Die Villa Albani wurde Mitte des 18. Jahrhunderts für den gleichnamigen Kardinal gebaut, der in ihrem Gebäude und den reichen Gartenanlagen mit zahlreichen Brunnen seine herausragende Antiken- und Gemäldesammlung präsentierte. In seinem Tafelwerk Vedute die Roma stellte Piranesi eine Ansicht des großen Palastes und des dazugehörigen Gartens dar. Dazu gehörten auch die auf diesem Blatt von Giovanni Battista Piranesi selbst gezeichneten Reliefs, untern anderem ein sogenanntes antikes Hekataion: Dies war ein Kultpfeiler der dreileibigen Göttin Hekate, Göttin der Verstorbenen mit einem Zugang zur Unterwelt, aber auch der Zauberkunst und der Kreuzwege. Ihr Kult wurde oftmals im Verborgenen ausgeübt.
Studien der Meta Albani, des Hekataion und eines Satyrs der ehemaligen Brunnenanlage aus der Villa Albani
Werkdaten
Künstler
Giovanni Battista Piranesi (1720–1778), Gruppe 1
Ort und Datierung
Rom, um 1760 (?)
Abmessungen (Blatt)
173 x 228 mm
Inventarnummer
IX 5159-35-32-2
- Zeichenmedien
Rötel über schwarzer Kreide; weitere Informationen, siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Keine
- Literatur
Unpubliziert
- Hadernpapier
Vergé; vermutlich italienische Herstellung; Papierseite der Zeichnung nicht zuweisbar, weitere Informationen, siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Keine erkennbaren Hinweise auf eine rückseitige Bezeichnung oder Beschriftung
Das Werk im Detail
- Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung
Auf dem Blatt sind drei antike Skulpturenelemente aus dem Garten der Villa Albani in Rom skizzenhaft wiedergegeben:
An einen angeschnittenen Säulenschaft erinnernd, erkennt man links die untere Hälfte der sogenannten Meta Albani oder Meta circense, die am nordwestlichen Ende des Gartens als ‚point de vue‘ vor einer Schauwand aufgestellt wurde (Abb. 1).[1]
Abb. 1: Meta Circense in der Villa Albani, Radierung, in: Pietro Piranesi/Georg Zoega/Tommaso Piroli: Li bassirilievi antichi di Roma, Bd. 1, Rom 1808, Taf. 34, Universitätsbibliothek Heidelberg, C 5548 Folio RES::1
Public Domain Mark 1.0Dieser antike, oben zugespitzte Marmorpfeiler auf rundem Grundriss wurde aufgrund formaler Übereinstimmung bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts als Wendesäule (Meta) gedeutet, die jeweils am Anfang und Ende eines antiken Circus den Wendepunkt der Rennbahn markierte. Alternativ wurde vermutlich seit dem späten 18. Jahrhundert eine Funktion in sepulkralem Kontext angenommen. Mittlerweile gilt aber eine ursprüngliche Funktion als Votivpfeiler im Zusammenhang mit dem Kult für den Gott Bacchus Dyonisos als wahrscheinlich.[2] Diese Deutung ist unter anderem in den fünf tanzenden Figuren (mit Syrinx musizierende Mänade, drei schleiertragende Mänaden und ein Satyr) begründet, die sich als Flachreliefs im Reigen um den unteren Teil des Rundpfeilers ziehen. In der Karlsruher Zeichnung sind davon in frontaler Ansicht zwei Figuren zu erkennen: der Satyr mit gebogenem Hirtenstab samt über dem Arm geworfenem Ziegenfell sowie rechts daneben eine Mänade, die mit erhobener rechten und gesenkter linker Hand einen herabfallenden Schleier hinter ihren Schultern rafft. Links erscheint eine angeschnittene Figur im Profil, in der eine weitere Mänade zu identifizieren ist. Etwas weiter oberhalb ragen klotzartige Vorsprünge aus dem Schaft hervor. An diesen hängen Kränze, die jedoch in der oben beschnittenen Zeichnung nicht wiedergegeben sind. Ungeklärt ist die Bedeutung des mit einem Band am oberen Teil des Pfeilers festgebundenen Stabs, wie er im Stich von Tommaso Piroli zu erkennen ist (siehe Abb. 1). In der Karlsruher Zeichnung fehlt diese Partie beziehungsweise ging durch eine Beschneidung des Blattes verloren. In einer Einheit mit dem Pfeiler ist das Segment mit dem horizontal abschließenden Wulst unterhalb der Standleisten der Figuren wiedergegeben, bei dem es sich um eine nachantike Ergänzung handelt.