Der große prachtvoll gewölbte und reich verzierte Raum erstreckt sich weit in die Tiefe. Er ist als eindrucksvolle Überwältigung angelegt. Die diffuse Beleuchtung vermittelt einen theatralischen Eindruck, der durch das Vorhangmotiv des thronartigen Aufbaus links noch verstärkt wird. Diese fulminant ausgeführte Zeichnung beschließt das zweite Album. Sie steht in exemplarischer Weise für den versierten und erfindungsreichen Zeichner Giovanni Battista Piranesi.
Werkdaten
Künstler
Giovanni Battista Piranesi (1720–1778), Gruppe 1
Ort und Datierung
Rom, vermutlich um 1748–1750
Abmessungen (Blatt)
155 x 217 mm
Inventarnummer
IX 5159-36-33-4
- Zeichenmedien
Feder und Lavierung in Braun (Eisengallustinte) über Vorzeichnung in Rötel; weitere Informationen siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Keine
- Literatur
Georg Kabierske: A Cache of Newly Identified Drawings by Piranesi and His Studio at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Master Drawings 53, 2015, S. 147–178, hier S. 148, 150, Abb. 2; Georg Kabierske: Weinbrenner und Piranesi. Zur Neubewertung von zwei Grafikalben aus dem Besitz Friedrich Weinbrenners in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, in: Brigitte Baumstark/Joachim Kleinmanns/Ursula Merkel (Hg.): Friedrich Weinbrenner, 1766-1826: Architektur und Städtebau des Klassizismus, Ausst. Kat. Karlsruhe, Städtische Galerie und Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Petersberg 2015 (2. Aufl.), S. 75–87, hier S. 77f.; Georg Kabierske: Vasi, urne, cinerarie, altari e candelabri. Newly Identified Drawings for Piranesi’s Antiquities and Sculptural Compositions at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Francesco Nevola (Hg.): Giovanni Battista Piranesi. Predecessori, contemporanei e successori: Studi in onore di John Wilton-Ely, Rom 2016, S. 245–262, hier S. 246; Stefan Morét: Due Album di disegni di Giovanni Battista Piranesi e della sua bottega dal lascito dell’architetto Friedrich Weinbrenner (1766–1826): un’introduzione, in: Vita Segreto (Hg.): Libri e Album di Disegni 1550–1800. Nuove prospettive metodologiche e di esegesi storico-critica, Rom 2018, S. 203–212, hier S. 204f., Abb. 2.
- Hadernpapier
Vergé, vermutlich italienische Herstellung; Papierseite der Zeichnung nicht zuweisbar; weitere Informationen siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Keine erkennbaren Hinweise auf eine rückseitige Bezeichnung oder Beschriftung
Das Werk im Detail
- Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung
In der Zeichnung ist keine real existierende Architektur dargestellt, sondern es handelt sich um eine für das Werk Piranesis typische Architekturphantasie oder ein Capriccio, ein Genre, das heute zu den bekanntesten Schöpfungen des Künstlers zählt.[1] In den Klebealben der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe findet sich nur noch eine weitere vollendete Komposition mit ähnlichen Blattmaßen (IX 5159-36-33-1), die auch auf dieser Albumsseite eingeklebt ist. Hinzu kommt eine Rückseite (IX 5159-35-32-4v), die ein Fragment eines weiteren fantastischen architektonischen Arrangements zeigen könnte. Für eine weiterführende Erläuterung siehe IX 5159-36-33-1, Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung.
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Zur Einführung in das Genre siehe Roland Kanz: Die Kunst des Capriccios. Kreativer Eigensinn in Renaissance und Barock. München 2002, und in Bezug auf Piranesi siehe Andrew Robison: Early Architectural Fantasies. A catalogue raisonné of the Etchings, Washington D.C. 1986.
