Giovanni Battista Piranesi bildete in seinem Werk mehrfach Stücke aus der bedeutenden Antikensammlung von Kardinal Alessandro Albani (1692–1779) ab, die in dessen 1747 bis kurz nach 1763 vor den Toren Roms errichteter Villenanlage integriert war. Die hier vorliegenden Stücke scheinen zusammen mit dem Fragment eines Löwensarkophags (IX 5159-36-16-1 ) bei einem Besuch vor Ort, möglicherweise um 1760, von Piranesi gezeichnet worden zu sein. Denn das Hekataion fand zusammen mit weiteren Antiken aus der Villa Albani bereits in dem ein Jahr später publizierten Druckwerk Della Magnificenza dei Romani (1761) Verwendung, wo es ebenfalls in Frontalansicht und in nahezu identischer Größe – partiell mit nur 2 mm Abweichung – auf Tafel 12 wiedergegeben worden ist (Abb. 3).[1] Die anderen beiden Zeichnungen des Blattes scheinen zunächst keine direkte Übernahme in eine Radierung gefunden zu haben.
Abb. 3: Detailvergleich zwischen Hekataion aus der Villa Albani, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-32-2, und Giovanni Battista Piranesi, Hekataion aus der Villa Albani, in: Della Magnificenza ed architettura de ’Romani, Tafel 12, 1761, Radierung, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.877CC BY-NC-SA 3.0 Abb. 4: Giovanni Battista Piranesi, Titelvignette aus Parere su l’architettura, 1765, Radierung, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, Inv. SM-GS 6.2.877CC BY-NC-SA 3.0
Auf der Titelvignette zu Piranesis 1765 publizierter Abhandlung Parere su l’architettura wird jedoch der tempelartige Architekturentwurf links und rechts über Postamenten von je einem sich nach oben verjüngenden reliefierten Rundpfeiler eingerahmt, der zweifellos die Meta Albani rezipiert (Abb. 4). Zudem gibt es im Piranesi-Konvolut der Morgan Library die Federzeichnung einer Säule (Inv. 1966.11:46 ), die ebenfalls Anklänge an die Meta Albani aufweist
Den Hauptbrunnen mit Satyrn griff Piranesi noch später, 1778–1780, in der Stichserie Vasi, candelabri auf, wo er ihn zusammen mit einem Relief aus der Villa Negroni als Sockel zu einer alternativen Skulpturenkomposition arrangierte (Abb. 5). Das über die Schultern der Satyrn geworfene Ziegenfell ist eine Ergänzung und fehlt auf der die originale Skulptur dokumentierenden Zeichnung in Karlsruhe. Auch wenn sie vielleicht keine direkte Vorzeichnung war – der Satyr ist hier in leichter Schrägansicht wiedergegeben, der Druck hingegen zeigt die Satyrn in Frontal- oder Profilansicht –, könnte die Darstellung als Inspirationsquelle für den Restaurierungsentwurf gedient haben, da der Kopf des rechten Satyr im Druck mit der Zeichnung übereinstimmt.
Abb. 5: Giovanni Battista Piranesi, Skulpturenkomposition mit Brunnenschale und Satyrn aus der Villa Albani und Sockelrelief aus der Villa Negroni, Radierung, in: Vasi, candelabri, 1773, Taf. 53 (laut Katalog von 1792), Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.696CC BY-NC-SA 3.0 Abb. 6: Giovanni Battista Piranesi, Architekturphantasie, um/nach 1760 (?), Rötel, Feder und braune Tinte, braun und blau laviert, 640 x 382 mm, Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen, MB 1957/T 11 recto (PK) © Collection Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Foto: Studio Tromp
Neben der Nutzung für verschiedene Stichpublikationen aus der zweiten Hälfte von Piranesis Schaffenszeit ab 1760 besitzt diese Karlsruher Zeichnung aber vor allem einen überraschend direkten Bezug zu einer seiner Architekturphantasien, die sich in der Sammlung des Museum Boijmans van Beuningen in Rotterdamm befindet (Abb. 6). Das großformatige Blatt (640 x 382 mm) gehört zu Piranesis herausragendsten Kompositionen. In Diagonalperspektive in einer lockeren Vorzeichnung in Rötel entwickelt, dann in Feder und brauner Tinte ausgearbeitet, entfaltet sich eine imaginäre, sich ins Unendliche verlierende Architekturszenerie mit mehrgeschossigen Brücken, Bögen und Kolonnaden. Im Vordergrund rechts ragt eine skulpturale Komposition auf, bestehend aus der Meta Albani , davor das Hekataion , flankiert von zwei atlantenhaften Gestalten. Bemerkenswert ist dabei die Art und Weise, wie die beiden letzgenannten Elemente arrangiert sind (Abb. 7).
Abb. 7: Detailvergleich der Skulpturenkomposition in: Studien der Meta Albani, des Hekataion und eines Satyrs der ehemaligen Brunnenanlage aus der Villa Albani, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-32-2, und Giovanni Battista Piranesi, Architekturphantasie, um/nach 1760 (?), Rötel, Feder und braune Tinte, braun und blau laviert, 640 x 382 mm, Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen, MB 1957/T 11 recto (PK) © Collection Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Foto: Studio Tromp Es scheint geradezu, als habe Piranesi sein Studienblatt als Inspirationsquelle genutzt und das bereits erhöht auf dem Blatt positionierte Hekataion mit einem Sockel versehen sowie den in Hüfthöhe anschließenden Satyr zusätzlich symmetrisch gespiegelt. Die Art und Weise, wie diese beiden Elemente, Hekataion und Satyr, auf dem Karlsruher Blatt angeordnet sind, ja geradezu zu einer Skulptur verschmelzen, legt nahe, dass Piranesi von Anfang an ein derartiges zusammenführendes Konglomerat beabsichtigte. Hier wäre zukünftig noch zu prüfen, ob die in die Architekturphantasie übernommenen Elemente auch im Maßstab mit der Karlsruher Vorlage übereinstimmen.
Georg Kabierske
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