[3] Die in der Zeichnung dokumentierten Beschädigungen, durch Zickzack-Schraffuren am Schaft und durch Auslassen der Gesichter an den schemenhaften Figuren, decken sich weitgehend mit dem heutigen Zustand der Säule.[4]
Rechts neben der Meta Albani befindet sich in der oberen Mitte des Blattes ein sogenanntes Hekataion, das am südlichen Zugang zum Garten der Villa Albani eine Brunnenwand bekrönt.[5] Dargestellt ist die dreiköpfige Hekate, die in der griechischen Mythologie die Göttin der Magie und Totenbeschwörung verkörperte und zudem als Wächterin der Wegkreuzungen Reisenden und Passanten Schutz bot. Auf dem Kopf trägt sie einen Korb, deren Flechtwerk exemplarisch angedeutet wurde.
In der Zeichnung folgt rechts des Hekataions, direkt daran anschließend, ein Satyr, der wie „angeklebt“ erscheint. Dieser gehörte ursprünglich zum Hauptbrunnen der Villa Albani, wo er zusammen mit drei weiteren antiken Satyrn (vermutlich 2. Jh. n. Chr.) in der Art von Atlanten die mächtige Brunnenschale aus Granit auf den Schultern trug. Infolge der Besatzung Roms durch die französischen Truppen Napoleons und der Unterzeichnung des Vertrags von Tolentino 1797 wurden diese Brunnenfiguren in der Villa Albani abgebaut und kamen 1803 in das Musée du Louvre in Paris, wo sie sich noch heute befinden.[6]
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Für Fotos des Objekts siehe Hans-Ulrich Cain: Marmorbaluster, sog. Meta Albani, in: Peter C. Bol/Agnes Allroggen-Bedel/Andreas Linfert (Hg): Forschungen zur Villa Albani. Katalog der antiken Bildwerke V. In den Gärten oder auf Gebäuden aufgestellte Skulpturen sowie die Masken, Berlin 1998, Nr. 1035, S. 581–584, Taf. 318–323.
2. Siehe zuletzt ebd. S. 581–584.
3. Ebd. S. 578.
4. Vergleich mit der Abbildung in ebd. Nr. 1035, Taf. 321.
5. Für Fotos des Objekts siehe Peter C. Bol: Köpfe eines Hekateions, in: ebd., Nr. 929, Taf. 205.
6. Siehe zuletzt Pierluigi Panza: Museo Piranesi, Mailand 2017, S. 509.
- Beschreibung und Komposition
Vermutlich vor Ort nach der Natur gezeichnet, sind die drei Motive, die inhaltlich nicht in direktem Zusammenhang stehen, auf dem Blatt nebeneinander arrangiert. Über einer lockeren Vorzeichnung in schwarzer Kreide, die insbesondere bei den figürlichen Elementen zum Einsatz kam, wurden sie in Rötel präzisierend und kraftvoll angelegt beziehungsweise ausgearbeitet. Innerhalb der Meta Albani lassen sich zudem in schwarzer Kreide vorgezeichnete Konstruktionslinien erkennen, die vertikal und horizontal durch den Pfeilerschaft verlaufen und die zentrale Figur des Satyr rahmen (Abb. 2).
Abb. 2: Detail der Meta Albani mit Konstruktionslinien, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-32-2
CC0 1.0Möglicherweise dienten sie als Hilfe für die proportional korrekte Darstellung der Figuren während des freihändigen Zeichnens. Zu einem unbekannten Zeitpunkt, jedoch bevor es im Album montiert wurde, scheint das Blatt am oberen Rand beschnitten worden zu sein, wie die Überschneidungen der aufwärtsführenden Rötellinien von Säulenschaft und Korb durch die Blattkante belegen.