- Beschreibung und Komposition
Mit ihrem kleinen rechteckigen Format und Spuren einer vorherigen Montierung stimmt die Zeichnung mit der zweiten Architekturphantasie der Karlsruher Klebealben überein, auch wenn sie mit 155 x 217 mm etwas größer als jene ist. Zunächst andeutungsweise in Rötel vorskizziert, wurde die Szenerie dann mit Feder in brauner Tinte und Lavierung locker ausgearbeitet. Während der Vordergrund detailreich gezeichnet ist, sind die architektonischen Elemente bei zunehmender Bildtiefe in hektischen Strichen skizzenhaft angedeutet. Dabei öffnet sich vor dem Auge des Betrachters in leicht schräger Perspektive ein imaginärer palastartiger oder sakraler Innenraum. Durch die geschickt eingesetzte dunkle Lavierung im Vordergrund, die einen Kontrast zum helleren bühnenartigen Raum dahinter bildet, entsteht eine besondere Tiefenwirkung. Zu Pfeilern zusammengefasste Säulengruppen tragen Gurtbögen mit barock anmutendem Volutendekor, zwischen denen mit Girlanden geschmückte Pendentifs zu angeschnittenen Tambouren oder Kuppeln überleiten. Im Scheitel der Bögen und der Gebälkzone über den Säulen sind zudem Medaillons angedeutet. Ganz im Hintergrund lässt sich eine abschließende, mehrstöckige Wandgliederung mit Pilastern oder Säulen sowie Dreiecksgiebeln erahnen. Des Weiteren schiebt sich ein von einem mächtigen Baldachin überfangener und von Sphingen flankierter Thron am linken Bildrand ins Blickfeld. Rechts daneben im Vordergrund sind trophäenhafte Gebilde auszumachen, die sich dank brauner Lavierung kontrastreich vom nach hinten heller werdenden Fond abheben. Hinter ihnen ragt in der rechten Blatthälfte eine Art Monument aus übereinandergeschichteten Elementen empor, das an einen Altar oder Kandelaber denken lässt. Auf dieser Bildebene sind in der Blattmitte die Säulengruppen mit Sockeln umstanden, auf denen Büsten angeordnet sind. Ähnlich wie bei der anderen Karlsruher Architekturphantasie steigen auch hier dunkle Rauchschwaden aus Flammenschalen empor. Für Irritation sorgt schließlich der am Scheitel des vorderen Gurtbogens herabhängende große Ring, der eher an eine Kerkerszene als an einen Palast oder Kirchenraum denken lässt und die eindeutige Bezeichnung der Szenerie einmal mehr erschwert.
Georg Kabierske
- Einordnung in das Gesamtwerk Piranesis
Das sich scheinbar in die Unendlichkeit erstreckende Raumgeflecht von überwölbten Hallen verwirklichte Piranesi schon früh in Radierungen verschiedener Druckserien, etwa in der Prima parte di architetture (1743), in den berühmten imaginären und expressiven Kerkerszenen der Carceri (um 1749–1750 und 1761), in den Opere varie (1750 und nach 1761) sowie in zahlreichen separaten Zeichnungen. Durch die Zusammenstellung rätselhafter Gegenstände und Formen schuf er eine diffuse Atmosphäre. Piranesi orientierte sich hier an der Tradition von streng in Zentral- oder Diagonalperspektiven konstruierten Bühnenbildern, die als Hintergrund von Opernaufführungen imaginäre Palastanlagen oder Kerker darstellten. Meister dieser Kunst waren etwa Giuseppe Galli da Bibiena (1696–1757) und seine Familie, mit deren Werken sich Piranesi in Folge seiner Ausbildung bei Carlo Zucchi (1682–1767) in Venedig auseinandersetzte.[1] Piranesi lässt jegliche Schwere barocker Architektur hinter sich und gibt seinem Raumlabyrinth eine abwechslungsreiche Vielfalt, die den Betrachter zu imaginären Erkundungen anregt. Während sich die zweite Architekturphantasie mit Brücken und Triumphbögen eines rein antikisierenden Motivrepertoires bedient, sind die Gurtbögen und Gebälkzonen hier zum Teil als Voluten ausgebildet. Sie orientieren sich damit am Formenschatz des römischen Hochbarocks, den Piranesi in seiner Architektursprache rezipierte. Die aus übereinander geschichteten Elementen bestehende Komposition in der rechten Blatthälfte lässt weiterhin an die von Piranesi entworfenen Kandelaber (siehe IX 5159-35-46-1) oder den Hochaltar der Kirche Santa Maria del Priorato denken.
