapitelle ist fast vollständig überliefert (Abb. 1).[2]
Abb. 1: Pilasterkapitell mit Flügelpferden, Augusteisches Zeitalter, 2. Jahrhundert v. Chr., Marmor, 118 x 92 x 28 cm, Rom, Musei dei Fori Imperiali–Mercati di Traiano, Inv. FA 2514
Foto: Bénédicte Maronnie, CC0 1.0Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Siehe u.a. Lucrezia Ungaro: Il foro di Augusto, Rom 1997, S. 23; Alessandro Viscogliosi: Il Foro di Augusto, in: Francesco-Paolo Fiore/Arnold Nesselrath (Hg.): La Roma di Leon Battista Alberti, Ausst. Kat. Rom, Musei Capitolini, Rom 2005, S. 228.
2. Siehe dazu Eugen von Mercklin: Antike Figuralkapitelle, Berlin 1962, S. 251f.
- Beschreibung und Komposition
Das in frontaler Ansicht gezeichnete Figuralkapitell ist in der rechten Hälfte sowie auf dem unten anschließenden Wulst und dem Ansatz der Säulenkanneluren mit sehr feinen und mechanisch wirkenden Konturlinien ausgeführt. Die linke Hälfte ist hingegen viel kräftiger und mit Schattierungen gezeichnet. Der Akanthusblattkranz reicht fast bis zur halben Höhe des Kapitelkörpers und bildet eine klare horizontale Einteilung. Charakteristisch für dieses Fragment sind die Protome, d.h. die vorderen Teile der Flügelpferde, die an der Stelle herkömmlicher Voluten korinthischer Kapitelle die Abakusecken mit ihrem Kopf stützen und deren angezogenen Vorderbeinen über diese herausragen. Ihre Körper gehen in Akanthusblätter über, sodass die eingerollten Flügelspitzen wie Pendants der zentralen Rosette wirken.
Bei einer genauen Betrachtung der Zeichnung fällt eine Asymmetrie zwischen der linken und der rechten Hälfte auf. Abgesehen von den Unterschieden in der Ausführung sind grundsätzliche Differenzen in der Darstellung der gleichen Motive festzustellen: Der linke Pegasus erscheint proportional größer als der rechte, die Beine sind steiler angewinkelt und die Mähne ist wie im Marmorstück in spätarchaischer Manier stilisiert.[1] Auch die Pferdekörper und Akanthusranken unterscheiden sich stark. Offensichtlich wurden beide Hälften nach zwei verschiedenen Vorlagen kopiert.
Die Zeichnung verbindet die gedruckte Vorlage eines Säulenkapitells (rechts und unterer Rand) und die Marmorvorlage eines Pilasterkapitells (links). Die steiferen Konturlinien der rechten Kapitellhälfte wurden wohl nach einem Druck abgepaust. Als Vorlage diente die Radierung eines Kapitells aus dem Libro d’Antonio Labacco appartenente all’architettura (erste Ausgabe 1552, Abb. 2).[2] Maße und Konturen von Zeichnung und gedrucktem Vorbild stimmen überein (siehe Zeichnerischer Prozess und Abb. 11), Details wie etwa die Lippe unter dem Abakus wurden nicht übernommen. Diese Zeichnung bzw. Labaccos Druckgraphik gibt das nicht erhaltene Säulenkapitell stilisiert wieder. Markante Stilelemente, wie z.B. die charakteristische Pferdemähne oder die starke Krümmung des Pferdenackens, wurden abgemildert oder weggelassen. Der obere Abschluss der Säule jedoch, der Wulst und der sichtbare Ansatz der Kanneluren, wurde dem gedruckten Vorbild entsprechend sowohl auf der linken als auch auf der rechten Hälfte kopiert. Dies lässt vermuten, dass erst die rechte Hälfte der Zeichnung und der verbindende untere Rahmen des Kapitells ausgeführt wurden.
Abb. 2: Antonio Labacco, Säulenkapitell mit Flügelpferden, Radierung, in: Il Libro d’Antonio Labacco appartenente a l’architettura. Nel quale figurano alcune notabili antiquità di Roma, Rom 1557, Tafel nicht nummeriert, Paris, Bibliothèque nationale de France, RES-V-353
CC0 1.0Die ornamentalen und figürlichen Details der linken Kapitellhälfte wurden indessen wahrscheinlich nach einem dreidimensionalen Vorbild gezeichnet. Um auf dieser Seite das Kapitell zu vervollständigen, blieb dem Zeichner nur ein begrenzter Platz auf dem Papier. Dadurch wirkt dieser Teil proportional größer und die Gestalt des Pegasus komprimiert: Die Mähne ist unter dem Abakus zusammengedrückt und die Beine sind steiler angewinkelt, als ob der Zeichner die Figur nicht über die schräge Begrenzung des Kapitells hinausragen lassen wollte. Vermutlich fehlten die Pferdebeine auf dem als Vorbild herangezogenen Stück, was auch auf dem einzig erhaltenen Kapitell des Mars-Ultor-Tempels der Fall ist (Abb. 1). Dieses oder ein vergleichbares, nicht mehr vorhandenen Pilasterkapitell (im Marmororiginal oder auch im Abguss) diente wohl als Vorlage. Auf der linken Seite der Zeichnung weist eine feine Vorzeichnung darauf hin, dass die Beine beim Überarbeiten der Zeichnung an dieser Stelle leicht verschoben wurden. Sie könnten ergänzt worden sein. Auch im Bereich des Blattkranzes ist eine Asymmetrie zwischen den beiden Hälften der Zeichnung zu bemerken, die auf die unterschiedlichen Vorlagen der Zeichnung – Labaccos Radierung (Säulenkapitell) und das dreidimensionale Pilasterkapitell – hinweisen. Die Anordnung des Blattkranzes auf der linken Seite der Zeichnung entspricht dem noch vorhandenen Pilasterkapitell (Abb. 1).[3] Andere Stellen wurden im Nachhinein in schwarzer Kreide akzentuiert wie etwa die Mähne, die Federn, der Hintergrund, die Abakuslinien sowie die Schattierungen und Konturlinien der Palmette. Im Gegensatz zur idealisierenden Hälfte rechts zeugt die linke Kapitellhälfte vom Versuch des Zeichners, das Marmororiginal möglichst getreu wiederzugeben, wenn auch mit einer gewissen zeichnerischen Unsicherheit.
