Es existieren jedoch noch weitere gezeichnete Versionen dieser Frieskomposition (IX 5159-35-20-1 und IX 5159-35-20-2 ). So wies Georg Kabierske auf eine diesmal in Rötel und auf mehrere zusammengefügte Blätter gezeichnete Version des Frieses hin, die am 12. Dezember 2014 im Pariser Kunsthandel bei Jean-Marc Delvaux angeboten wurde (Abb. 3).[1]
Abb. 3: Nicolas François Daniel Lhuillier (hier zugeschrieben), Viktorienfries vom Palazzetto Massimo istoriato, Rötel, 215 x 1580 mm, Privatbesitz Photo Studio Sebert, Mit freundlicher Genehmigung von Etude Delvaux, ParisDie Zeichnung stimmt, obwohl offenbar etwas kleiner (Gesamtmaß 215x1580 mm) mit dem Karlsruher Fries nahezu vollständig überein, es gibt nur zwei, wenngleich verblüffende Unterschiede. So sitzt in der Rötelzeichnung die Viktoria links außen auf einer Rüstung, im Karlsruher Blatt aber auf einem Altar. Vergleicht man die Komposition beider Blätter im Ganzen, so erscheint die Version aus Piranesis Motivsammlung in Karlsruhe ausgewogener, da hier die Viktorien im Wechsel auf einer Rüstung oder einem Altar ruhen. In der Rötelzeichnung dienen jedoch von links nach rechts zweimal die Rüstung, dann der Altar und wieder eine Rüstung als Sitzgelegenheit. Die zweite wesentliche Abweichung ist im Helm des rechten Tropaion zu beobachten, der in Karlsruhe mehr einer phrygischen Mütze gleicht und in der Rötelversion einen pelzartigen Charakter besitzt. Bei der Rötelzeichnung aus dem Kunsthandel dürfte es sich auch um eine Zeichnung von Nicolas François Daniel Lhuillier handeln, der die Komposition hier etwas variierte. Es ist zudem ganz typisch für ihn, solche dekorativen Motive sowohl in Rötel als auch in schwarzer Kreide auszuführen – zwei Medien, die sich besonders gut zum Abklatschen eignen (siehe Essay „Stilistische Gruppen“, Gruppe 4 ).
Darüber hinaus existiert eine weitere Zeichnung des Frieses, diesmal aber in Feder und mit Lavierung ausgeführt (Abb. 4) . In den benannten Details weicht diese wiederum von der Karlsruher Version ab, stimmt dafür aber mit der Rötelversion überein. Mit einem Gesamtmaß von 180 x 1569mm scheint das Blatt minimal kleiner als dieses zu sein. Ebenso wie andere lavierte Federzeichnungen derselben Hand stammt sie aus den zwei 1990 aufgelösten „Sculpture-Albums“ des schottischen Antiquars und Kunsthistorikers Sir William Stirling-Maxwell (1818–1878). Auf der Rückseite ist sie mit „Tagio [Fregio?] di Polidoro da Carravaggio“ beschriftet.[2]
Abb. 4: Anonym, Viktorienfries vom Palazzetto Massimo istoriato, 180 x 1569 mm, Feder und Tinte, braun laviert über schwarzer Kreide, ehem. Stirling Maxwell Sculpture-Album SMS, fol. 1 © Foto: Christoph Frank nach freundlichem Hinweis von Amanda Claridge (Warburg Institute London, Cassiano database records for Stirling-Maxwell ‘Sculpture’ Album)Ursprünglich scheint diese Zeichnungsgruppe im 18. Jahrhundert in das von Cassiano dal Pozzo (1588–1657) initiierte Museo Cartaceo eingefügt worden zu sein, möglicherweise unter Kardinal Alessandro Albani, kurz bevor dessen Sammlung 1762 durch Vermittlung der Architekten Robert und James Adam an König Georg III. nach England verkauft und dort weiter verteilt wurde. 1865 erwarb Stirling-Maxwell dann einige dieser Blätter.[3]
Bislang wurde in der Literatur teilweise angenommen, dass diese Zeichnungen im späten 17. oder 18. Jahrhundert entstanden seien.[4] Tatsächlich bilden sie aber eine stilistisch einheitlichen Gruppe, die statt der übrigen Ornamentzeichnungen des Museo Cartaceo, vielmehr das durch Lhuillier und seinem Lehrer Charles-Louis Clérisseau (1722–1820) um 1760 verbreitete Motivrepertoire reflektieren (siehe weiterführend IX 5159-35-19-1 und Essay „Stilistische Gruppen“, Gruppe 4 ). Obwohl nicht in Rötel oder schwarzer Kreide gezeichnet, sind sie wahrscheinlich von einem bislang nicht bekannten Zeichner nach deren Vorlagen kurz vor dem Verkauf der Sammlung nach England 1762 kopiert und dann in die Sammlung dal Pozzo-Albani eingefügt worden. Im Fall dieses Viktoria-Trophäen-Frieses könnte die Zeichnung aus dem Pariser Kunsthandel oder aber eine weitere Version als Vorlage gedient haben. Weitere potenzielle Kopien anderer Motive nach Lhuillier von einer vergleichbaren Hand in Feder und braun laviert konnte Georg Kabierske im Cooper-Hewitt-Museum in New York identifizieren.