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Zu Galli da Bibiena siehe weiterführend z.B. John Marciari/Laurel O. Peterson (Hg.): Architecture, Theater, and Fantasy. Bibiena Drawings from the Jules Fisher Collection, New York 2021.
- Ableitung, Rezeption und Dissemination
Stilistisch wie motivisch stimmt das Blatt mit anderen Architekturphantasien Piranesis überein, wobei vergleichbare Elemente der Architekturgliederung als sich wiederholende Muster wiederkehren. So finden sich die im Scheitel der Bögen und an den Gebälkzonen angedeuteten Tondi auch an den Ehrenbögen der anderen Architekturphantasie der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (IX 5159-36-33-1) und an den Pfeilergruppen in der Zeichnung Blick durch einen Bogen in einen monumentalen gewölbten Innenraum im British Museum (Inv. 1908,0616.20, 162 x 224 mm)[1]. Dem Thema des mysteriösen Innenlebens gigantischer Palastanlagen widmete sich Piranesi aber auch in der Ansicht einer königlichen Treppe in der Kunsthalle Hamburg, Inv. 1915–640, und im großformatigen Blatt der National Gallery in Washington D.C. (Inv. 2000.9.20). Bei letztgenannter blickt der Betrachter in der rechten Blatthälfte ebenfalls in einen in die Tiefe führenden Innenraum, der mit ähnliche Kompositionsparadigmen wie Bögen, Pendentifs und mit Säulen umstandenen Tambouren überfangen ist und in eine Kolonnade mit Dreiecksgiebel mündet (Abb. 1).
Abb. 1: Giovanni Battista Piranesi, Architekturphantasie mit Blick in einen Palast oder Kirchenraum Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-36-33-4; Giovanni Battista Piranesi, Ein großartiges Palastinterieur, 1748–1752, Feder und braune Tinte, braun laviert, mit Graphit über Rötel und Spuren schwarzer Kreide, 376 x 515 mm, Washington, National Gallery of Art, 2000.9.20, Gift of Gertrude Laughlin Chanler
Public Domain Mark 1.0Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Zur Zeichnung im Britsh Museum siehe Sara Vowles: Piranesi Drawings, Visions of Antiquity: Drawings from the British Museum, Ausst. Kat. London, British Museum, London 2020, S. 64f.
- Zuschreibungshypothesen
Die Zeichnung lässt sich eindeutig Giovanni Battista Piranesi zuschreiben. Charakteristisch ist die über einer flüchtigen Skizze in Kreide angelegte Federzeichnung, bei der mit raschen Strichen die Szenerie erfasst wurde. Trotz des summarischen Vorgehens – die Säulen sind durch vertikale Striche angedeutet und die Bögen mehrfach nachgerissen – zeigt sich Piranesis Gabe für die präzise und proportionsgerechte Erfassung des architektonischen Raums. Die hakenförmigen Enden der Striche, partielle Zickzack Schraffuren und die zu Gebilden wie Wolken, Girlanden, Trophäen und Büsten sich verdichtenden Kritzeleien offenbaren das routinierte Vorgehen des Künstlers. Aufgrund des ähnlich kleinen Formats und der stilistischen Nähe zu der anderen Architekturphantasie in Karlsruhe (IX 5159-36-33-1), den zuvor im Vergleich hinzugezogenen Zeichnungen sowie jenem der Courtauld Gallery in London (Inv. 1952.RW.4004)[1] ist das Blatt wahrscheinlich ebenfalls in die Zeit zwischen 1748 und 1750 zu datieren.
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Siehe Andrew Robison: Early Architectural Fantasies. A catalogue raisonné of the Etchings, Washington D.C. 1986, S. 39, Abb. 44; Für eine Abbildung der Zeichnung aus der Courtauld Gallery in London, Inv. 1952.RW.4004, siehe Georg Kabierske: A Cache of Newly Identified Drawings by Piranesi and His Studio at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Master Drawings 53, 2015, S. 147–178, hier S. 151, Abb. 3.
