Die hier besprochene Zeichnung eines Kapitells aus den Farnesischen Gärten sowie die der Säulenbasis IX 5159-35-38- 1 lassen sich besonders gut mit der Serie von Kapitellen und weiteren Bauornamenten aus dem Bestand David Vogels in Zürich vergleichen (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, F.A. Escher vG.188.6). Es handelt sich dabei um eine Serie von großformatigen Zeichnungen, die der Schweizer Architekt um 1764/65 aus Rom nach Zürich gesendet hatte (siehe zur Geschichte der Zeichnungen IX 5159-35-38-1 ).[1] Stilistisch sind die Züricher Blätter mit der Zeichenart von Nicolas François Daniel Lhuillier zu verbinden, mit dem Vogel in Rom in engem Kontakt gewesen war. Sie können als Zeichnungen von Lhuillier selbst und in einigen Fällen als Kopien nach seinen Vorlagen bewertet werden. Vergleicht man die Karlsruher Zeichnung mit einem dieser Kapitelle, zum Beispiel dem aus Santa Maria in Cosmedin auf Folio 74, so werden Unterschiede in der Ausführung der Schraffierungen und der Details deutlich. Die Karlsruher Zeichnung weist parallele Linien auf, die jedoch größere Abstände besitzen. In der Züricher Zeichnung sind die Schraffuren hingegen dichter und die Schattierungen verwischter, was den Gesamteindruck sanfter erschienen lässt (Abb. 2). Diese auffallenden Differenzen in der Ausführung machen die Komplexität der Zuschreibungsfrage gerade angesichts der in Kopien angestrebten Nachahmung und der fehlenden Autorenangabe deutlich (mehr dazu siehe IX 5159-35-38-1 ).
Abb. 2: Detailvergleich zwischen Kompositkapitell aus den Farnesischen Gärten, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-37-1, und Nicolas François Daniel Lhuillier, Antikes Kompositkapitell aus Santa Maria in Cosmedin, 1764–1765, schwarzer Stift, 535 x 649 mm (ganzes Blatt), Zentralbibliothek Zürich, Vogel-Escher-Album, FA Escher vG. 188.6, fol. 74CC0 1.0 Ebenso wie das Karlsruher Blatt sind die Zeichnungen in Zürich zumeist in schwarzer Kreide ausgeführt. Von dem Kapitell aus den Farnesischen Gärten ist jedoch eine Zeichnung in grauem Pinsel über schwarzer Feder vorhanden (Abb. 3). Diese hat die gleichen Maße wie die Karlsruher Zeichnung, ist motivisch identisch und entspricht auch dem charakteristischen Darstellungsmodus Lhuilliers. Auch die lavierten Schattierungen stimmen mit denen der Karlsruher Zeichnung überein. Trotz ihrer unterschiedlichen Technik wurde die Zeichnung daher offensichtlich im selben Rahmen des Kopierens nach Zeichnungsvorlagen hergestellt. Während Lhuillier rote und schwarze Kreide bevorzugte, zeichneten andere auf dem Gebiet der Ornament- und Architekturzeichnung spezialisierte Zeichner wie Vincenzo Brenna (1747–1818?) eher mit Feder und Pinsel, wenngleich nicht nur. Obwohl dieses Blatt wahrscheinlich nicht vor dem Original gezeichnet wurde, weist die Beschriftung aus der Hand David Vogels auf die Verortung des dargestellten Kapitells hin.[2]
Abb. 3: David Vogel? (nach Nicolas François Daniel Lhuillier), Kapitell aus den Farnesischen Gärten, um 1764–1765, Feder und Pinsel laviert, 609 x 458 mm, Zentralbibliothek Zürich, Vogel-Escher-Album, FA Escher vG.188.6, fol. 76CC0 1.0 In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant, dass sich innerhalb des anderen wichtigen Konvoluts aus Piranesis Werkstatt in der Morgan Library ebenfalls die Zeichnung eines Kapitells in schwarzer Kreide befindet (Abb. 4). Dieses Kapitell wurde nach einem anderen Vorbild gezeichnet und nur zur Hälfte dargestellt, wie es oft bei Ornamentzeichnungen vorkommt. Es wirkt etwas ungelenk, insbesondere hinsichtlich der perspektivischen Darstellung der Volute. Die Schattierungen und Konturen sind wenig akkurat ausgeführt. Hier wie auch in den Akanthusblättern wirken die Korrekturen sehr bemüht. Auch wird im Vergleich zu anderen skizzenhaften Ornamentzeichnungen des Karlsruher Bestands in der Art Lhuilliers (z.B. das WellenrankenfriesIX 5159-35-14-2 oder der Rankenpilaster IX-5159-35-11-2 ) der Mangel an Spontaneität deutlich. Daher dürfte es sich in diesem Fall nicht um eine eigenhändige Zeichnung Lhuilliers vor dem Marmororiginal zur Vorbereitung einer Reinzeichnung handeln. Die mangelnde Spontaneität legt eher die Zuschreibung an eine lernende Hand nahe. Vermutlich handelt es sich hier um eine Kopie nach einer gezeichneten Vorlage Lhuilliers, oder um eine Zeichnung vor dem Marmororiginal (oder vor einem Gipsabguss), wobei Lhuillier als Lehrer dem Zeichner assistiert haben könnte.
Abb. 4: Unidentifiziert Zeichner, Kapitell, 1760er Jahre?, schwarze Kreide, 393 x 267 mm © The Morgan Library & Museum. 1966.11:27. Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. Morgan.
In der Sammlung des englischen Architekten George Dance (1741–1825), der zwischen 1761 und 1764 in Rom lebte, befindet sich der Abklatsch eines vergleichbaren Kapitells in schwarzer Kreide im Stil Lhuilliers (London, Sir John Soane’s Museum, Dance Sammlung, 46 x 54,5 cm, Inv. D3/1/20 ). Dieser zeugt erneut von der Verbreitung derartiger Motive durch das Abklatschverfahren, das nicht nur für kleinere Rosetten und Ornamentfriese verwendet wurde, sondern auch für großformatige Bauelemente. Aus Dances Briefen geht hervor, dass er antike Bauteile nachzeichnete und vermaß, aber auch dank einer erteilten Erlaubnis Teile des römischen Tempels des Jupiter Stator abformen ließ, um die Abgüsse zusammen mit den Zeichnungen nach England zu schicken.[3] Aus den schriftlichen Quellen und Dances Praxis wird klar, dass Zeichnungen und Gipse von Bauornamenten eine komplementäre Rolle für das Studium und Exportieren der Antike ins Ausland spielte (dazu siehe auch Essay „Rosetten-Zeichnungen" ).
Bénédicte Maronnie
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