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Paul Zanker: Forum Augustum. Das Bildprogramm, Tübingen 1968, S. 11.
2. Thomas Ashby: Il libro d’Antonio Labacco appartenente all’Architettura, in: La Bibliofilia 16, 1914, S. 289–309. Francesco Piranesis Nachlassauktion (François-Léandre Regnault-Delalande: Notice de Tableaux […] après le décès de M. François Piranesi, Paris 1810, S. 13, Nr. 90, „Architecture de Labacco, 1773“) beweist übrigens, dass sich eine spätere Ausgabe dieses bei Architekten sehr verbreiteten Werks im Besitzt der Familie befand. Höchstwahrscheinlich war es auch in Giovanni Battistas umfangreicher Bibliothek vorhanden, die jedoch während des Umzugs der Brüder Piranesi nach Paris weitgehend verlorengegangen sein soll.
3. Säulenkapitelle mit Pegasus haben sich aus dem Mars-Ultor-Tempel hingegen nicht erhalten, sodass nicht mit Sicherheit bestimmt werden kann, wie den Blattkranz dort aussah.
- Einordnung in das Gesamtwerk Piranesis
Das Pegasuskapitell des Mars-Ultor-Tempels wurde durch das weit verbreitete Druckwerk von Antonio Labacco (1495–1570), später durch Sebastiano Serlio (1475–1554) und Andrea Palladio (1508–1580) überliefert. Es gehört zum festen Repertoire antiker römischer Ornamente, die in der Renaissance durch das Kopieren von Architekturtraktaten und Architekturzeichnungen verbreitet wurden. Zudem entstanden Variationen wie die des Meisters G. A. with the Caltrop (Abb. 3).[1] Im 18. Jahrhundert trug Charles-Louis Clérisseau (1721–1820) im Kreis von Giovanni Battista Piranesi durch die systematische Zeichenpraxis von Ornamenten zur Konsolidierung dieses Ornamentrepertoires bei. So ist ein vergleichbares Motiv des Pegasuskapitells sowohl im Konvolut seiner Zeichnungen in der Eremitage zu finden (Abb. 4) als auch im Zeichnungsbestand aus der Werkstatt der Brüder Adam (Abb. 5).[2]
Abb. 3: Master G. A. with the Caltrop (Italien, tätig Mitte des 16. Jahrhunderts), Variante des Pegasuskapitells mit Säulenbasis, um 1537, Radierung, 285 x 195 mm, New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv. 41.72 (2.6)
Public Domain Mark 1.0Abb. 4: Charles-Louis Clérisseau, Zwei Kapitelle, 1750er Jahre, Feder in Schwarz, braun laviert, Spuren von schwarzer Kreide, 194 x 267 mm, Sankt Petersburg, Eremitage, Inv. OP-1899
CC0 1.0Abb. 5: Antonio Zucchi zugeschrieben, Zeichnung eines Kapitells, um 1762, Pencil, Feder, braun laviert, weiß gehöht, 346 x 310 mm, London, Sir John Soane’s Museum, Adam vol. 7/69.
© Sir John Soane’s Museum, London, Adam vol. 7/69Bei der Wahl der in seiner Werkstatt dargestellten Motive und ihrer Wiederverwendung für eigene Erfindungen scheint Giovanni Battista Piranesi sich an solchen Vorbildern – Renaissance-Traktaten, freien Druckblättern und Zeichnungsalben der Renaissance oder von Zeitgenossen wie Clérisseau – orientiert zu haben. In seinem 1753 publizierten Druckwerk Trofei di Ottaviano Augusto (Abb. 6) stellte Piranesi ebenfalls ein Pegasuskapitell mit unbekannter Provenienz- und Standortangaben dar. In der Bildlegende wird die Verbindung von realistischen Elementen aus der Tier- und Pflanzenwelt zu neuen hybriden Darstellungen beschrieben, die Piranesi als künstlerisches Prinzip vor allem in seiner späteren Karriere weiterentwickeln sollte.[3]
Abb. 6: Giovanni Battista Piranesi, Kapitell, Radierung, in: Trofei di Ottaviano Augusto, Rom 1753, Taf. 13, Biblioteca Histórica de la Universidad Complutense de Madrid. BH GRL 7(10-13)
CC BY-NC 4.0In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts widmeten sich verschiedene Architekten der systematischen Revision, Vervollständigung und Neuedition von Architekturtraktaten. So wurde das 1682 publizierte Standardwerk Les edifices antiques de Rome, dessinés et mesurés très exactement von Antoine Baubuty Desgodets von zahlreichen Architekten revidiert und mehrmals neupubliziert (siehe auch Zeichnung IX 5159-35-1-1). Derartige Abhandlungen wie das bereits erwähnte Architekturbuch von Labacco dienten als Grundlagewerke für die Architektenausbildung. Die unterschiedliche Ausführung der zwei Kapitellhälften auf der vorliegenden Zeichnung ist auf eine solche Lehrpraxis zurückzuführen. In der gezeichneten Gegenüberstellung entsteht ein Dialog zwischen dem gedruckten Vorbild mit der idealisierten Darstellung des Kapitells und dem realen Marmorstück, der zugleich sichtbar macht, wie unterschiedlich Objekte zeichnerisch interpretiert werden können.
