Von diesem Reliefmotiv aus der Gartenfassade des Palazzo Barberini liegen insgesamt drei Zeichnungen der Piranesi-Werkstatt vor, die untereinander in Bezug stehen und anhand derer sich der zeichnerische Entwicklungsprozess nachvollziehen lässt.
Abb. 4: Nicolas François Daniel Lhuillier (?) (um 1736–1793), Relief mit Eroten, Girlande und Opfermesser aus der Gartenfassade des Palazzo Barberini, vermutlich zwischen 1755–1768, Rötel, 377 x 248 mm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, IX 5159-35-9-4CC0 1.0 An erster Stelle steht die Zeichnung IX 5159-35-9-4 (Abb. 4), die wirklichkeitsgetreu und detailliert nach dem Relief kopiert wurde. So sind die flatternden Schmuckbänder im Hintergrund wie auf dem Marmorrelief fragmentiert wiedergegeben. Zudem wurden einige im Relief vorhandene Details dargestellt, die in den weiteren gezeichneten Etappen vereinfacht oder beseitigt wurden, so etwa die Schleife zwischen Opfermesser und Girlande. Einige Stellen sind jedoch nur angedeutet beziehungsweise unvollendet skizziert worden, wie das Gesicht des linken Eroten oder die rechte Flanke mit Flügel des rechten Eroten. Die Konturen wurden zudem mehrfach nachgefahren, zum Beispiel am linken Flügel und an den Beinen des linken Eroten. Beim Zeichnen nach dem Relief wurde somit progressiv nach Form und Linie gesucht. Dank der mehrfach überarbeiteten und verstärkten Konturen gewann die Zeichnung allmählich auch an Plastizität (zu den zwei unterschiedlichen Röteltönen siehe Merkmale der Zeichenmedien ). Außerdem wurde der linke Erote unterhalb der Reliefzeichnung leicht vergrößert wiederholt, vielleicht weil der rechte Blattrand kaum Platz zur detaillierten Ausarbeitung des rechten Flügels bot. Das am linken Blattrand wiedergegebene Pilasterkapitell könnte, wie in Beschreibung und Komposition angegeben, von der Gartenfassade der Villa Medici und somit aus einem anderen Kontext stammen.
Abb. 5: Nicolas Lhuillier für Giovanni Battista Piranesi (?), Relief mit Opfermesser vom Palazzo Barberini, vermutlich zwischen 1755–1768, Rötel, 121 x 285 mm © The Morgan Library & Museum. 1966.11:24. Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. Morgan.Eine weitere Zeichenetappe stellt das Blatt aus der Morgan Library (Inv. 1966.11:24 , Abb. 5) dar, auf dem nach der empirischen Dokumentation des Marmorreliefs IX 5159-35-9-4 erste Veränderungen vorgenommen wurden.[1] Die Motive wurden erneut zunächst in Rötel nur skizziert. Kleinere Elemente wie das Opfermesser und die flatternden Bänder wurden dabei lediglich angedeutet, anschließend deren Konturen in schwarzer Kreide präzisierend ergänzt. Während das im Hintergrund flatternde Schmuckband in der vorangegangenen Zeichnung in Karlsruhe noch im fragmentierten Zustand dokumentiert ist, wurde es hier zeichnerisch rekonstruiert (Abb. 6).
Abb. 6: Detailvergleich zwischen Staatliche Kunsthalle Karlsruhe IX 5159-35-9-4 (oben) und 1966.11:24 (unten) © The Morgan Library & Museum. 1966.11:24. Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. Morgan.Dabei wurden die Bandstücke zu einer fast symmetrischen, wellenartigen Komposition ergänzt. Einzig ein in schwarzer Kreide skizziertes Fragment blieb über dem Opfermesser stehen, obwohl es nicht in das neue Rekonstruktionsschema passt. Die etwas verdrückte Schleife unterhalb des Opfermessers in der Mitte der Fruchtgirlande wurde entfernt, wodurch die Komposition eine größere Klarheit erlangt.
Abb. 7: Nicolas François Daniel Lhuillier (?) (um 1736–1793) und unbekannter Zeichner der Piranesi Werkstatt, Relief mit Eroten, Girlande und Opfermesser aus der Gartenfassade des Palazzo Barberini, vermutlich zwischen 1755–1768, vor 1774, schwarze Kreide und Rötel, 186 x 348 mm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, IX 5159-36-32-4CC0 1.0 Den Schlusspunkt in dieser zeichnerischen Entwicklung bildet schließlich die zweite Karlsruher Zeichnung IX 5159-36-32-4 (Abb. 7). In Rötel ist das Relief nun weiter ausgearbeitet und in der Darstellung konsolidiert. Analog zur vorangegangenen Zeichnung sind die flatternden Bänder im Hintergrund angelegt, auch die Schleife in der Girlande fehlt.
