Das imperiale Adlerrelief aus Santi Apostoli ist seit der Renaissance in wenigen Zeichnungen kopiert worden, wobei es sich bei dem Benozzo Gozzoli (um 1420–1497) zugeschriebenen Blatt (um 1447–1449, Abb. 4) um die wohl älteste erhaltene Nachzeichnung handelt.[1] Vor dem 18. Jahrhundert erscheint das Motiv sehr stilisiert und nicht in seiner realen Plastizität wiedergegeben. Bei Gozzoli wie auch in einer Skizze von Maarten van Heemskerck (1498–1574, um 1532–1536, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. 79 D 2, fol. 16 recto) wurde der Adler vor dem Reliefgrund freigestellt und ähnelt mit seinem dünnen Eichenlaubkranz und mageren Flügeln eher einem metallischen Objekt als einer antiken Standarte.[2] Ebenso wie die Medici-Ranke (IX 5159-35-10-1) erfuhr auch der Adler erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine weite Verbreitung als idealisiertes Ornamentmotiv, das schließlich verstärkt in der Architektur und Innenausstattung des Klassizismus aufgegriffen wurde.
Abb. 4: Benozzo Gozzoli, Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, um 1447–1449, Feder in Braun, mit Pinsel braun laviert, 158 x 155 mm, Stockholm, Nationalmuseum, Inv. NMH 88/1863 Foto: Cecilia Heisser/Nationalmuseum, CC0 1.0 Bevor in einem zweiten Arbeitsschritt die Altersspuren des Adlerreliefs in die Karlsruher Zeichnung eingetragen wurden, fertigte man einen Abklatsch an, den Bénédicte Maronnie 2019 im Vogel-Escher-Album in der Zentralbibliothek Zürich erstmals identifizieren konnte (Abb. 5).[3] Jenes Blatt gehört zum zweiten Teil des Albums, der vom Schweizer Architekten Hans Caspar Escher (1775–1859) mit eigenen aus Rom mitgebrachten Zeichnungen ergänzt wurde. Diese bildeten mit den Zeichnungen aus Weinbrenners Nachlass Ende der 1790er Jahre ein gemeinsames Konvolut, wie Maronnie anhand der Medici-Ranke (IX 5159-35-10-1) nachweisen konnte. Da sich Escher als früher Schüler und Freund Weinbrenners zeitgleich mit ihm in Rom aufhielt und beide 1797 zusammen nach Karlsruhe zurückkehrten, erscheint eine gemeinsame Erwerbung der Zeichnungen in Rom wahrscheinlich. Die übereinstimmende Herkunft der Originalzeichnung in Karlsruhe und des seitenverkehrten Abklatsches in Zürich aus der Piranesi-Werkstatt weisen darauf hin, dass der Abklatsch angefertigt wurde, um das idealisierte Motiv zu vervielfältigen oder noch vor seiner Überarbeitung zur weiteren Verwendung in Piranesis Motivsammlung zu bewahren. Ornamentale Motive wie das Adlerrelief sind auch in seitenverkehrter Ausrichtung lesbar und konnten als Vorlage für eine weitere Rezeption dienen.
Eine in den Maßen, in der Ausrichtung und im Zeichenmedium mit dem Abklatsch vergleichbare Version des Adlers, ebenfalls ohne Überarbeitung, befindet sich im Musée des Beaux-Arts in Quimper (Abb. 6).[4] Die Enden des Schmuckbandes und die seitliche Rahmung des Reliefs fehlen hier, wodurch der Eindruck entsteht, als sei das Blatt nachträglich an den Schmalseiten beschnitten worden. Auch wenn die Zeichnung aufgrund der Rötelschraffuren und kontrollierten Ausarbeitung stilistisch an Lhuillier erinnert, weichen Details wie die Ausformung des Kopfes mit leer wirkender Augenhöhle oder die Oberseiten der Flügelansätze links und rechts der Schultern von den beiden ihm zugeschriebenen Blättern in Zürich und Karlsruhe ab. Daher wurde diese Zeichnung vermutlich nicht nach dem heute in Zürich aufbewahrten Abklatsch kopiert, sondern nach einem anderen Abklatsch einer weiteren Idealdarstellung desselben Adlers.