Die Zeichnung wurde ohne Maßangaben oder Konstruktionslinien mithilfe von Lineal und Zirkel angefertigt (siehe Zeichnerischer Prozess). Das Hauptinteresse an dem dargestellten Gegenstand war demnach künstlerischer Natur: Statt einer genauen Aufnahme der Maße stand die ornamentale Komposition im Vordergrund.
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Michael J. Waters/Cammy Brothers (Hg.): Variety, Archeology & Ornament. Renaissance Architectural Prints from Column to Cornice, Ausst. Kat. Charlottesville, University of Virginia Art Museum, Charlottesville 2011, S. 37, 67, Nr. 9.2; Michael J. Waters: A Renaissance without Order: Ornament, Single-Sheet Engravings, and the Mutability of Architectural Prints, in: Journal of the Society of Architectural Historians 71, 2012, S. 488–523, hier S. 490–492 und S. 497 und 509. Eine gezeichnete Variante eines Pegasuskapitells ist auch im Codex Destailleur B, fol. 107v (103v) in der Eremitage erhalten, vgl. Orietta Lanzarini/Roberta Martinis: Questo libro fu di Andrea Palladio, il codice Destailleur B dell’Hermitage, Rom 2015, Taf. XXXVI und S. 157.
2. Vgl. Alan Andrew Tait: The Adam Brothers in Rome: Drawings from the Grand Tour, Slg. Kat. London, Sir John Soane’s Museum, London 2008, S. 138–139: Adam-Bd. 7/69, um 1762, zugeschrieben an Antonio Zucchi: Zeichnung eines Kapitells für das Dekorationsprojekt vom Parliament House (das Pferd wird zum Einhorn, im Sinne einer britischen Ordnung). Clérisseau hatte die Brüder Adam in Rom im Zeichnen nach der Architektur und nach antiken Ornamenten unterrichtet, später wurde er ein wichtiges Mitglied ihrer Werkstatt in England (siehe Essay „Die Alben der Brüder Adam im Sir John Soane’s Museum“).
3. Siehe Giovanni Battista Piranesi: Trofei di Ottaviano Augusto, Rom 1753, Taf. 13: „Capitello lavorato di varie foglie […]. Sorgono ancora de’cornucopie, i quali coi loro frutti formando le rose vengono sostenuti da cavalli, che usciti sembrano di sotto dagli stessi caulicoli.” („Kapitell konstruiert mit verschiedenen Blättern […] Es ragen noch Füllhorne heraus, deren Früchte Rosen bilden und von Pferden gehalten werden, als würden diese aus den Blütenblättern selbst herauskommen.“ Übers. der Autorin).
- Ableitung, Rezeption und Dissemination
Der Mars-Ultor Tempel wurde recht früh, gegen Ende des 5./Anfang des 6. Jahrhunderts, zerstört.[1] Viele antike Baumaterialien wurden während des mittelalterlichen Umbaus des umliegenden Stadtviertels wiederverwendet. Ab den 9. Jahrhundert wurde ein Teil des ehemaligen Tempels in den christlichen Baukomplex der Basilianer, zunächst mit der Errichtung der Kirche San Basilio ai Pantani auf den Ruinen der Cella, ab 1566 auch mit dem Bau des Dominikanerinnenklosters SS. Annunziata, umgewandelt. Im 13. Jahrhundert ließen sich in diesem Viertel auch die Cavalieri di Rodi (heute Malteserorden genannt) nieder. Durch diese frühen, wechselhaften Umbauten und Besetzungen wurde die Topografie des Augusteischen Forums immer undeutlicher.[2] Daher wurde das Areal oft falsch benannt. In seiner Zeichnung schrieb Baldassare Peruzzi (1481–1536) beispielweise, die Kirche San Basilio würde sich auf dem „forum transitorium“ befinden (Abb. 7).[3]
Abb. 7: Baldassare Peruzzi, Pegasuskapitell, um 1518 (?), Feder, schwarzer Stift, Florenz, Uffizien, Inv. A 633r
© Foto: Gallerie degli Uffizi; mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur. Jegliche Reproduktion oder Vervielfältigung ist ausdrücklich verboten.Bereits vor den bedeutenden archäologischen Ausgrabungen, die ab Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem in den 1920er Jahren durchgeführt wurden und das heutige Erscheinungsbild des Augustusforums prägen, haben sich zahlreiche Künstler und Gelehrte des Quattrocento und des Cinquecento für den Ort interessiert. Unter Sixtus IV. wurden beispielsweise um 1477 Ausgrabungen in der Nähe von San Basilio durchgeführt, die Fra‘ Gioco da Verona (um 1433–1515) miterlebt haben soll.[4] Baldassarre Peruzzi (Abb. 7) und Antonio Labacco (Abb. 2) lieferten in ihren auf den damals bereits spärlichen Überresten des Augustusforums basierenden Rekonstruktionsvorschlägen wichtige Informationen zum Dekor des Tempels.[5] Auch Antonio da Sangallo der Jüngere (1484–1546) und Sallustio Peruzzi (vor Anfang 16. Jahrhundert–1573) haben sich der Vermessung und der Aufnahme des weiten Areals des Augustusforums gewidmet, Giovanni Battista da Sangallo (Antonios Bruder, 1496–1548) zeichnete Architekturdetails nach.[6] Nach dem Vorbild von Peruzzi und Labacco illustrierten auch Sebastiano Serlio (Abb. 8) und Andrea Palladio in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Mars-Ultor-Tempel in ihren Publikationen, das Pegasuskapitell erschien im Druckwerk von Desgodets, allerdings erst im Supplemento von 1843.[7] Durch die Niederlassung der Dominikanerinnen im Jahr 1566 war das Klosterareal und somit der Zugang zu Fragmenten des ehemaligen Mars-Ultor-Tempels wie dem Pegasuskapitell laut Ganzert nur beschränkt zugänglich.[8] Dies könnte auch erklären, warum dieses Kapitell später nur noch selten dargestellt wurde und dann grundsätzlich auf der Basis von Peruzzis und Labaccos Wiedergaben. Dennoch muss der Zeichner des Karlsruher Blattes Mitte der 1760er Jahre Zugang zu einem Kapitell, oder zu einem Gipsabguss des Marmorkapitells gehabt haben, sodass er seine Zeichnung vor dem Originalfragment vervollständigen konnte.