Georg Kabierske
- Einordnung in das Gesamtwerk Piranesis
Giovanni Battista Piranesi bildete in seinem Werk mehrfach Stücke aus der bedeutenden Antikensammlung von Kardinal Alessandro Albani (1692–1779) ab, die in dessen 1747 bis kurz nach 1763 vor den Toren Roms errichteter Villenanlage integriert war. Die hier vorliegenden Stücke scheinen zusammen mit dem Fragment eines Löwensarkophags (IX 5159-36-16-1) bei einem Besuch vor Ort, möglicherweise um 1760, von Piranesi gezeichnet worden zu sein. Denn das Hekataion fand zusammen mit weiteren Antiken aus der Villa Albani bereits in dem ein Jahr später publizierten Druckwerk Della Magnificenza dei Romani (1761) Verwendung, wo es ebenfalls in Frontalansicht und in nahezu identischer Größe – partiell mit nur 2 mm Abweichung – auf Tafel 12 wiedergegeben worden ist (Abb. 3).[1] Die anderen beiden Zeichnungen des Blattes scheinen zunächst keine direkte Übernahme in eine Radierung gefunden zu haben.
Abb. 3: Detailvergleich zwischen Hekataion aus der Villa Albani, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-32-2, und Giovanni Battista Piranesi, Hekataion aus der Villa Albani, in: Della Magnificenza ed architettura de ’Romani, Tafel 12, 1761, Radierung, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.877
CC BY-NC-SA 3.0Abb. 4: Giovanni Battista Piranesi, Titelvignette aus Parere su l’architettura, 1765, Radierung, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, Inv. SM-GS 6.2.877
CC BY-NC-SA 3.0Auf der Titelvignette zu Piranesis 1765 publizierter Abhandlung Parere su l’architettura wird jedoch der tempelartige Architekturentwurf links und rechts über Postamenten von je einem sich nach oben verjüngenden reliefierten Rundpfeiler eingerahmt, der zweifellos die Meta Albani rezipiert (Abb. 4). Zudem gibt es im Piranesi-Konvolut der Morgan Library die Federzeichnung einer Säule (Inv. 1966.11:46), die ebenfalls Anklänge an die Meta Albani aufweist
Den Hauptbrunnen mit Satyrn griff Piranesi noch später, 1778–1780, in der Stichserie Vasi, candelabri auf, wo er ihn zusammen mit einem Relief aus der Villa Negroni als Sockel zu einer alternativen Skulpturenkomposition arrangierte (Abb. 5). Das über die Schultern der Satyrn geworfene Ziegenfell ist eine Ergänzung und fehlt auf der die originale Skulptur dokumentierenden Zeichnung in Karlsruhe. Auch wenn sie vielleicht keine direkte Vorzeichnung war – der Satyr ist hier in leichter Schrägansicht wiedergegeben, der Druck hingegen zeigt die Satyrn in Frontal- oder Profilansicht –, könnte die Darstellung als Inspirationsquelle für den Restaurierungsentwurf gedient haben, da der Kopf des rechten Satyr im Druck mit der Zeichnung übereinstimmt.
Abb. 5: Giovanni Battista Piranesi, Skulpturenkomposition mit Brunnenschale und Satyrn aus der Villa Albani und Sockelrelief aus der Villa Negroni, Radierung, in: Vasi, candelabri, 1773, Taf. 53 (laut Katalog von 1792), Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.696
CC BY-NC-SA 3.0Abb. 6: Giovanni Battista Piranesi, Architekturphantasie, um/nach 1760 (?), Rötel, Feder und braune Tinte, braun und blau laviert, 640 x 382 mm, Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen, MB 1957/T 11 recto (PK)
© Collection Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Foto: Studio TrompNeben der Nutzung für verschiedene Stichpublikationen aus der zweiten Hälfte von Piranesis Schaffenszeit ab 1760 besitzt diese Karlsruher Zeichnung aber vor allem einen überraschend direkten Bezug zu einer seiner Architekturphantasien, die sich in der Sammlung des Museum Boijmans van Beuningen in Rotterdamm befindet (Abb. 6). Das großformatige Blatt (640 x 382 mm) gehört zu Piranesis herausragendsten Kompositionen. In Diagonalperspektive in einer lockeren Vorzeichnung in Rötel entwickelt, dann in Feder und brauner Tinte ausgearbeitet, entfaltet sich eine imaginäre, sich ins Unendliche verlierende Architekturszenerie mit mehrgeschossigen Brücken, Bögen und Kolonnaden. Im Vordergrund rechts ragt eine skulpturale Komposition auf, bestehend aus der Meta Albani, davor das Hekataion, flankiert von zwei atlantenhaften Gestalten. Bemerkenswert ist dabei die Art und Weise, wie die beiden letzgenannten Elemente arrangiert sind (Abb. 7).
