In dem Karlsruher Blatt mag man zunächst eine stilistische Nähe zu der ebenfalls in schwarzer Kreide gezeichneten Vorlage für Piranesis 1776 gedruckter Radierung der Villa Doria-Pamphilj erkennen (Abb. 3). Diese in den Uffizien in Florenz aufbewahrte Zeichnung (Inv. 96009) besitzt eine konstruierte Grundzeichnung, mit der Perspektive und Bildkomposition festgelegt wurden. Am deutlichsten ist die Übereinstimmung bei den akkurat angelegten Terrassen und Architekturgliederungen (Abb. 4) sowie den in den Kubaturen angedeuteten, blockhaft beschnittenen Bäumen und Hecken entlang der Wege (Abb. 5). Im Unterschied zum Karlsruher Blatt wurde die Ansicht der Villa Doria-Pamphilj in den Gartenpartien jedoch weiterführend überaus kraftvoll und lebendig ausgearbeitet, zweifellos von Giovanni Battista Piranesi selbst.
Abb. 3: Giovanni Battista Piranesi, Ansicht der Villa Doria-Pamphilj, vor 1776, schwarze Kreide, Florenz, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe delle Gallerie degli Uffizi, 96009 © Foto: Gallerie degli Uffizi; mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur. Jegliche Reproduktion oder Vervielfältigung ist ausdrücklich verboten.Abb. 4: Detailvergleich von Architekturelmenten in der Ansicht des Garten der Villa d’Este und der Ansicht der Villa Doria-Pamphilij: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, IX 5159-35-4-1v; Florenz, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe delle Gallerie degli Uffizi, Inv. 96009 © Foto: Gallerie degli Uffizi; mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur. Jegliche Reproduktion oder Vervielfältigung ist ausdrücklich verboten.Abb. 5: Detailvergleich der blockhaften Baumalleen in der Ansicht des Garten der Villa d’Este und der Ansicht der Villa Doria-Pamphilij: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, IX 5159-35-4-1v; Florenz, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe delle Gallerie degli Uffizi, Inv. 96009 © Foto: Gallerie degli Uffizi; mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur. Jegliche Reproduktion oder Vervielfältigung ist ausdrücklich verboten.Sollte es sich bei dem Blatt der Villa Doria-Pamphilj um zwei Zeichner handeln, wären wesentliche Elemente wie die in Perspektive und Proportionen korrekte Wiedergabe der Ansicht auf einen Werkstattmitarbeiter zurückzuführen, die in einem zweiten Schritt von Piranesi malerisch-dynamisch belebt wurde. Grundsätzlich verzichtete Piranesi vor allem in der zweiten Hälfte seiner Karriere ab 1760 darauf, Vorzeichnungen für gedruckte Vedutenkompositionen vollständig auszuarbeiten. Dieser Umstand fiel auch dem französischen Maler Hubert Robert auf, als er gemeinsam mit Piranesi zeichnete.[1]
Diskrepanzen zwischen konstruiertem „Hilfsgerüst“ und expressiver Ausarbeitung lassen sich auch bei weiteren topographischen Ansichten Piranesis ablesen, etwa bei der fragmentarisch erhaltenen Vorzeichnung für die Vedute des Septimius-Severus-Bogens aus der Sammlung von Vincent J. Buonanno.[2] Gesichert ist, dass in Piranesis Werkstatt Benedetto Mori (aktiv in den 1760er-Jahren bis Anfang 1800) arbeitete, der als Architekturzeichner an solchen Zeichnungen partizipiert haben könnte.[3] Doch muss es sich immer um zwei Hände handeln oder liegt nicht der trockene Charakter einer mit Lineal angelegten Konstruktions- bzw. Architekturzeichnung in der Natur der Sache? Die zeichnerische Umsetzung der architektonischen Elemente des Karlsruher Blattes erinnert an die Vorzeichnung für die Vedute des Kapitols im British Museum (Abb. 6), die mal mit Lineal, mal freihändig und gröber gezogene Linien sowie kleinteilige und dennoch präzise Elemente aufweist. Besonders vergleichbar sind die summarisch angelegten Fensteröffnungen in den Gebäuden rechts von der Fontana dell’Organo, die in der Ansicht des Kapitols in den Häusern hinter den Dioskuren ihre Entsprechung finden (Abb. 7).[4]
Abb. 6: Giovanni Battista Piranesi, Ansicht des Kapitols in Rom, Rötel und schwarze Kreide, in Feder und Tinte überarbeitet, 404 x701 mm, The Trustees of the British Museum, 1908,0616.45CC BY-NC-SA 4.0 Abb. 7: Detailvergleich von Architekturelementen in der Ansicht des Garten der Villa d’Este, The Trustees of the British Museum, 1908,0616.45 und der Ansicht des Kapitols in Rom: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, IX 5159-35-4-1vCC BY-NC-SA 4.0 Auch wenn die zeichnerische Vorgehensweise bei architektonischen Elementen und den blockhaft angedeuteten Hecken sowie der unvollendete Charakter der gesamten Ansicht an die topographischen Zeichnungen Piranesis erinnern, fehlt dem Karlsruher Blatt die für Piranesi eindeutige Charakteristik, sein expressiver Duktus. Dadurch wird eine eindeutige Zuschreibung dieser Ansicht aus dem Garten der Villa D’Este an ihn erschwert. Insgesamt ist die Zeichnung sehr homogen ausgeführt, besitzt kaum Kontraste und zeigt Schwächen in der perspektivischen Wiedergabe der von Hecken gesäumten Wege. Die Bäume sind zwar auch skizzenhaft angelegt, aber eben nicht in dem für Piranesi typischen knorrig-expressiven Ausdruck, das Blattlaub durch eine hakenschlagende Stiftführung in Zickzacklinien summarisch zusammenzufassen und Baumstämme und sich verzweigendes Geäst durch kräftige Schraffuren in ihrer Gestik zu steigern.
Aufgrund dieser Unwägbarkeiten könnte es sich bei der Karlsruher Zeichnung um einen Werkstattmitarbeiter handeln, der vielleicht 1773[5] oder kurz davor zeitgleich mit Piranesi in Tivoli zeichnete. Eine genauere Eingrenzung, etwa auf den Architekturzeichner Benedetto Mori oder eines von Piranesis älteren Kindern (Laura oder Francesco) erscheint aufgrund fehlenden Vergleichmaterials aktuell nicht möglich.
Georg Kabierske
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