Abb. 8: Sebastiano Serlio, Kapitelle, Holzschnitt, in: Regole generali di architetura sopra le cinque maniere de gli edifici, Venedig 1540 (erste Ausgabe 1537), 4. Buch, Taf. LXIV, Augsburg, Stadt- und Staatsbibliothek, 2 Alt 77
CC BY-NC 4.0Wie viele Pegasuskapitelle es während der Renaissance gab und wo sie zur Zeit Piranesis bewahrt waren, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Auf seiner Zeichnung notierte Baldassare Peruzzi, dass das Kapitell in der Kirche von San Basilio zu sehen war; Giovanni Battista da Sangallo gab einen vergleichbaren Hinweis für die Überreste des Tempels.[9] Die Mehrzahl der Autoren gehen insofern davon aus, dass das heute fast vollständige, in den Musei dei Fori Imperiali in Rom aufbewahrte Pilasterkapitell für diese Renaissancezeichnungen als Vorbild diente.[10] Anhand eines Situationsfotos und einer Zeichnung von Luigi Rossini (1843) zeigt Ganzert, dass das Pilasterkapitell bereits vor den Ausgrabungen der 1930er Jahre, zumindest seit Mitte des 19. Jahrhunderts, in einer Umfassungsmauer des Klosters eingebaut war.[11] Auf seiner Grundlage könnten Peruzzi und in der Folge Labacco ein Säulenkapitell rekonstruiert haben. Eventuell existierten, wie es Lucrezia Ungaro vermutet,[12] zu ihrer Zeit auch weitere Überreste, darunter vielleicht auch Säulenkapitelle, die heute nur mehr fragmentarisch erhalten sind. Darüber hinaus wurden Gipsabgüsse des Kapitells im Rahmen der akademischen Unterrichtspraxis benutzt, wie es beispielsweise das Exemplar der Villa Medici (Rom, Académie de France à Rome, Inv. 2015.0.34, Anfang des 19. Jahrhunderts) nachweist – und dies bereits ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.[13] Die linke Hälfte des Kapitells könnte durchaus nach einem solchen Gipsabguss gezeichnet worden sein. Ein weiterer Abguss in der ehemaligen Sammlung vom Architekten und Direktor der Royal Academy, Thomas Lawrence (1769–1830) zeigt nur eine Hälfte des Kapitells (Abb. 9), so wie es in der Bauornamentik üblich war. Wie dort ist in der Zeichnung gerade auch die linke Hälfte nach einem dreidimensionalen Vorbild wiedergegeben – ob dies ein Zufall ist oder aber ein Hinweis darauf, dass nach einem Gipsabguss gearbeitet wurde, bleibt eine offene Frage. Die Existenz von Gipsabgüssen des Kapitells bezeugt in jedem Fall den hohen Stellenwert, den das Stück im Rahmen der klassischen Ausbildung einnahm.
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Zu den Etappen des Umbaus des Augustusforums siehe u.a. Guido Fiorini: La casa dei Cavalieri di Rodi al Foro di Augusto, Rom 1951, S. 54; Joachim Ganzert: Der Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustusforum in Rom, Rom 1996, S. 13–18; Lucrezia Ungaro: Il foro di Augusto, Rom 1997, S. 30f.; Graziella Becatti: L’identificazione del tempio di Marte Ultore nel XVI secolo: dall’incendio di borgo’ di Raffaello a Palladio, in: Bollettino d’arte 21, 2014, S. 23–38, hier S. 23; Vincent Cousì/Fabrizio Felici: Le Spoliazioni, in: Roberto Meneghini/Riccardo Santangeli Valenzani (Hg.): Scavi dei fori imperiali. Il foro di Augusto, l’area centrale, Rom 2010, S. 143–148.
2. Lucrezia Ungaro: Il foro di Augusto, Rom 1997, S. 30.
3. Sebastian Storz: Zur Schmuckbasis der Innenordnung des Mars-Ultor-Tempels in Rom, in: Renaissancezeichnungen als archäologisches Quellenmaterial, Koldewey-Gesellschaft, Vereinigung für baugeschichtliche Forschung. Bericht über die 31. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung vom 14.–18. Mai 1980 in Osnabrück, Bonn 1982, S. 52–54, hier S. 53.
4. Lucrezia Ungaro: Il foro di Augusto, Rom 1997, S. 30.
5. Zu den Peruzzi Zeichnungen in den Uffizien, Florenz (Arch. 633) siehe Alfonso Bartoli: I Monumenti antichi di Roma nei disegni degli Uffizi di Firenze, Bd. 2, Taf. CLXXXIII, Rom 1915; Sebastian Storz: Fragmente der Innenordnung des Mars-Ultor-Tempels und ihre Renaissance-Darstellungen, in: Kaiser Augustus und die verlorene Republik, Ausst. Kat. Berlin, Martin-Gropius-Bau, Berlin 1988, S. 172–184, Abb. 70; Paul Zanker: Forum Augustum. Das Bildprogramm, Tübingen 1968, S. 10, Abb. 14 und 15; Giorgia Clarke: „La più bella e meglio lavorata opera“: Beauty and Good Design in Italian Renaissance Architecture, in: Francis Ames-Lewis/Mary Rogers (Hg.): Concepts of Beauty in Renaissance Art, Adlershot 1998, S. 9–123, Abb. 9.2; Joachim Ganzert: Der Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustusforum in Rom, Rom 1996, S. 19–27; Alessandro Viscogliosi: Il Foro di Augusto, in: Francesco-Paolo Fiore/Arnold Nesselrath (Hg.): La Roma di Leon Battista Alberti, Ausst. Kat. Rom, Musei Capitolini, Rom 2005, S. 228.