Abb. 7: Detailvergleich der Skulpturenkomposition in: Studien der Meta Albani, des Hekataion und eines Satyrs der ehemaligen Brunnenanlage aus der Villa Albani, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-32-2, und Giovanni Battista Piranesi, Architekturphantasie, um/nach 1760 (?), Rötel, Feder und braune Tinte, braun und blau laviert, 640 x 382 mm, Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen, MB 1957/T 11 recto (PK)
© Collection Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Foto: Studio TrompEs scheint geradezu, als habe Piranesi sein Studienblatt als Inspirationsquelle genutzt und das bereits erhöht auf dem Blatt positionierte Hekataion mit einem Sockel versehen sowie den in Hüfthöhe anschließenden Satyr zusätzlich symmetrisch gespiegelt. Die Art und Weise, wie diese beiden Elemente, Hekataion und Satyr, auf dem Karlsruher Blatt angeordnet sind, ja geradezu zu einer Skulptur verschmelzen, legt nahe, dass Piranesi von Anfang an ein derartiges zusammenführendes Konglomerat beabsichtigte. Hier wäre zukünftig noch zu prüfen, ob die in die Architekturphantasie übernommenen Elemente auch im Maßstab mit der Karlsruher Vorlage übereinstimmen.
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Ich danke Maria Krämer für die Übermittlung der genauen Maßangaben.
- Ableitung, Rezeption und Dissemination
Von den auf dem Blatt dargestellten Motiven findet sich lediglich das Hekataion auch in mehreren Klebealben anderer Künstler und Architekten, die sich während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Rom aufhielten (z.B. London, Sir John Soane’s Museum, unidentified French 18th century artist, Soane’s Vol. 129, fol. 76; London, Victoria & Albert Museum, Richard Norris, Album of architectural and decorative drawings of Italian buildings, Inv. E.1622-1914, Bd. 2, Fol. 74[1]). Ebenso wie bei anderen Motiven wurde hier wahrscheinlich die 1761 in Della Magnificenza publizierte Radierung kopiert.
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Mein herzlicher Dank gilt Christoph Frank, der mich auf diese Alben von Richard Norris hingewiesen hat und generös seine Fotos mit mir teilte.
- Zuschreibungshypothesen
Bei dem Blatt handelt es sich um eine der heute nur noch selten erhaltenen eigenhändigen Zeichnungen Giovanni Battista Piranesis nach antiken Elementen aus der Zeit um 1760, zu der auch das Fragment eines Löwensarkophags (IX 5159-36-16-1) aus der Villa Albani gehört. Außer in den Karlsruher Alben finden sich solche Darstellungen vor allem im Konvolut der Morgan Library in New York, was abermals den direkten Zusammenhang beider Bestände unterstreicht. Charakteristisch für Piranesi ist der spontane, jedoch bei relevanten Details wiederum präzise Zeichenstil. Oftmals legte er zunächst eine flüchtige Vorzeichnung in einem anderen Medium als jenem der Hauptzeichnung an, in diesem Fall in schwarzer Kreide, und überarbeitet sie dann in kraftvollem Duktus.