Abb. 8: Giovanni Battista Piranesi: Altare antico di marmo (…), Taf. 31, in: Vasi, Candelabri, 1778 (siehe Katalog von 1792, Nr. 31, 1774 datiert), Radierung, Biblioteca Histórica de la Universidad Complutense de Madrid. BH GRL 3CC BY-NC 4.0 Abb. 9: Detailvergleich zwischen Staatliche Kunsthalle Karlsruhe IX 5159-36-32-4 (links) und Vasi, candelabri, Taf. 31 (rechts)CC BY-NC 4.0 Im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Blättern steht diese Zeichnung zudem in direktem Bezug zu Tafel 31 der Vasi, Candelabri (Abb. 8, Abb. 9).[2] Zeichnung und Druck haben die gleichen Maße, in beiden Fällen ist das Relief hier ebenfalls in einen Sockel eingelassen und die flatternden Bänder im Hintergrund sind rekonstruiert wiedergegeben. Wo in der Zeichnung jedoch das einzelne, nun deplatziert wirkende Bandfragment über dem Opfermesser noch angedeutet ist, wurde es in der Radierung weggelassen, da es die Komposition verunklärte. Bei der Überlagerung von Zeichnung und Druck wird die Übereinstimmung noch deutlicher. Dennoch fallen einige Abweichungen auf, vor allem im Bereich des Sockels, der in der Zeichnung nur grob angedeutet wurde. So ist in der Radierung die Relieffläche rechts neben dem rechten Eroten etwas breiter als in der Zeichnung. Zudem weichen einige Details wie etwa die Flügel und das Haar des rechten Eroten sowie der linke Arm des linken Eroten in ihren Konturen leicht von der Zeichnung ab – Unstimmigkeiten, die im Umsetzungsprozess auf die Druckplatte entstanden sein können. Dennoch ist aus der deutlichen Übereinstimmung von der Zeichnung mit dem Druck sowie aus der technischen Analyse ( siehe Zeichnerischer Prozess ) zu schließen, dass dieses Blatt als vorbereitende Zeichnung für die Tafel 31 (Abb.8. ) der Vasi, candelabri gedient hat.
Im Vergleich mit den beiden vorangegangenen Darstellungen (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe IX 5159-35-9-4 und Morgan Library Inv. 1966.11:24 ) desselben Reliefs wird die Bedeutung und Funktion dieser Zeichnung im erfinderischen Prozess und im Transfer vom antiken Vorbild zur neuen Bildinvention deutlich. So wurde das in die Gartenfassade des Palazzo Barberini eingelassene antike Relief durch den zeichnerischen Prozess im Druck zu einem Sockelrelief umfunktioniert. Im neuen Kontext fungiert das Motiv als Front einer Basis, auf der ein Wasserbecken mit zentralem Säulenfuß und zwei seitlichen Hippogryphen- bzw. Löwenfüßen steht. Laut der Legende soll dieses Objekt aus der Villa Adriana bei Tivoli stammen, jenem Ort, von dem Piranesi bei Ausgrabungen eine große Menge fragmentarischen antiken Materials für seine Restaurierungen und Antikenkompositionen bezog. Das Becken gehörte zu Piranesis eigener Sammlung und wurde wahrscheinlich in dessen Werkstatt stark restauriert. Es wurde nach England verkauft und 1907 vom British Museum in der Auktion des Duke of Sutherland in Trentham Hall erworben. Dieser sogenannte Trentham Laver steht jedoch auf einer anderen Basis, die aus einer Marmorplatte mit Rankenmotiven und niedrigen, klotzhaften Füßen mit Masken besteht. Diese Assemblage entspricht dabei weitgehend der Wiedergabe in Tafel 32 der Vasi, Candelabri . Lediglich eine der Längsseiten der Basisplatte ist im Druck noch mit einer spitzbogig zulaufenden Erweiterung versehen, die im ausgeführten Marmorobjekt im British Museum fehlt und wie abgebrochen erscheint.