6. Eine ausführliche Liste der Künstler, die sich in der Renaissance der Untersuchung des Areals gewidmet haben in: Guido Fiorini: La casa dei Cavalieri di Rodi al Foro di Augusto, Rom 1951, S. 21–26; Lucrezia Ungaro: Il foro di Augusto, Rom 1997, S. 32; Cammy Brothers: What Drawings did in Renaissance Italy, in: The Companions to the History of Architecture, Bd. 1: Renaissance and Baroque Architecture, Hobocken 2012, S. 27, Anm. 48. Zu Sallustio Peruzzis Zeichnungen siehe Sebastian Storz: Fragmente der Innendordnung des Mars-Ultor-Tempels und ihre Renaissance-Darstellungen, in: Kaiser Augustus und die verlorene Republik, Ausst. Kat. Berlin, Martin-Gropius-Bau, Berlin 1988, S. 172–184, hier S. 178, Abb. 73.
7. Das Innendekor der Cella und das Pegasuskapitell wird u.a. in den folgenden Traktaten abgebildet: Sebastiano Serlio: Regole generali di architetura sopra le cinque maniere […], Venedig 1537, 4. Buch, Taf. LXIV (Pegasuskapitell); Andrea Palladio: I quattro libri di architettura, Venedig 1570, 4. Buch, Kap. VII (Tafeln sind nicht numeriert); Giuseppe Valadier/Luigi Canina (Hg.): Supplemento all‘opera sugli edifizi antichi di Roma dell’Architetto A. Desgodetz, Parte I, aggiunte e correzioni all’opera sugli edifizi antichi di Roma dell’Architetto A. Desgodetz procurate in parte dal Cav. G. Valadier, compite e dichiarate dal Cav. L. Canina, 1843, Kap. XII, Taf. III.41. Zur Rezeption des Mars-Ultor Tempels in den Renaissance-Traktaten siehe Joachim Ganzert: Der Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustusforum in Rom, Rom, 1996, S. 19–30; Lucrezia Ungaro: Il foro di Augusto, Rom, 1997, S. 32; Cammy Brothers: What Drawings did in Renaissance Italy, in: The Companions to the History of Architecture, Bd. 1: Renaissance and Baroque Architecture, Hobocken 2012, hier S. 18f. und S. 27, Anm. 48. Die Autorin zitiert außer den zuvor erwähnten Darstellungen der Überreste des Tempels im Codex Coner, fol. 124 (95) und Giorgio Vasari der Jüngere, Uffizi Inv. 4337v.
8. Joachim Ganzert: Der Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustusforum in Rom, Rom 1996, S. 17–18.
9. Laut Ungaro: „A san basilio achanto a una osteria nella strada” („In San Basilio nebst einer Osteria auf der Straße” (Übers. Der Autorin); zit. nach Lucrezia Ungaro: Il foro di Augusto, Rom 1997, S. 32). Die Legende der Peruzzi-Zeichnung lautet hingegen: „Questa opera era in la basilica del foro transitorio dove e oggi San basilio in Roma e la parte interiore tucta e guasta era de le ben lavorate op[er]e che in Roma fussero” (Transkription aus Alessandro Viscogliosi: Il Foro di Augusto, in: Francesco-Paolo Fiore/Arnold Nesselrath (Hg.): La Roma di Leon Battista Alberti, Rom, Musei Capitolini, 2005, S. 228; „Dieses Werk befand sich in einer Basilika auf dem Foro Transitorio, wo sich heute San Basilio in Rom befindet, dessen Innenraum komplett verkommen ist. Es waren schöne Werke, die sich in Rom befanden“, Übers. Der Autorin); siehe Abbildung der Zeichnung in Alfonso Bartoli: I Monumenti antichi di Roma nei disegni degli Uffizi di Firenze, Bd. 2, Tav. CLXXXIII, Rom 1915).
10. Z.B. in Eugenio La Rocca/Lucrezia Ungaro/Roberto Meneghini: I luoghi del consenso imperiale. Il Foro di Augusto e il Foro di Traiano, Rom 1995, S. 20.
11. Zum Aufbewahrungsort des Pegasuskapitells siehe Joachim Ganzert: Der Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustusforum in Rom, Rom 1996, S. 18, 204 sowie Taf. II; Anita Lalle: I rinvenimenti scultorei: problemi di quantità e tipologia, in: Roberto Meneghini/Riccardo Santangeli Valenzani (Hg.): Scavi dei fori imperiali. Il foro di Augusto, l’area centrale, Rom 2010, S. 77–81, hier S. 77; Lucrezia Ungaro: Foro di Augusto, Casa dei Cavalieri di Rodi, Museo dei Fori Imperiali. Ricostruzioni, ricomposizioni, anastilosi alla Ripartizione X AA.BB.AA. alla Sovraintendenza Capitolina ai Beni Culturali, in: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma, Bd. 116, 2015, S. 281–310, hier S. 283.
12. Lucrezia Ungaro: La memoria dell’antico, in: Il museo dei fori imperiali nei mercati di Traiano, Rom 2007, S. 129–169, hier S. 144.
13. Vgl. Elisabeth Le Breton/Jean-Luc Martinez u.a. (Hg.): Une antiquité moderne, Ausst. Kat. Rom, Villa Médicis-Académie de France /Paris, Musée du Louvre, Mailand 2019, S. 145 und 161, Abb. 39.