Dabei lässt sich eine bislang kaum untersuchte Neigung beobachten: Kleinere oder stärker beschädigte Figuren werden eher expressiv und abbreviaturhaft wiedergegeben, während größere und singuläre Skulpturen, also Einzelobjekte, durch differenzierte Schattierungen und fein gezogene Umrisse in ihren Volumina und Details präzise erfasst sind. Daher zeigt der kleinteilige Figurenreigen auf der Meta Albani sehr viel mehr Übereinstimmung mit den für Piranesi heute so charakteristischen Figurenstudien, was auch in den typischen Scheren- oder Klauenhänden und den kraftvoll-kantigen, mit dem Rötelstift oder der Feder mehrfach angesetzten Linien zum Ausdruck kommt (Abb. 8).[1]
Abb. 8: Vergleich zwischen:
(oben) Giovanni Battista Piranesi, Figurenstudie eines stehenden Mannes nach rechts blickend und den linken Arm erhebend, Feder und braune Tinte, 166 × 82 mm, Melbourne, National Gallery of Victoria, Inv. 2265-4, CC0 1.0
(rechts) Studien der Meta Albani, des Hekataion und eines Satyrs (Detail), Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-32-2, CC0 1.0
(unten) Giovanni Battista Piranesi, Brustpartie der Artemis von Ephesos-Statue aus der Sammlung Farnese, um 1760–1762, Rötel über schwarze Kreide, Feder und braune Tinte, 147 x 146 mm © The Morgan Library & Museum. 1966.11 23r. Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. MorganDer Satyr und vor allem das Hekataion stehen in der Ausführung der Köpfe Piranesis Zeichnung eines Sphingenkapitells (Morgan Library, Inv. 1966.11:19) und eines weiteren Skulpturenkopfes (Morgan Library, Inv. 1966.11:29) aus der Villa Albani nahe, insbesondere die leeren Augen stimmen überein (Abb. 9). Diese finden sich auch, zusammen mit den feinen und zum Teil flächig angelegten Schraffierungen der Oberflächen, in den Löwenprotomen, die auf einem Blatt der New Yorker Morgan Library einen Kamin flankieren (Inv. 1966.11:63). Typisch für Piranesi sind zudem die energisch ausgeführten Zickzack-Schraffuren, denen man im vermutlich zeitgleich entstandenen Fragment eines Löwensarkophags (IX 5159-36-16-1), in einer Kapitellstudie in der Morgan Library (Inv. 1966.11:22) oder einer Figurenstudie eines Mönchs im Courtauld Institute in London gleichfalls begegnet (Abb. 10).
Abb. 9: Detailvergleich von
(oben) Giovanni Battista Piranesi, Studie eines Kapitell mit Sphingen, um 1760–1761, Rötel über schwarzer Kreide, 90 x 139 mm © The Morgan Library & Museum. 1966.11:19. Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. Morgan
(rechts) Studien der Meta Albani, des Hekataion und eines Satyrs , Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-32-2, CC0 1.0
(unten) Giovanni Battista Piranesi, Antiker Kopf und zwei Widderköpfe, um 1761–1762, Rötel über schwarzer Kreide, 137 x 173 mm © The Morgan Library & Museum. 1966.11:29. Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. MorganAbb. 10: Detailvergleich von Studien der Meta Albani, des Hekataion und eines Satyrs, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-32-2, CC0 1.0; Giovanni Battista Piranesi, Kapitellstudie, um 1760, Rötel, 237 x 64 mm © The Morgan Library & Museum. 1966.11:22. Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. Morgan; Fragment eines dionysischen Löwenkopfsarkophags aus der Villa Albani, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-36-16-1, CC0 1.0 Diese Art der Figurendarstellung findet sich vereinzelt auch in Piranesis Veduten-Zeichnungen, etwa in den mit Porträtköpfen geschmückten Keilsteinen der Portikus des Gaius und Lucius im British Museum, London (Inv. 1905,1110.65) oder in der Ansicht eines antiken Grabmals an der Straße von Tivoli in den Uffizien in Florenz (Inv. 96007). Die kraftvollen Schraffuren treten zusammen mit fein ausgeführten Partien ebenfalls in der Ansicht des Kapitols im British Museum in London (Inv. 1908,0616.45) auf.