Abb. 5: Nicolas François Daniel Lhuillier, Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, um 1755–1768, Abklatsch in Rötel, 725 x 352 mm (mit Rand), 651 x 276 mm (ohne Rand), Zürich, Zentralbilbiothek, Vogel-Escher Album, FA Escher vG.18.8.6, Falz 1, Zeichnung 1
Abb. 6: Unbekannter französischer Zeichner, Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, zweite Hälfte 18. Jahrhundert, Rötel, 26,7 x 48,2 cm © Musée des Beaux-Arts Quimper, 873-02-1455Dass eine künstlerische Zuordnung auch immer zu problematisieren ist, zeigt eine weitere, wenn auch im Relieffeld abgeänderte und 43,9 x 150 cm messende Zeichnung des Adlers in schwarzer Kreide aus der Werkstatt des französischen Architekten Jean-François-Thérèse Chalgrin (1739–1811). Trotz ihres skizzenhafteren Duktus‘ erinnert sie an den Stil Lhuilliers. Sie wurde zusammen mit einem von Chalgrin beschrifteten und auf 1768 datierten, stilistisch übereinstimmenden Entwurf für ein Konsolgesims im Hôtel de Saint-Florentin in Paris 2017 im Pariser Kunsthandel verkauft (Artcurial, Auktion 3034, Maîtres ancien & du XIXe siècle, 23.03.2017, Lot 43 , Lot 44 ). Der Adler ist hier in ein deutlich größeres Relieffeld gesetzt, dessen Rahmung abweichend vom Original mit einem lesbischen Kyma verziert ist. Da Chalgrin 1758–1763 in Rom war, könnte er das prominente Vorbild der Zeichnung selbst gesehen haben. Aber es ist auch schriftlich belegt, dass Lhuillier in den Jahren nach seiner Rückkehr nach Paris 1768 für Chalgrin als Ornamentbildhauer gearbeitet hat, weshalb eine Urheberschaft oder zumindest Beeinflussung dieser Zeichnung durch denselben jedoch nicht ausgeschlossen werden.[5]
Lhuillier arbeitete in Paris vor allem als Ornamentbildhauer für den Architekten François-Joseph Bélanger (1744–1818) und stellte diesem seine Zeichnungssammlung römischer Motive zur Verfügung. Wie zwei von Bélanger signierte, aus stilistischen Gründen jedoch Lhuillier zuzuschreibende Zeichnungen in schwarzer Kreide für den Speisesaal im Schloss Maisons-Laffitte bei Paris nahelegen, dürfte Lhuillier neben der dreidimensionalen Umsetzung von Baudekor auch eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung von Entwürfen im Atelier des Architekten übernommen haben, bei der er sein Talent für ornamentale Kreidezeichnungen einsetzten konnte.[6] Neben dem Kaminrelief (Abb. 7) in besagtem Speisesaal rezipierte Lhuillier den Adler aus Santi Apostoli überdies bei der Attikabekrönung des Pavillon de Bagatelle und im Giebel des sogenannten Grand Rocher der Folie Saint-James in Neuilly-sur-Seine bei Paris (Abb. 8).[7] In idealisiertem Zustand publizierte Lhuillier das Adlerrelief 1772 zudem als Radierung in seinem Livre d’ornements (Abb. 9). Ein in Größe und Darstellung eng verwandter Abklatsch in roter Kreide nach einer möglichen Vor- oder Nachzeichnung der Graphik befindet sich auch in der Collection Maciet im Musée des Arts décoratifs in Paris (Abb. 10).[8]
Abb. 7: Nicolas François Daniel Lhuillier, Kaminsturz im Speisesaal des Schlosses Maisons-Laffitte, 1779–1781, Kalkstein Foto: Georg Kabierske, CC0 1.0 Abb. 8: Nicolas François Daniel Lhuillier, Giebelrelief des Grand Rocher im Garten der Folie Saint-James, Neuilly-sur-Seine bei Paris, 1780, Kalkstein Foto: Georg Kabierske, CC0 1.0
Abb. 9: Nicolas François Daniel Lhuillier/Doublet, Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, in: Livre d’ornements à l’usage des artistes, Paris um 1772/73, fol. 9 unten, Radierung, 494 x 315 mm (Blatt), Paris, INHA, Bibliothèque Jacques Doucet, fol. Est 611CC0 1.0 Abb. 10: Nicolas François Daniel Lhuillier (oder Kopie nach), Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, Abklatsch in Rötel, Paris, Musée des Arts décoratifs, Album Décoration. Frises. Pays divers. XVIIIe siècle. France-Z, Inv. Maciet 235/13, fol. 66 © MAD, Paris