- Graphischer Transfer und mediale Umsetzung
Über die spezifische Darstellung des Pegasuskapitells hinaus repräsentiert dieses Architekturelement allgemein die antike Vielfalt und die innovative, bisweilen fast extravagante Ornamentkunst der römischen Kaiserzeit. Für Piranesis Interesse an außergewöhnlichen Details und seine Vorliebe für unübliche und stilistisch hybride Kombinationen war dieses eigenartige Kapitell eine reizvolle Inspirationsquelle.[1] Das Material antiker Fragmente, das in seiner Werkstatt in Form eines gezeichneten Repertoires vorlag, bezeugt nicht nur seine profunden Kenntnisse der antiken Ornamentkunst, sondern diente auch als Grundlage für die Entwicklung neuer plastischer Lösungen. Nachdem Piranesi ein vergleichbares Kapitell im Druckwerk Trofei di Ottaviano Augusto (1753) dokumentarisch dargestellt hatte, taucht das isolierte Motiv des Flügelpferdes, dessen Leib sich in volutenartige Ranken verwandelt, an mehreren Stellen und in verschiedenen Variationen wieder auf. Auf den Tafeln der Diverse Maniere d’adornare i cammini kommt es zweimal vor: Auf Tafel 55 (Abb. 10) flankieren zwei symmetrisch positionierte Flügelpferde die Seiten einer Kommode und auf Tafel 63 (Abb. 11) erscheint im Fuß einer prächtigen Uhr ein gespiegeltes Flügelpferdepaar in der Art eines Kapitells. Wie üblich für Piranesi wird dieses Pegasus-Motiv mit weiteren, aus dem antiken Ornamentrepertoire stammenden Sujets kombiniert: Oberhalb der Uhr befindet sich z.B. ein Detail des Aldobrandini-Reliefs, bestehend aus zwei Genien, die Wasser in eine Vase gießen.
Abb. 10a: Giovanni Battista Piranesi, Komode mit grosser Uhr und Vasen, Radierung, in: Diverse Maniere d’adornare i cammini, Rom 1769, Taf. 55, Museumslandschaft Hessen Kassel, SM-GS 6.2.692
CC BY-NC-SA 3.0Abb. 10b: Detailausschnitt
CC BY-NC-SA 3.0Abb. 11a: Giovanni Battista Piranesi, Konsoltisch von Giovanni Battista Rezzonico mit grosses Uhr und Vasen, Radierung, in: Diverse maniere d‘adornare i cammini, Rom 1769, Taf. 63, Museumslandschaft Hessen Kassel, SM-GS 6.2.692
CC BY-NC-SA 3.0Abb. 11a: Detailausschnitt
CC BY-NC-SA 3.0Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Carlo Bertelli: Trofei di Ottaviano Augusto (1753), in: Alessandro Bettagno (Hg.): Piranesi, incisioni-rami-legature-architetture, Vicenza 1978, S. 32f.
- Zeichnungsstil
Der Zeichnung zugrundeliegende Kopierprozess verringert die Ausbildung einer spezifischen Stilsprache. Die Darstellung entstand aus dem vergleichenden Zeichnen zwischen einer idealisierten, gedruckten Auffassung des Objektes und dem dreidimensionalen Original, sodass wenig Raum für freie Interpretation blieb. In diesem mehrstufigen Zeichnungsprozess musste die linke Kapitellhälfte nach dem Originalstück freihändig und im Vergleich zur schon gezeichneten rechten Hälfte ergänzt werden. In diesem vergleichenden Zeichnen treten einige Ungeschicklichkeiten zum Vorschein: Die zentrale Helix wirkt perspektivisch wie nach innen gedrückt; die anthropomorphen Züge des Pferdekopfes muten fast naiv an. Die Position der Beine wurde nachträglich leicht korrigiert und die ungelenke Kurve des Halses sowie die Überarbeitung mit einer fetteren, schwarzen Kreide verleihen der Zeichnung einen steifen Gesamteindruck.
Bénédicte Maronnie
- Zuschreibungshypothesen
Der beschriebene Kopierprozess und die stilistischen Charakteristika sind auf eine Zeichnungsübung im Rahmen der Piranesi-Werkstatt zurückzuführen. Dafür spricht die allgemein steif wirkende Ausführung einer noch lernenden Hand, die auch in anderen Zeichnungen erkennbar ist (siehe Zeichnungsgruppe 11). Eine ähnliche naive Darstellungsweise von Tierköpfen ist z.B. auch in der Figur des Greifs in der Zeichnung einer Konsole (IX 5159-35-19-2) oder in der Figur des Hundes im kassettierten Relief eines Säulenfragments (IX 5159-35-19-4) zu finden. Diese Zeichnungen könnten aus demselben Kontext und vielleicht sogar von der gleichen Hand stammen. In Frage kommen hier insbesondere Piranesis Kinder und in erster Linie sein Sohn Francesco, der um 1756 oder 1758 geboren wurde und laut Jacques-Guillaume Legrands Piranesi-Biografie Anfang der 1770er Jahre sein Zeichnungsstudium begann[1] und u.a. von Pierre-Adrien Pâris (in Rom ab 1771) im Architekturzeichnen unterwiesen wurde. Jedoch könnte er sein Studium auch bereits Ende der 1760er Jahre begonnen haben, sodass er noch von Clérisseaus Anwesenheit in Rom (bis 1767) hätte profitieren können – die in Rom befindenden Zeichnungen des Franzosen dürfte er in jedem Fall gekannt haben. Über die Zeichnungsausbildung der ältesten Tochter Laura (1754–wenigstens bis 1789) ist bis heute wenig bekannt.[2] Sie kann als Autorin solcher im Rahmen der Zeichnungslehre entstandenen Blätter nicht ausgeschlossen werden. Angelo Piranesi (1763–1782) wurden einige Zeichnungen, u.a. in dem Taccuino B von Modena, zugeschrieben.[3] Jedoch hat er aufgrund seines späteren Geburtsdatums wohl erst in den 1770er Jahren angefangen zu zeichnen. Eine Zuschreibung an eines der Kinder im Kontext ihrer Zeichnungsausbildung legt somit eine Datierung zwischen Ende der 1760er und Anfang der 1770er Jahre nahe (vgl. auch den Essay „Stilistische Gruppen”).
