Dieses Karlsruher Blatt mit den verschiedenen zeichnerischen Elementen gehört zu Piranesis Motivvorlagen, die er im Kompositionsprozess seiner ornamentalen oder architektonischen Entwürfe zu neuen Kreationen zusammenstellte, wie im Folgenden aufgezeigt werden kann. Drei der Figurengruppen fanden in der 1767 gedruckten, erweiterten Auflage von Piranesis architekturtheoretischer Abhandlung Parere su l’architettura Verwendung. Darin fordert er eine neue einfallsreiche Formensprache, die auf Vielfalt, Variation und Kombination antiker Einzelelemente unterschiedlicher Herkunft – wie ägyptischer, griechischer, etruskischer oder römischer Motive – basieren soll. Die eigenwillige Reliefkomposition auf Tafel 7 ist zudem mit einem Zitat aus Ovids Metamorphosen XV – „rerumque novatrix ex aliis alias reddit [reparat] natura figuras “ zu Deutsch „Veränderung liebend, macht [schafft] die Natur stets Anderes aus Anderem neu“ – überschrieben, das Piranesi als Rechtfertigung seiner neuen Formensprache anführt und sie damit durch das Gesetz der Natur selbst legitimiert. Unterhalb dieser Inschrift kehrt die Gruppe aus zwei Mänaden vom Karlsruher Blatt wieder, die eine Herme mit Kranz und Girlande schmücken, leicht modifiziert und dupliziert, etwas größer und nur in Teilen deckungsgleich mit der Zeichnung. (Abb. 3).
Abb. 3: Detailvergleich von Giovanni Battista Piranesi, Taf. 7, in: Parere su l’architettura , 1767 (hier Abzug zwischen 1800-1807), Madrid, Biblioteca Histórica de la Universidad Complutense, BH GRL 5(6) und der Zeichnung IX 5159-36-19-1CC BY-NC 4.0 Die rechte Mänadengruppe in der Radierung kommt der Karlsruher Zeichnung am nächsten. Die eigenhändige, expressive Vorzeichnung der gesamten Komposition von Piranesis Hand in Feder befindet sich in der National Gallery in Washington D.C. (Abb. 4).
Abb. 4: Giovanni Battista Piranesi, Architekturphantasie eines Wanddenkmals, 1764–1766, Feder, braune Tinte und Lavierung über schwarzer Kreide, 607 x 472 mm, National Gallery of Art Washington D.C., 1966.119.1Public Domain Mark 1.0 Darüber hinaus erinnern zwei weitere Figurengruppen des vorliegenden Karlsruher Blattes, wenn auch stärker modifiziert und im Detail abgeändert, an Elemente anderer Radierungen dieser Serie. So etwa für die beiden weiblichen Figuren, die, einander zugewandt, in der Mitte der Attikazone von Tafel 5 einen antiken Dreifuß flankieren. Stephan Morét stellte die Verbindung zu den beiden geflügelten Viktorien des Karlsruher Blattes her, die ebenfalls einen kleineren Dreifuß – hier jedoch kandelaberartig aus mehreren Segmenten aufgebaut – zwischen sich aufnehmen (Abb. 5).
Abb. 5: Detailvergleich von Giovanni Battista Piranesi, Taf. 5, in: Parere su l’architettura , 1767 (hier Abzug zwischen 1800-1807), Madrid, Biblioteca Histórica de la Universidad Complutense, Inv. BH GRL 5(6) und der Zeichnung IX 5159-36-19-1CC BY-NC 4.0 Die beiden weiblichen Figuren der Radierung sind allerdings strenger, aufrechter und ohne Flügel wiedergegeben, so dass sie sich nicht als Viktorien bezeichnen lassen. Auch zu dieser Drucktafel hat sich für die Gesamtkomposition die Vorzeichnung Piranesis in Feder in der National Gallery in Washington D.C. erhalten (Abb. 6).
Abb. 6: Giovanni Battista Piranesi, Architekturphantasie einer Fassade mit bizzarer Ornamentik, 1764–1766, Feder, braune Tinte und Lavierung über schwarzer Kreide, 601 x 472 mm, National Gallery of Art Washington D.C., Inv. 1991.182.17Public Domain Mark 1.0 Im Unterschied zur Karlsruher Zeichnung ist dort die Komposition, wie auch die aller anderen Figuren der Attikazone, lediglich skizzenhaft angelegt worden. Womöglich gab es daher weitere Detailzeichnungen, die als Vorlage für die kleinteiligen Körper in der Radierung dienten.
Die Figurengruppe mit zentraler Viktoria auf der linken Hälfte des Karlsruher Blattes, die seitlich von kleineren Sklaven mit überkreuz vor dem Körper gefesselten Händen flankiert wird, kehrt als grundlegende Dreifiguren-Komposition im unteren Fries von Tafel 6 in doppelter Ausführung wieder (Abb. 7).
Abb. 7: Detailvergleich von Giovanni Battista Piranesi, Taf. 6, in: Parere su l’architettura , 1767 (hier Abzug zwischen 1800-1807), Madrid, Biblioteca Histórica de la Universidad Complutense, Inv. BH GRL 5(6) und der Zeichnung IX 5159-36-19-1CC BY-NC 4.0 Von Trophäen hinterfangen zeigt Piranesi hier je zwei Sklaven, die anstelle der Siegesgöttin einen größeren Soldaten einrahmen.
In den Karlsruher Klebealben sind noch weitere Zeichnungen vorhanden, die als Motivvorlage und Inspirationsquelle für Piranesis Radierungen in Parere su l’architettura dienten, siehe dazu: IX 5159-35-8-2 , IX 5159-35-6-1 , IX 5159-35-11-2 , IX 5159-35-13-2 , IX 5159-35-19-1 , IX 5159-35-25-1 , IX 5159-36-7-1 (siehe Essay Zusammenhänge der Zeichnungen mit Piranesis Stichwerken ).
Georg Kabierske
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