[5] Auch der bereits erwähnte Fries im Nachlass von Pierre-Adrien Pâris ist über die spezifischen Details erneut mit der Rötel-Version aus dem Pariser Kunsthandel in Verbindung zu bringen, allerdings ist er seitenverkehrt wiedergegeben (Abb. 5) . Aus sechs Blättern zusammengeklebt, ist er mit einer Höhe von ca. 175 mm und einer Gesamtlänge von ca. 1630 mm aber etwas größer und somit ungefähr so groß wie das Karlsruher Blatt (beide Friesstücke zusammen sind ca. 180 mm bzw. 202 mm breit und ca. 1630mm lang). Wahrscheinlich wurde die Zeichnung in Besançon nach einer seitenverkehrten Vorlage von Lhuillier, wie z.B. einem Abklatsch, in Feder kopiert. Aufgrund der stilistischen Nähe in der präzisen und feinen Zeichenart (siehe z.B. Patera mit Maske, vol. 482, Nr. 127 ) und der gleichen technischen Ausführung kann diese Zeichnung gesichert mit anderen Zeichnung in Verbindung gebracht werden, die Pierre-Adrien Pâris selbst zugeschrieben werden.
Abb. 5: Pierre-Adrien Pâris, Viktorienfries vom Palazzetto Massimo istoriato, um 1771–1774 (?), Feder und Tinte, braun laviert, 172 x 1643 mm © Bibliothèque municipale de Besançon, Sammlung Pierre-Adrien Pâris, Vol. 482, n° 136a/136b Christoph Frank wies zudem auf das römische Zeichenalbum (Universitätsbibliothek Uppsala, Inv. X 292 l, 1932/30) des schwedischen Architekten Gustav af Sillén (1762–1825) hin, der 1788–1793 eine Studienreise nach Italien unternahm. Im Zeitraum zwischen 1789 und 1792 entstanden, sind darin in mehrere Hefte aufgeteilt zahlreiche Skulpturen, Altäre, Kandelaber, Vasen, Urnen, Sarkophage, Reliefs und Ornamente aus den römischen Sammlungen als teilweise lavieret Umrisszeichnungen wiedergegeben. Die im letzten Abschnitt des Albums vorhanden Studien wurden, so gibt es das Titelblatt an, 1791–1792 nach Vorlagen des schwedischen Malers Jonas Åkerström (1759–1795) kopiert, der sich selbst auch 1788–1795 in Rom aufhielt.[6] Darunter befindet sich auch der von Polidoro da Caravaggio inspirierte Fries, der, auf vier Einzelblätter aufgeteilt, wie die zuvor vorgestellten Blätter erneut die Fassung der Rötelzeichnung aufgreift (Abb. 6a, 6b, 6c, 6d).[7]
Abb. 6a: Gustaf Georgsson af Sillén nach Jonas Åkerström, Viktorienfries vom Palazzetto Massimo istoriato, Mai 1791, Feder u. Tinte, grau-braun laviert, Uppsala University Library (Special Collections), Inv. X 292 l, 1932/30CC0 1.0 Abb. 6b: Gustaf Georgsson af Sillén nach Jonas Åkerström, Viktorienfries vom Palazzetto Massimo istoriato, Mai 1791, Feder und Tinte, grau-braun laviert, Uppsala University Library (Special Collections), Inv. X 292 l, 1932/30CC0 1.0
Abb. 6c: Gustaf Georgsson af Sillén nach Jonas Åkerström, Viktorienfries vom Palazzetto Massimo istoriato, Mai 1791, Feder und Tinte, grau-braun laviert, Uppsala University Library (Special Collections), Inv. X 292 l, 1932/30CC0 1.0 Abb. 6d: Gustaf Georgsson af Sillén nach Jonas Åkerström, Viktorienfries vom Palazzetto Massimo istoriato, Mai 1791, Feder und Tinte, grau-braun laviert, Uppsala University Library (Special Collections), Inv. X 292 l, 1932/30CC0 1.0
Allerdings gibt es minimale Abweichungen in der Wiedergabe einzelner Elemente. Außerdem wirkt die Komposition etwas leichter, da der Hintergrund mit weniger Trophäen angefüllt ist. Die dafür benutzte Zeichnungsvorlage von Åkerström ist den Autoren nicht bekannt. Jedoch zeigt deren Erwähnung, das auch dieses Friesmotiv unter den in Rom ansässigen Künstlern kursierte und für die jeweils eigene Sammlung übernommen wurde. Durch diese Motivweitergabe über mehrere Generationen von Zeichenschülern in Rom ist wahrscheinlich auch zu erklären, weshalb das um 1760 von Clérisseau und Lhuillier verbreitete Motivrepertoire noch in den 1790er Jahren und vielleicht darüber hinaus in Rom präsent war.