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Legrand datiert Francescos Geburt in das Jahr 1758 (Gilbert Erouart/Monique Mosser: À propos de la „Notice historique sur la vie et les ouvrages de J.-B. Piranesi": origine et fortune d’une biographie, in: Piranèse et les français, Kolloquium, Villa Médicis, 12.–14. Mai 1976, Rom 1978, S. 213–252, hier S. 250. Siehe auch die Taufurkunde in Valeria Mirra: Un’impresa culturale e commerciale. La Calcografia Piranesi da Roma a Parigi (1799–1810), Università degli Studi Roma Tre 2010/11, Dissertation (unpubliziert), S. 19, Anm. 20. Im 1810 verfassten Nekrolog (Discours, prononcé sur la tombe de M. François Piranesi), von dem leidglich ein einziges Exemplar in Stockholm bekannt ist, wird Francescos Tod im Alter von 54 Jahren erwähnt. Demzufolge müsste er 1756 geboren sein. Zum Nekrolog siehe auch ebd., S. 197f. und Rossana Caira Lumetti: La cultura dei lumi tra Italia e Svezia, Il ruolo di Francesco, Rom 1990, S. 235. Zum Verhältnis von Francesco und Pierre-Adrien Pâris siehe Pierre Pinon: Pierre-Adrien Pâris (1745–1819), architecte, et les monuments antiques de Rome et de la Campanie, Rom 2007, S. 5.
2. Vgl. Bénédicte Maronnie: „Sulle singolari tracce del padre”: Laura Piranesi „incisora”, in: Giambattista Piranesi: Sognare il sogno impossibile, Ausst. Kat. Rom, Istituto Centrale per la Grafica, Rom 2020, o. S. (online-Publikation).
3. Vgl. Mario Bevilacqua: Piranesi, Taccuini di Modena, 2 Bde., Rom 2008, Bd. 1, S. 207, 242–243, c. 25–28. Die Zuschreibung basiert auf Angelos Zeichnung (signiert und 1776 datiert, jedoch vermutlich vom Vater überarbeitet) in dem vom holländischen Aernout Vosmaers um 1776 komponierten Album amicorum.
- Kunsthistorische Bedeutung
Anhand dieser im Kontext der Lehrpraxis entstandenen Zeichnung wird deutlich, dass Piranesis Werkstattmaterial auch aus Übungsblättern bestand. Das Blatt zeigt exemplarisch, dass Piranesis Repertoire ornamentaler Fragmente seinen Ursprung in einer weit in die Renaissance zurückreichenden Tradition von gedruckten und gezeichneten Ornamentdarstellungen hat. Diese Filiation bzw. Verbindung mit einem seit Jahrhunderten festgelegten Formenrepertoire nach der Antike nutzte Piranesi bei der Gestaltung seiner Kaminentwürfe und seinen Kandelabern auch zur Legitimierung seiner eigenen Erfindungspraxis. Gerade die ornamentalen Fragmente und Motive sind entscheidenden Verbindungselemente zwischen den antiken Versatzstücken und Piranesis Assemblagen, die seine künstlerischen Innovationen ausmachen. Die Wiederverwendung dieses Repertoires ermöglicht es Piranesi, etwas Neues, aber nicht weniger Authentisches zu erzeugen. In seinem Ragionamento apologetico wird er später erläutern: „Diese Monumente, von denen einige von ausgezeichnetem Geschmack und Ausführung sind, andere wiederum mittelmäßig [...] zusammen mit dem Studium der Natur und der antiken Autoren, und verbunden mit meinen Überlegungen über alte und moderne Bräuche, haben mich in die Lage versetzt, mit meiner Arbeit den alten und eintönigen Weg zu verlassen und dem Publikum etwas Neues in diesem Genre präsentieren zu können.“[1]
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Ragionamento apologetico, in: Giovanni Battista Piranesi: Diverse Maniere d’adornare i cammini, Rom 1769, S. 35, „[…] questi monumenti, quali d’ottimo gusto, e lavoro, quali di mediocre […] uniti allo studio della natura, e degli antichi autori, alla riflessione sulle antiche costumanze, e sulle moderne, m’anno messo in istato di uscire co‘ miei lavori dalla vecchia, e monotana carreggiata, e di poter presentare al publico qualche cosa di nuovo in questo genere.”
- Merkmale des Papiers
Ohne Wasserzeichen
Herstellungsmerkmale:
Gebläut (einzelne blaue Fasern; Detail 1); mittlere Stärke; sehr feine Siebstruktur; ungleichmäßiger Stegschatten; zahlreiche holzige Einschlüsse; prägnante Filzmarkierung; vermutlich gelatinegeleimt (UVF; Abb., zoomen Sie hier in das Blatt); im Reflexlicht streifiger Oberflächenglanz (manuell geglättet).
Detail 1: Blau gefärbte Faser Durchlicht: Papierstruktur (Blatt auf Folio liegend), rechts Spanndraht erkennbar (Bogenrand) Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Schwarze Kreide: Leicht (Details 2, 5, 6) bis kräftig deckend (Details 2, 3, 4) aufgetragen; mattschwarzer Farbeindruck; in dünnen Linien weit verstreuter Pigmentabrieb vor allem auf Erhebungen im Papier; in einzelnen deckenden Bereichen kompaktes, pastoses Erscheinungsbild und stellenweise furchiger Strich (Detail 2, close-up; Detail 4); stellenweise streifiger Strich mit Kratzspuren (Detail 5).