Dass ornamentale Details wie das Flechtwerk des Korbes auf dem Hekataion nur exemplarisch angedeutet sind und seitlich noch einmal vergrößert wiederkehren, gehört zur geläufigen Zeichenpraxis von Piranesi und seiner Werkstatt; bei den Zeichnungen für den des Newdigate-Kandelaber (IX 5159-35-46-1) und den Rhyton (IX 5159-36-30-1) ist sie besonders gut zu beobachten.
Abb. 11: Giovanni Battista Piranesi, Studie eines Säulenfragments, Rötel auf geöltem Papier, Klebealbum von Heinrich Geier (in der älteren Literatur als Geiersches Skizzenbuch bezeichnet), Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai), KIT, Karlsruhe, Inv. Geier 1, fol. 113
CC0 1.0Stilistische Übereinstimmungen bestehen aber auch mit dem in Rötel gezeichneten Säulenfragment aus dem Klebealbum des Weinbrenner-Schülers Heinrich Geier, das sich dieser stilistischen Gruppe von Studien nach antiken Stücken und somit Giovanni Battista Piranesi selbst zuschreiben lässt (Abb. 11; siehe auch Essay Die Piranesi-Zeichnung im Geier-Album).[2]
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Die Figuren auf der Meta Albani ähneln stilistisch auch den in Rötel gezeichneten Figurenstudien von Mönchen im Courtauld Institute in London (Quelle?).
2. Das darauf wiedergegebene Säulenfragment wurde erst 1790 von Francesco Piranesi in einer zusätzlichen Tafel zu den Vasi, candelabri in eine Radierung umgesetzt. Bis auf dieses Blatt enthält das Klebealbum ansonsten Transparentpausen, die Geier während seines Architekturstudiums in Weinbrenners Bauschule anfertigen musste, darunter auch etliche Kopien nach Motiven aus den beiden Piranesi-Alben der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Da diese weitere eigenhändige Piranesi-Zeichnung in den Alben der Kunsthalle nirgends fehlt – es gibt keine Leerstelle mit Klebespuren –, scheinen die gesamten Zeichnungen zum damaligen Zeitpunkt noch in einem anderen Kontext, wie etwa einer losen Blattsammmlung, aufbewahrt worden zu sein. Zudem ging Geier möglicherweise davon aus, dass es sich um eine von Friedrich Weinbrenner selbst in Italien angefertigte Zeichnung handelte. Diesem ist das Blatt auf dem Albumpapier auch zugeschrieben („Original von Weinbrenner“). Möglicherweise erfolge dies aber erst unter Arthur von Schneider, der sich um 1960 mit den Zeichnungen von Weinbrenners Italienreise befasste. Erstmals publiziert in: Georg Kabierske: Weinbrenner und Piranesi. Zur Neubewertung von zwei Grafikalben aus dem Besitz Friedrich Weinbrenners in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, in: Brigitte Baumstark/Joachim Kleinmanns/Ursula Merkel (Hg.): Friedrich Weinbrenner, 1766-1826: Architektur und Städtebau des Klassizismus, Ausst. Kat. Karlsruhe, Städtische Galerie und Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Petersberg 2015 (2. Aufl.), S. 75–87, hier S. 84 u. S. 436f, Nr. 11.47 (damals Francesco Piranesi zugeschrieben).
- Kunsthistorische Wertung
Das hier vorliegende, eigenhändige Blatt von Giovanni Battista Piranesi ist bislang das einzig bekannte, das von ihm sowohl als Vorlage für eine Radierung als auch zur Inspiration für eine Architekturphantasie genutzt wurde. Es ermöglicht damit einen seltenen Einblick in den Arbeits- und Kompositionsprozess des Künstlers. Ursprünglich muss es unzählige solcher Zeichnungen von Einzelmotiven gegeben haben, aus denen er dann seine Kompositionen zusammenstellte.
Georg Kabierske
- Merkmale des Papiers
Ohne Wasserzeichen
Herstellungsmerkmale:
Ungefärbt; mittlere Stärke; Siebstruktur mit paarig hervortretenden Bodendrähten; kräftige Siebmarkierung und Filzmarkierung (Detail 1); gelatinegeleimt (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt; leichter Oberflächenglanz (auf den erhabenen Stellen).