Kleinere Kreidezeichnungen des Adlerreliefs im Stil Lhuilliers finden sich auch in anderen aus Rom mitgebrachten Studiensammlungen, etwa im Album 26 der Reisezeichnungen des englischen Architekten James Adam im Sir John Soane’s Museum in London (Abb. 11), das auch mehrere überarbeitete Abklatsche nach Karlsruher Zeichnungen und Originale Lhuilliers enthält. Ebenfalls im Soane’s Museum wird ein anonymes Klebealbum (Abb. 12) aufbewahrt, das zahlreiche stilistisch Lhuillier nahestehende Abklatsche antiker Motive aufweist.[9] Ein weiterer Adler dieser Art befindet sich unter den bislang dem englischen Architekten Thomas Hardwick (1752–1829) zugeschriebenen Zeichnungen im New Yorker Metropolitan Museum (Abb. 13), wobei sich dieses Konvolut von 26 Blättern auch direkt mit Lhuillier in Verbindung bringen lässt (siehe Essay zu Lhuillier). Aufgrund der weniger überzeugenden künstlerischen Qualität, die nicht an die hohe Plastizität der eigenhändigen Zeichnungen Lhuilliers heranreicht, dürfte es sich bei den Adlern im Adam- und im Hardwick-Nachlass um Schülerkopien handeln. Das Blatt im Vol. 129 des Soane’s Museum ist hingegen ein Abklatsch, der sich wiederum seitenrichtig zum Originalrelief verhält. Das heißt, er wurde entweder von einem bereits abgeklatschten und damit seitenverkehrten Motiv hergestellt, oder aber seine Vorlage wurde nach einem Abklatsch gezeichnet. Dieses Phänomen des mehrfachen Abklatschens oder händischen Kopierens lässt sich bei einer Vielzahl der Motive Lhuilliers beobachten.
Abb. 11: Nicolas François Daniel Lhuillier (oder Kopie nach), Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, um 1760–1763, schwarze Kreide, 180 x 437 mm © Sir John Soane’s Museum, London, Adam vol. 26/58Abb. 12: Nicolas François Daniel Lhuillier (oder Kopie nach), Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, Abklatsch in schwarzer Kreide, 350 x 240 mm (Blatt) © Sir John Soane’s Museum, London, Adam vol. 129/144Charakteristisch für den Stil Lhuilliers ist die ausdrucksstarke Reliefwirkung durch Licht und Schatten sowie eine kontrollierte Kreideschraffur in kurzen, parallelen Strichen. Diese zeichnerische Qualität wird insbesondere im Vergleich zu einer lavierten Federzeichnung seines Lehrers Charles-Louis Clérisseau (1722–1820) in der Eremitage Sankt Petersburg deutlich, die den Adler als flächiges Motiv ohne tiefenwirksame Überschneidung des Eichenlaubkranzes mit der oberen Rahmenleiste und losgelöst von der Einbindung in ein Relieffeld wiedergibt.[10] Eine ähnlich schwächere Reliefwirkung zeigen auch die Federzeichnung im 1759–1764 entstandenen römischen Studienalbum des spanischen Architekten Domingo A. Lois Monteagudo (1723–1786) (Madrid, Biblioteca Nacional de España, DIB/18/1/9225/3) sowie ein Romolo Liverani (1809–1872) zugeordnetes Blatt in Feder und Tinte (Abb. 14).
Abb. 13: Nicolas François Daniel Lhuillier (oder Kopie nach), Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, zweite Hälfte 18. Jahrhundert, schwarze Kreide, 189 x 209 mm, New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv. 34.78.2(74) versoPublic Domain Mark 1.0 Abb. 14: Romolo Liverani (?), Adler im Eichenlaubkranz aus Santi Apostoli, erste Hälfte 19. Jahrhundert, Feder in Grau, mit Pinsel grau laviert, 342 × 223 mm, New York, Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum, Inv. 1901-39-1349
Georg Kabierske
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