Detail 2Schwarze Kreide, in Vorzeichnung und Ausführung unterschiedlich kräftig aufgetragen (zentrales florales Element)
Detail 3: Auflicht
Schwarze Kreide, unterschiedlich kräftiger Auftrag (Pegasuskopf)Detail 4: Auflicht
Schwarze Kreide, unterschiedlich kräftiger, teils furchiger Auftrag (Pegasusflügel)Detail 5: Auflicht
Schwarze Kreide, variabel aufgetragen, Kratzer im Strich an der Schraffur l.o. (mittleres Akanthusblatt linke Seite)Detail 6: Auflicht
Schwarze Kreide, flüchtige Linien der Vorzeichnung (Akanthusblätter rechte Seite)Detail 7: Auflicht
Schwarze Kreide, in Vorzeichnung und Ausführung unterschiedlich kräftig aufgetragen (zentrales florales Element); Close-up: Furchiger Strich mit anhaftenden PartikelnMaria Krämer
- Zeichnerischer Prozess
Die Kapitellzeichnung vereinigt mehrere Stufen der Ausarbeitung. Obwohl es bei der Darstellung eines architektonischen Ornaments nahe gelegen hätte, die Zeichnung auf Konstruktionslinien aufzubauen, wurde hier nahezu gänzlich darauf verzichtet. Lediglich die horizontalen Parallelen wurden mit einem Lineal gezogen. Mit einem Zirkel gesetzte Einstiche zur Abnahme von Abständen fehlen vollständig. Auch für die Unterteilung der gleichmäßig verlaufenden Kanneluren wurden keine Markierungen vorgenommen. Die zentrale obere Rosette wurde nicht gezirkelt, sondern weist deutlich mehrfach korrigierende Linien auf. Die Vorzeichnung der Ornamente auf der rechten Seite wurde ohne suchende Strichführung mit wenigen, zarten Linien in den Außenkonturen angedeutet. Die Linien sind dabei häufig unterbrochen und verlieren, wie im Bereich der Schnecke und der Akanthusblätter teils ihre Lesbarkeit. Die Figur des Pegasus weist angedeutete Muskeln auf, die jedoch nicht ausgeführt wurden. In weiten Teilen hat die Linienführung, besonders deutlich an den Kanneluren unten, eine mechanische Qualität. Die linke Seite des Kapitels stellt zeichentechnisch ein Gegenstück zur rechten dar: Auch hier gibt es zarte Vorzeichnungen, die jedoch auch Korrekturen in der Formfindung aufweisen, erkennbar an der sich vorwölbenden Spitze des linken Akanthusblattes, den Vorderläufen und dem Maul der Pegasusfigur. Die ganze linke Seite mit Ausnahme des unteren Abschlusses wurde mehrfach in schwarzer Kreide überarbeitet. Schraffuren verleihen dem Pferdekörper Plastizität, schummernd eingesetzte Kreide füllt verschattete Partien und in das Papier eingedrückte Kreidestriche setzen tiefschwarze Akzente (Detail 3).
Der obere Abschluss des Kapitells scheint links nachträglich in Orientierung an der rechten Seite frei hinzugefügt worden zu sein. Die Einzeichnung des Profils und die Markierung der Abstände der gemeißelten Linien erinnern an andere Blätter in den Alben wie das Adlerrelief von Santi Apostoli (IX 5159-35-35-1) oder das Rankenrelief von San Giorgio (IX 5159-35-15-4). Eine diagonale Schraffur über dem Kapitell könnte die Andeutung einer Beschädigung sein.
Aufgrund des zur Zeit der Entstehung der Zeichnung bekannten Drucks von Antonio Labacco (siehe Beschreibung und Komposition) stellt sich die Frage, ob diese Darstellung möglicherweise teilweise von dort abgepaust sein könnte. Auffällig ist die fast vollständige Übereinstimmung mit Labaccos Radierung an den Konturen auf der rechten Seite (Abb. 11), während die linke Seite deutlich abweicht und dem antiken Kapitell nähersteht. Erkennbar ist auch eine Abweichung der Volute, die sich in der Radierung nach vorne eindreht. Während diese Form in der Zeichnung rechts nur undeutlich ausformuliert ist, wurde sie links äußerst plastisch gestaltet, dreht sich dort aber nach hinten ein. Im antiken Pilaster ist die Schnecke jedoch nicht erhalten.
Abb. 11: Digitale Überblendung der Zeichnung (blau) mit dem Druck von Antonio Labacco (gelb, unterliegend, vgl. Abb. 2)
Photomontage: Maria Krämer; Druck von Antonie Labacco: Unversität Heidelberg, CC0Maria Krämer
- Merkmale historischer Nutzung
Blattrand oben beschnitten, unten und rechts Büttenrand, rechts teils angeschnitten; linker Blattrand ungleichmäßig entlang eines senkrechten Falzes gerissen; ausgerissene und gedünnte Ecken deuten auf eine frühere Montierung hin; paarige Einstichlöcher von Stecknadeln oben und unten mittig, dort leichte Fluoreszenz (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt)
Maria Krämer
- Prozesse historischer Nutzung
Die Stecknadeleinstiche am oberen und unteren Rand könnten auf die Befestigung des Blattes auf der gedruckten Vorlage hindeuten; eine leichte Fluoreszenz um die Ränder weist jedoch eher auf die Befestigung eines geölten Papiers hin, das für eine Pause genutzt wurde.
Montierungshistorie:
Schäden bei der Entfernung von einer Unterlage belegen eine frühere Montierung. Es ist unklar, ob die gelbliche Fluoreszenz an diesen Stellen (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt) vom Klebstoff der früheren Montierung oder der Weinbrenner-Montierung stammt.
Schlagwörter
- Marmor
- Piranesi-Werkstatt
- Italienisches Papier
- Schwarze Kreide
- Charles-Louis Clérisseau
- Baldassare Peruzzi
- Sebastiano Serlio
- Mars-Ultor Tempel
- Labacco, Libro
- Serlio, Regole
- Rom, Musei dei Fori Imperiali
- Kapitell
- Akanthusranken
- Pause
- IX 5159-35-29-4
- Stilistische Gruppe 09
GND-Begriffe
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