Stattdessen dürfte die in Tafel 31(Abb.8. ) wiedergegebene Komposition mit dem Relief aus der Gartenfassade des Palazzo Barberini einen alternativen Restaurierungsvorschlag wiedergeben, der anscheinend nur als druckgraphische Wiedergabe existiert. Wie auch andere Beispiele aus dieser Druckserie diente sie offenbar zu Demonstrationszwecken, als Ausweis für die Kreativität der Piranesi-Werkstatt und der dort hergestellten Restaurierungen bzw. Assemblagen.[3] Allerdings ist es auch nicht auszuschließen, dass dieses Relief vom Palazzo Barberini in einer anderen, heute nicht mehr erhaltenen Assemblage in Marmor oder einem anderen Material kopiert wurde.
Bemerkenswert ist überdies der stilistische Unterschied zwischen Zeichnung und Druck, was sowohl auf die Arbeitsteilung in der Werkstatt hinweist als auch auf eine Nutzung des gezeichneten Werkstattmaterials über eine längere Zeitspanne hinweg. In der druckgraphischen Wiedergabe wirkt das Relief allgemein steifer als in der Zeichnung, vor allem im Bereich der Arme und in den Körperhaltungen (Abb. 10).
Abb. 10: Detailvergleich des Eroten aus Staatliche Kunsthalle Karlsruhe IX 5159-35-9-4 (links) und des Eroten aus Vasi, candelabri Taf. 31 (rechts); Detailvergleich der Opfermesser (von oben nach unten), Staatliche Kunsthalle Karlsruhe IX 5159-36-32-4 (innerhalb des Reliefs)und IX 5159-36-32-4 (unterhalb des Reliefs) und Vasi, Candelabri, Taf. 31.CC BY-NC 4.0 Von schwacher künstlerischer Qualität ist die Ausführung von Details wie der Gesichter und des Löwenkopfs. Einige Details wurden auch etwas vereinfacht, z.B. wurde der Griff zwischen Löwenkopf und Klinge verkürzt. Dieser Qualitätsunterschied zwischen Zeichnung und Druck lässt sich anhand weiterer Beispiele beobachten, insbesondere aber bei jenen Drucken, die zu Piranesis Spätwerk gehören. Ein weiteres Beispiel ist die Piranesi-Zeichnung aus dem Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) in Karlsruhe, die ehemals auch zu dem von Weinbrenner erworbenen Konvolut gehörte und die gleichfalls qualitativ besser ist als ihre Umsetzung in der Radierung.
Abb. 11 : Giovanni Battista Piranesi, Vignette aus Di Due Spelonche, Rom 1762, Radierung, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.874CC BY-NC-SA 3.0 Bereits Massimiliano Papini wies darauf hin, dass das Opfermesser auch in der Vignette (Abb. 11) der ersten Texttafel der 1762 publizierten Druckserie Due Spelonche zu finden ist.[4] Obwohl dieses Element ebenso in anderen antiken Vorbildern vorhanden ist, spricht die große Ähnlichkeit mit dem Messer vom Palazzo Barberini dafür, dass dieses als Vorbild für den Druck übernommen wurde. Besonders die Ausführung der Details und des Stils legt dies nahe, auch wenn der Griff zwischen Löwenkopf und Messerklinge in der Vignette zusätzlich kanneliert worden ist. Insbesondere der doppelt gezeichnete Löwenkopf in IX 5159-36-32-4 (im Relief sowie am vergrößerten Messer darunter) scheint der Vignette von 1762 sogar näher zu stehen als der Tafel von 1774 (Abb. 12).
Abb. 12: Detailvergleiche zwischen Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, IX 35-9-4; IX 36-32-4; Di due Spelonche, Vignette (oben) und Morgan Library, 1966.11:24; IX 36-32-4; Vasi, Candelabri, Taf. 31 (unten)CC BY-NC-SA 3.0 Die Reliefzeichnung von IX 5159-36-32-4 sowie die vorangegangenen Zeichnungsprozesse (IX 5159-35-9-4 und 1966.11:24 ) müssen daher schon vor 1762 entstanden sein. Der rahmende Sockel auf IX 5159-36-32-4 könnte jedoch auch erst nach diesem Datum und in Vorbereitung des 1774 erschienenen Drucks (Datierung nach dem Katalog von 1792 , in dem die Tafeln der Vasi, Candelabri datiert sind) hinzugefügt worden sein, also zwischen 1762 und 1774. In der Motivsammlung der Werkstatt verblieben, wurde das Blatt IX 5159-36-32-4 somit über einen längeren Zeitraum hinweg, vermutlich auch nach Lhuilliers Abreise aus Rom 1768, als Vorlagematerial genutzt (siehe dazu auch etwa IX 5159-35-10-1 und IX 5159-35-35-1 ).
Georg Kabierske und Bénédicte Maronnie
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