So findet sich auch ein etwas abgeänderter Ausschnitt mit der (auf der Karlsruher Zeichnung) linken Viktoria auf dem Titelblatt des neunten Hefts im 1798 von Charles Percier (1764–1838) und Pierre François Leonard Fontaine (1762–1853) publizierten Stichwerk Palais, maisons, et autres édifices modernes, dessinés à Rome (Abb. 7) . Während ihres gemeinsamen Studienaufenthalts an der Académie de France in Rom (Percier 1786–1790 und Fontaine 1787–1790) scheinen sie diesen Fries in ihre Motivsammlung, die sich ein jeder Künstler und Architekt während des Studiums in Rom anlegte, aufgenommen zu haben. Wie der Vergleich mit dem historischen Foto der Palazzofassade zeigt, weicht der im Stich wiedergegebene Friesabschnitt jedoch in Details von dem Fresko ab und scheint daher auf einer anderen Vorlage oder einer eigenen Adaption zu basieren. Die Gegenüberstellung mit den Blättern bei Gustav af Sillén macht deutlich, dass sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Umrissdarstellung durchgesetzt hatte.
Abb. 7: Zusammenstellung verschiedener antiker Details, aquarellierte Radierung, in: Charles Percier und Pierre François Léonard Fontaine, Palais, maisons, et autres édifices modernes, dessinés à Rome, Paris 1798, Taf. 50, Paris, Bibliothèque de l'Institut national d'histoire de l'art, collections Jacques Doucet, NUM FOL EST 688CC0 1.0 Dass Percier und Fontaine die gesamte, symmetrische Frieskomposition gekannt haben, belegt Tafel 24 in Heft vier dieses Stichwerks, die den Palazzo Medici-Clarelli in der Via Giulia zeigt. An der hier idealisiert dargestellten Straßenfassade ist der bekannte Fries schemenhaft angedeutet, jedoch wenden sich die beiden mittleren Viktorien nicht dem zentralen Tropaion, sondern den beiden seitlichen zu. Wie der Vergleich mit der 1874 erschienen Tafelwerk Édifices de Rome moderne ou recueil des palais, maisons, églises, couvents et autres monuments publics vo n Paul Marie Letarouilly zeigt, besaß die Fassade des Palazzo Medici-Clarelli auch einen Trophäenfries, der sich jedoch in seiner Komposition vollständig von dem von Percier und Fontaine wiedergebenen unterschied.
Dass gerade dieser Fries aus dem Fassadendekor des Palazzetto Massimo istoriato in einer Zeichnung rezipiert wurde, kann an dessen aus Höhe der Straße gut einsehbaren Position liegen. Dass er so häufig verbreitet wurde, liegt wahrscheinlich an seiner antikisierenden Wirkung – man denke beispielsweise auch an das Viktoria-Trophäen-Relief auf der Trajanssäule oder an die Viktoria-Trophäen-Reliefs vom Palatin (siehe IX 5159-35-19-1 und IX 5159-35-25-1 ) – und entsprach somit dem ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gezeichneten Motivrepertoire. Künstler und Architekten nahmen zu dieser Zeit offenbar die Bauornamentik der Renaissance, die ihrerseits die Antike aufgriff als gleichwertig wahr und verarbeiteten diese Motive so auch für eigene Entwürfe.[8]
Georg Kabierske und Bénédicte Maronnie
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