Der variierende Duktus, noch dazu verknüpft mit dem Einsatz verschiedener Zeichenmedien für unterschiedliche zeichnerische Arbeitsschritte und Intentionen könnte auf die Präsenz mehrere Zeichenhände hindeuten. Allerdings erschweren mehrere Ungewissheiten eine eindeutige Zuordnung.
Unbekannt ist etwa, ob eine vorhergehende Entwurfszeichnung, das Marmorexemplar selbst oder beides zusammen als Vorlage für das Karlsruher Blatt dienten. Denn wie bereits diskutiert, handelt es sich nicht um eine exakte Wiedergabe des ausgeführten Zustandes, vielmehr wurden Details hinzufügt oder vertauscht und auf diese Weise eine eigenständige Version des Kandelabers geschaffen. Demnach flossen neue künstlerische Entscheidungen in die Zeichnung ein, die, so ist anzunehmen, auf Piranesi zurückzuführen sind. Zwar ist man geneigt, die lockere Vorskizze in Graphit sowie die grundlegende Federzeichnung in brauner Tinte in zuweilen locker gesetztem Duktus Piranesi selbst zuzuschreiben, wurden hiermit doch die grundlegenden Rahmenbedingungen wie Perspektive, Proportionen und Dekore für die Gesamtansicht festgelegt. Außerdem ist letzteres Medium typisch für Piranesis genuine Zeichnungen. Dennoch könnten diese Arbeitsschritte auch von einem Mitarbeiter der Werkstatt nach der Vorgabe des Meisters ausgeführt worden sein, handelt es sich doch überwiegend um ein technisch-konstruierendes Zeichnen.
In der Überarbeitung einzelner Details oder der vergrößerten Wiederholung am Blattrand im kräftigen und trotzdem präzise gesetzten Kreidestrich ist wahrscheinlich die Hand Giovanni Battista Piranesis auszumachen. Dieses Vorgehen lässt sich bei seinen Zeichnungen mehrfach beobachten, so auch bei Werken in der Morgan Library, New York (zum Beispiel Inv. 1966.11:64 , 1966.11:66 ), in der Kunstbibliothek Berlin (Inv. Hdz 6318r ) oder in der Kunsthalle Hamburg (Inv. 52065 )[1] . Piranesi überarbeitete verschiedentlich auch eigenhändige Zeichnung in ungestümer Weise. Seine Studien dienten als Mittel zum Zweck, um das vollendete Produkt, die Radierung oder den finalen Entwurf, zu erreichen. Den Blick offenbar auf das Marmorstück gerichtet, wurden in dieser Zeichnung etwa das Blitzbündel am linken Sockelauszug dem der rechten Seite angeglichen, im floralem Ornament an der Schmalseite des Reiterreliefs die Bohrlöcher im Marmor übertragen, das zuvor in Feder skizzierte Girlandenrelief der Basis kräftig in schwarzer Kreide dem ausgeführten Zustand entsprechend perspektivisch verkürzt angepasst oder das Ornament der Basis exemplarisch in Rötel präzisiert (Abb. 12).
Abb. 12: Details aus der Zeichnung des Rhyton-Kandelaber (IX 5159-36-30-1) mit Überarbeitungen und Vergleich mit dem Marmorversion im Gustav III:s Antikmuseum in Stockholm (Abb. 1)CC0 1.0 Besonders schwierig ist schließlich die Zuordnung der in schwarzer Kreide ausgeführten Partien von hoher zeichnerischer Plastizität, bei denen durch verschiedene Schraffursysteme und ausgeprägte Hell-Dunkel Kontraste die skulpturalen Elemente „zum Greifen nah“ herausgearbeitet wurden. Bemerkenswert ist, dass es sich dabei ausschließlich um figürliche und besonders dreidimensional aus dem Marmor gemeißelte Elemente handelt. Dieses Vorgehen beziehungsweise dieser Stil tritt innerhalb der Karlsruher Alben bei den großformatigen Zeichnungen der Kandelaber und großen Marmorobjekte auf, die sich bislang in keinem anderen Piranesi-Konvolut finden ließen. Stilistisch stimmen sie insbesondere mit dem Altar des Apollo (IX 5159-35-45-1 ), dem Detail aus dem Newdigate Kandelaber (IX 5159-35-44-1 ), den Figurenstudien auf dessen Rückseite (IX 5159-35-44-1v ) und einzelnen Partien im Newdigate-Kandelaber (IX 5159-35-46-1 ) sowie im Albano-Altar (IX 5159-35-47-1 ) überein. Da die vorliegende Zeichnung in Vorbereitung für den Druck entstand und das Marmorstück zu diesem Zeitpunkt bereits existiert haben muss, kann der hohe Grad an Ausarbeitung nicht als Vorgabe für den Bildhauer gedient haben. Für eine schlüssige Übertragung in die Radierung war es aber unabdingbar, die figürlichen Elemente in einem hohen Grad dreidimensionaler Formgebung detailliert wiederzugeben.