- Kunsthistorische Wertung
Bei der Architekturphantasie handelt es sich um eine von zwei Zeichnungen (vgl. IX 5159-36-33-1) in den Karlsruher Klebealben, die Giovanni Battista Piranesis herausragendes künstlerisches Talent als Entwerfer virtuos und einfallsreich komponierter Architekturwelten vor Augen führen. Im Unterschied zu den überwiegend in den Klebealben vorhandenen Antikenzeichnungen, die einen vertieften Einblick in die Arbeitsweise der Piranesi-Werkstatt und deren Mitarbeiter ermöglichen, spiegeln diese Blätter die originelle Kreativität des Meisters wieder. Soweit bisher bekannt scheint die hier vorgestellte Komposition keine weitere Verwendung im Werk Piranesis gefunden zu haben.
Georg Kabierske
- Merkmale des Papiers
Ohne Wasserzeichen
Herstellungsmerkmale:
Ungefärbt; dünne Stärke; sehr feine, gleichmäßige Siebstruktur; Stegschatten nicht erkennbar; prägnante Filzmarkierung; gelatinegeleimt; per Hand geglättet (im Reflexlicht streifiger Oberflächenglanz).
Ausführliche Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Rötel (Detail 1): insgesamt dunkelrotes Erscheinungsbild; breiter, nur schwach deckender Strich, der auf den Erhöhungen der Papieroberfläche in Strichrichtung vor den Fasern angelagert ist; stellenweise trocken verwischt oder durch Lavierung verschleppt (Detail 1b).
Detail 1a: Auflicht
Rötel der Vorzeichnung, darüber Feder gefolgt von PinselDetail 1b: Auflicht
Close-Up mit der Pinsellavierung verschleppter Rötel (Sockel des zweiten Pfeilers v.l.)Feder und Pinsel in brauner Tinte (auf der Basis von Eisengallustinte): Feder und Pinsel: hellbraun bis tief dunkelbraun je nach Auftragsstärke; Auslöschung von UV-Strahlung im Auftragsbereich und angrenzenden Höfen (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt), teils daran angrenzend schwach sichtbare Fluoreszenz; geringe Absorption von IR-Strahlung, dadurch in diesem Strahlungsmodus in allen Bereichen durchscheinender (IR, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt); keine Anlagerung von Partikeln innerhalb der hellen Lavierungen erkennbar (Detail 1a, linke Seite), aber in Bereichen starken Auftrags deutliche pigmentierte Trocknungsränder (Detail 1b, Detail 2); Feder: in Bereichen intensivsten Auftrags starke Krustenbildung (Detail 3, close-up).
Detail 2a: Auflicht
Federstrich in Tinte mit sichtbarer Hofbildung, akzentuiert durch Verschleppen beim nachträglichen Lavieren, Spuren von weißem Farbmittel aufliegend (Bogen über dem dritten Pfeiler v.l.)Detail 2b: Streiflicht
Federstrich in Tinte mit sichtbarer Hofbildung, akzentuiert durch Verschleppen beim nachträglichen Lavieren; Spuren von weißem Farbmittel aufliegend; PapieroberflächeDetail 2c: Auflicht
Spuren von weißem Farbmittel aufliegend über Federstrich in Tinte (Ausschnitt aus Abb. 2a)Detail 2d: Streiflicht
Auflage von Spuren von weißem Farbmittel über Federstrich in Tinte (Ausschnitt aus Abb. 2b)Nicht zu der Entstehung der Zeichnung gehörige Farbmittel (Details 2 u. 3): weißer, trockener und verwischter Farbauftrag über einem Bereich der Darstellung mittig im Blatt (UVFC, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt).
