Das Friesornament ist für Lhuilliers gezeichnetes Motivrepertoire charakteristisch, wie es vergleichbare Beispiele im Livre d'ornements (1772/73) zeigen. Der Rankenpilaster aus dem Titusbogen ist auf der Tafel 14 seitenrichtig abgebildet. Unterschiede in der Ausführung des Sockels und einiger Details in der Ranke belegen, dass die Zeichnung keine Kopie nach dem Pariser Druck sein kann. Sie muss hingegen im römischen Kontext von Lhuillier oder in seinem Umfeld gezeichnet worden sein (siehe Zeichenstil ), während er wahrscheinlich ein weiteres von seiner Hand gezeichnetes Exemplar des Motives 1768 für die Umsetzung in den Druck nach Paris gebracht hatte.
Sowohl die Ranke vom Titusbogen als auch das vergleichbare Motiv vom Argentarierbogen wurden besonders im 18. Jahrhundert durch die Zeichnungen und Drucke Lhuilliers verbreitet. Dieser scheint die Varianten vergleichbarer Ornamente aus der römisch-antiken Kunst aufgenommen zu haben, um sie wiederum seriell in der Graphik zu reproduzieren. In seinem Livre d’ornements sind beide Motive abgebildet und im Soane’s Museum wird eine Zeichnung mit dem Rankenmotiv des Argentarierbogens (Adam vol. 26/70) in der Art Lhuilliers aufbewahrt. Wie eine weitere Giuseppe Mannocchi (1731–1782) oder Antonio Zucchi (1726–1795) zugeschriebene Zeichnung eines dekorativen Paneels nahelegt, die im Kontext der Werkstatt der Gebrüder Adam in London (Soane‘s Museum, Adam vol. 26/145) entstanden ist, dürfen solche antiken Ornamente und vor allem ihre nach England gebrachten Zeichnungen als Quelle für Neuinventionen gedient haben.
Innerhalb des Zeichnungsbestands des Züricher Architekten Hans Caspar Escher (1775–1859) befindet sich eine ungefähr gleich große, saubere und klare Fassung (Reinzeichnung) des Rankenfrieses in Rötel (Abb. 5). Die Analyse des Vogel-Escher-Konvoluts in Zürich (Zentralbibliothek, Handschriftenabteilung, F.A. Escher vG.188.6) ergab, dass diese Zeichnungen aus dem Escher-Nachlass vermutlich und zumindest zum Teil auch aus der Piranesi-Werkstatt stammen.[1] Es ist unklar, unter welchen Umständen diese Zeichnungen in den Besitz von Escher gelangten. Entweder bekam er sie von seinem guten Freund Friedrich Weinbrenner, bei dem er in Rom und Karlsruhe ausgebildet wurde, oder er erwarb sie selbst in Rom bei derselben Quelle, aus der auch Weinbrenner seine Zeichnungen erhalten hatte. Interessant ist, dass sich das gleiche Motiv in beiden Sammlungen befindet. Dies betrifft auch das Adlerrelief aus der Kirche Santi Apostoli (IX 5159-35-35-1), von dem ein Abklatsch in Eschers Sammlung vorhanden ist.
Abb. 5: Nicolas François Daniel Lhuillier, Rankenpilaster mit Adler vom Titusbogen, rote Kreide, 582 x 117 mm, Zentralbibliothek Zürich, FA Escher vG 188.6, Falz 8, Zeichnung 13CC0 1.0 Im Unterschied zum Züricher Blatt ist die Karlsruher Zeichnung schnell und flüchtig ausgeführt und könnte als erster Entwurf Lhuilliers vor dem Marmororiginal gedeutet werden. Wahrscheinlich skizzierte Lhuillier die antike Motive zunächst, um sie in einem zweiten Schritt in sauberer und idealisierter Fassung (Reinzeichnung) in Rötel oder in schwarzem Stift zu zeichnen. In Karlsruhe weisen weitere Blätter eine solche skizzenhafte Qualität auf (siehe Zeichnungsgruppe 6 ). Anderseits könnte es sich hier auch um eine Kopie nach Lhuilliers Vorbild durch einen nicht identifizierten, in der Piranesi-Werkstatt tätigen Zeichner handeln. Die linke Hälfte des Rankenfrieses wurde nachträglich kräftig überarbeitet: Ob die gleiche oder eine zweite Hand (vielleicht die von Giovanni Battista Piranesi) in die eher zögernd anmutende Vorzeichnung eingriff, ist nicht eindeutig zu beantworten. Beim Vergleich von Details wie den symmetrisch platzierten Vögeln links und rechts auf dem unteren Blattkranz fallen unterschiedliche Zeichnungsqualitäten auf. Die Zeichnung könnte von demselben Zeichner in einer kräftigeren Strichausführung weiter ausgearbeitet worden sein. Vor allem im Kopf des Adlers weist die Überarbeitung jedoch einen energischen Duktus auf, durch den die Konturen zwar kräftiger, jedoch nicht unbedingt klarer werden, und der an die Art von Giovanni Battista denken lässt.