Detail 1a: Auflicht
Filzmarkierung und Spuren einer StecknadelDetail 1b: Streiflicht
Filzmarkierung und Spuren einer Stecknadel - Merkmale der Zeichenmedien
Schwarze Kreide: ungleichmäßiges Strichbild (Detail 2), in vielen Bereichen mattschwarzer Strich, sehr feine vereinzelte Pigmentkörnchen, vor allem zwischen den Fasern angelagert; blasses Gesamtbild; an einigen Stellen kräftigere Akzente mit mehr akkumuliertem Pigment.
Detail 2: Auflicht
Strichbild schwarze Kreide und RötelRötel: kräftiger Abrieb, wenig bis kaum verwischt; klar abgegrenzte Zeichenstriche, kompakt fast schmieriges Erscheinungsbild (Details 2 und 3).
Detail 3a: Auflicht
Strichbild fetthaltiger schwarzer StiftDetail 3b: Streiflicht
Strichbild fetthaltiger schwarzer StiftDetail 3c: Auflicht
Strichbild fetthaltiger schwarzer StiftDetail 3d: Streiflicht
Strichbild fetthaltiger schwarzer StiftSchwarzer Stift mit fetthaltigem Bindemittel: liegt deutlich sichtbar auf dem Rötel auf (Detail 3), kräftiger deckender, gebundener, furchiger Strich (Detail 4).
Detail 4a: Auflicht
furchiges Strichbild des schwarzen StiftsDetail 4b: Streiflicht
furchiges Strichbild des schwarzen StiftsMaria Krämer
- Zeichnerischer Prozess
Zwar gibt es eine Konstruktionszeichnung in Form von drei mit dem Lineal gezogenen Linien im Bereich der Säule, jedoch wurden diese zur Orientierung nicht genutzt, die Säule an gleicher Stelle jedoch deutlich größer und frei gezeichnet angelegt. Während die schwarze Kreide zur Konturfindung der Figuren verwendet wurde, nutzte man Rötel, um in der Überzeichnung zusätzliche Schattierungen anzulegen. Die Vorzeichnung in Schwarz ist an vielen Stellen durch die Rötelzeichnung hindurch zu sehen. Diese Unterbrechung des darüber liegenden Zeichenmediums wurde sonst vor allem bei Graphit beobachtet. Das hier verwendete Zeichenmedium weist jedoch die Teilchenmorphologie von schwarzer Kreide auf. Zwar wurde der Rötel auch auf das Papier abgerieben, insgesamt ist das Strichbild jedoch wenig verwischt, ein Hinweis durch eine frühzeitige Fixierung, die möglicherweise im Zusammenhang mit dem Pausen des Motivs mithilfe eines geölten Papiers steht. Darauf weisen Stecknadeleinstiche und Ölflecke, die über das Motiv verteilt auftreten, hin. Die Pause könnte für die Übertragung auf die Druckplatte genommen worden sein: Ein Teil der Zeichnung, die dreiköpfige, korbtragende Hekate, erscheint größengleich im Druckwerk Piranesis Della magnificenza[1] (Tafel XII; WE 772).
Maria Krämer
Einzelnachweis
1. Zur Druckplatte siehe:
https://www.calcografica.it/matrici/inventario.php?id=M-1400_297 - Merkmale historischer Nutzung
An zwei Kanten beschnitten, links und unten Büttenrand; verso anhaftende Papierfragmente in den linken Ecken und eine ausgerissene Ecke rechts unten (Hinweise auf frühere Montierung); mehrere paarige Einstichlöcher von Stecknadeln (Detail 1; u.l. und o.r.); leichte, flächig verteilte Ölflecke (gelbliche Fluoreszenz, UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt).
Maria Krämer
Schlagwörter
- Vasi, candelabri
- Rötel
- Schwarzer Stift
- Schwarze Kreide
- Satyr
- Mänade
- Sammlung Albani
- Villa Albani
- Kardinal Albani
- Stilistische Gruppe 01
- Della magnificenza
- Brunnen
- Alessandro Albani
- Meta Albani
- IX 5159-35-32-2
- Hekataion
GND-Begriffe
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