Möglicherweise handelt es sich hier um einen Zeichner, der in der Werkstatt auf das Zeichnen von Figuren spezialisiert war. Eine solche Arbeitsteilung war damals durchaus üblich und ist beispielsweise auch aus dem Architekturbüro von Robert Adam (1728–1792) überliefert. Auch für Piranesi arbeiteten verschiedene Zeichner (siehe Essay „Stilistsiche Gruppen“, Einführung ), darunter Vincenzo Dolcibene (um 1746–1820). Dem Piranesi-Biographen Jacques-Guillaume Legrand zufolge soll dieser „sieben bis acht Jahre lang für Piranesi Figuren, Reliefs und anderes Zubehör der Baukunst gezeichnet haben,“[2] wobei seine tatsächliche Beteiligung am Werkstattgeschehen bislang schwer einzuschätzen ist. . Möglicherweise lieferte er auch Vorzeichnungen für die Druckserie Trofeo o sia manifica colonna Coclide , was sich bislang jedoch nicht eindeutig belegen lässt. Im Vergleich mit seinen Zeichnungen aus dem Bestand von Charles Townley im British Museum in London (z. B. Inv. 2010,5006.1813 ; 2010,5006.1820 ) mag man vielleicht in den leeren Augen des Ebers, der Ausarbeitung des Genienkörpers und den schmalen, aber klar definierten Schattenverläufen eine Nähe zur Karlsruher Zeichnung erahnen, restlos überzeugend ist dies jedoch nicht. Für eine Autorschaft käme außerdem eines von Piranesis Kindern, etwa Laura (1754–mindestens bis 1789) oder Francesco (1756?–1810) in Frage, die zur angenommenen Entstehungszeit der Zeichnung in der Mitte der 1770er Jahre alt genug gewesen sein dürften.
Insbesondere im Vergleich mit dem Reiterrelief und den Eroten des Sockelreliefs ist zudem eine auf 1776 datierte Zeichnung in schwarzer Kreide von Angelo Piranesi (1763–1782) interessant, die sich im Album Amicorum von Aernout Vosmaer (1720–1799) befindet.[3] Da Angelo zu diesem Zeitpunkt erst zwölf Jahre alt war, ist es jedoch eher unwahrscheinlich, dass er auch den Wildschweinkopf des Rhytons in dieser sicheren Form auf das Papier bringen konnte.
Allerdings hat sich Giovanni Battista Piranesi in den größeren Kompositionen der 1760er und 1770er Jahre selbst eine präzisere Zeichenmanier angeeignet (siehe Essay „Stilistische Gruppen“, Gruppe 1 ). Es stellt sich daher die Frage, inwiefern ein Künstler unterschiedliche Zeichenmodi verfolgen kann, abhängig von der jeweiligen Intention. Vor diesem Hintergrund verdient auch die Rötelzeichnung des Albano-Altars im Nachlass von Hans Caspar Escher (1775–1859) in der Zentralbibliothek Zürich eine weiterführende Betrachtung, die zusammen mit einigen anderen Blättern aus derselben Quelle wie das Karlsruher Piranesi-Konvolut stammen dürfte (siehe IX 5159-35-47-1 , Abb. 6).[4] Wenngleich es noch weiter zu diskutieren wäre, scheint Piranesi selbst als Urheber des dortigen Blattes in Frage zu kommen, etwa im stilistischen Vergleich mit seinen eigenhändigen Vorzeichnungen für Veduten.
Auch wenn der Entschluss für die Umsetzung der Ideen im Karlsruher Rhyton sicher auf Giovanni Battista Piranesi als Werkstattleiter selbst zurückzuführen ist, so kann abschließend kaum beurteilt werden, wie umfangreich sein eigener zeichnerischer Anteil an dem Blatt tatsächlich gewesen ist. Denn es unterscheidet sich typologisch und stilistisch fundamental von den virtuosen Skizzen, die überwiegend von ihm überliefert sind. Ein Umstand, der fast alle Kandelaber-Zeichnungen in Karlsruhe betrifft. Denkbar wäre, dass Zeichner der Werkstatt damit beauftragt wurden, die skizzierten Ideen Piranesis, wie sie im Taccuino B in Modena überliefert sind, nach weiteren Vorgaben des Künstlers in eine detailliertere und lesbarere Form umzuwandeln. Es bleibt aber die grundsätzliche Frage: Handelt es sich hier um eine Zeichnung, die von einem Werkstattmitarbeiter angelegt und dann von Piranesi korrigierend überarbeitet wurde, oder war der Meister selbst von Beginn an federführend in den zeichnerischen Prozess involviert?
Georg Kabierske
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