Der englische Architekt Thomas Hardwick (1752–1829) brachte von seinem römischen Aufenthalt von November 1776 bis Mai 1779 sieben Alben mit Zeichnungen nach England zurück, meistens Kopien nach Zeichnungen und Druckgraphiken zeitgenössischer Künstler (u.a. nach Clérisseau, Manocchi, Antonini, Piranesi), die wohl nicht alle von ihm selbst ausgeführt wurden.[2] In dem vierten Hardwick-Zeichnungsalbum befindet sich eine Umrisszeichnung derselben Pilasterranke auf geöltem Papier, die nach einem unbekannten Vorbild kopiert wurde (Abb. 6). Diese Kopie ist wahrscheinlich während Hardwicks Aufenthalt in Rom in den 1770er Jahren entstanden, obwohl es auch nicht gänzlich auszuschließen wäre, dass dieses Blatt früher entstand, und später von Hardwick eingeklebt wurde. Auf dem gleichen Blatt ist links daneben ein weiterer Rankenfries abgebildet, von dem in Karlsruhe ebenfalls ein gezeichnetes Exemplar existiert (IX 5159-35-3-2 ). Auf dem Kunstmarkt (Palau Antiguitats Barcelona) hat Georg Kabierske ein anonymes Blat t mit beiden, dort auch nebeneinanderstehenden Rankenfriesen identifiziert, die aus dem gleichen Kontext der Kopierpraxis nach Lhuillier und Clérisseau stammen könnten.[3] Die Existenz der beiden Blätter mit der gleichen Anordnung beider Ranken führt zu der Annahme, dass sie vermutlich nach einer gemeinsamen, nicht identifizierten, gezeichneten Vorlage kopiert wurden, die in Rom zirkulierte. Da präzisere Angaben zu den Zeichnungen fehlen, kann diese Hypothese hier nicht weiter verfolgt werden.
Abb. 6: Kopie nach Nicolas Lhuillier, Rankenpilaster mit Adler vom Titusbogen und Rankenwelle, Feder (?) auf Ölpapier, London, Research Institut for British Architects, Hardwick-Album VOS/4 f.8 © RIBA Collections, RIBA127517Die Papiere der beiden Karlsruher Zeichnungen IX 5159-35-11-2 und IX 5159-35-3-2 ähneln sich der Analyse von Maria Krämer nach sehr (siehe Merkmale des Papiers ). In der Durchlichtaufnahme ist in beiden Fällen eine starke, senkrechte Falzung im mittleren Blattbereich zu sehen. In Verbindung mit den beiden oben kommentierten Blättern aus dem Hardwick-Album und im Kunsthandel liegt die Vermutung nahe, dass beide Zeichnungen in Karlsruhe vielleicht ursprünglich Teil eines Papierbogens waren. Die beschnittenen Kanten der Zeichnungen lassen sich jedoch nicht zusammenfügen, so dass diese Annahme nicht bestätigt werden kann.[4]
Bénédicte Maronnie
Kommentare
Hier können Sie uns Anmerkungen und Kommentare zu unseren Objekten hinterlassen, die nach Sichtung durch unsere Mitarbeiter*innen allen Leser*innen angezeigt werden.