Detail 3a: Auflicht
Deckender Pinselauftrag rechts, hauptsächlich links davon Spuren von weißem Farbmittel aufliegend (mittig, links neben der dunklen Skulpturengruppe)Detail 3b: Auflicht
Close-Up aus 3a: Pinselstrich mit Tinte, linksseitig Spuren von weißem Farbmittel aufliegendAusführliche Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer und Irene Brückle
- Zeichnerischer Prozess
Im Format weicht das Blatt etwas von dem anderen Capriccio (IX 5159-36-33-1) der Karlsruher Alben ab. Auch leichte Unterschiede in der Siebstruktur (weniger deutlich ausgeprägte Kettlinien) sprechen für die Verwendung unterschiedlicher Papiere. Die Papierkanten weisen auf die Entnahme der Seite aus einem Skizzenbuch hin, ohne dass die Formate oder Papiere der bekannten Skizzenbücher Piranesis mit diesem übereinstimmen würden.
Zuerst skizzierte der Künstler in breitem, wenn auch nur gering deckendem Rötelstrich. Diese Vorzeichnung ist so zart, dass man die tiefe, von Pfeilern unterteilte Halle ohne die darüber gesetzte Tintenzeichnung kaum hätte identifizieren können. Die Bildidee scheint bereits vollständig vorhanden gewesen zu sein, sodass beim Vorzeichnen diese leichte Andeutung genügte.
Die Ausarbeitung erfolgte mehrstufig in Feder und Pinsellavierung mit einer metallhaltigen Tinte, die wesentliche Merkmale einer Eisengallustinte aufweist (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt). Allerdings enthält diese Tinte, zumindest erkennbar in einigen dunkel deckenden Aufträgen ein zusätzliches Farbmittel, das Pigmentkörnchen (wie etwa Ruß) enthielt. In diesen deckenden Bereichen ist ein leichter Farbverlust durch Abrieb zu erkennen, der entsteht, wenn große oder unzureichend gebundene Pigmentpartikel in einer Tusche vorliegen. In den zwei auf Sockeln ruhenden Figuren links vorne und dem über ihnen drapierten Vorhang sind unter IR (Ebene) oder IRFC (Ebene) die Pigmentverluste deutlich als Fehlstellen zu erkennen, da sie sich in diesen MSI Aufnahmen von den metallhaltigen Bestandteilen der Tinte unterscheiden lassen. Letztere bestimmt das Erscheinungsbild der Zeichnung sowohl im VIS (Ebene) als auch unter UVF (Ebene). Ähnliche Phänomene gibt es in anderen Zeichnungen, bei denen Piranesi mit variabler Mischung und vergleichbarem Effekt arbeitete, so. zum Beispiel bei View of a street in Pompeii (Abb.) des British Museum, oder einer Zeichnung des Spätwerks, The Tomb of the Istacidi, Pompeii (Abb.) am Statens Museum for Kunst in Kopenhagen (Abb. 1 und 2). Dort zeigen breite, vermutlich mit Rohrfeder gesetzte Linien (Abb. 1), aber auch der wohl in Kielfeder gesetzte Schriftzug (Abb. 2), Pigmentanlagerungen.
Insgesamt ist die Technik dieser Zeichnung vergleichbar mit der des anderen Capriccios auf diesem Albumfolio (IX 5159-36-33-1; siehe dort Zeichnerischer Prozess). Die Bögen der Gewölbedecke bestehen häufig aus mehreren parallelen Linien, die bisweilen sowohl Strichkorrekturen als auch Bogenprofilierung darstellen können. Zwar lediglich angedeutet, aber ausgesprochen reichhaltig ist auch der Bauschmuck, der durch kringelnde, zickzackförmige, lange oder auch rhythmisch kurze Linien angedeutet wird.
Die Pinsellavierungen folgen maßgeblich der Federzeichnung und wurden in mehreren Abstufungen hinzugefügt. Unterschiedlich deckend und teils großflächig aufgetragen vertiefen sie die perspektivische Wirkung der Halle. Deren Öffnungen erscheinen im Hintergrund heller, nur diffus von oben durch die unsichtbaren Kuppeln beleuchtet. Der Blick des Betrachters führt von einem dunkel lavierten Vordergrund in die ein hell erleuchtete Tiefe des Raumes. Die dunkel lavierten Skulpturen und von einem Gefäß aufsteigende Rauschschwaden bilden mit ihrer Verschattung einen Rahmen, der den Eindruck eines Bühnenraums erweckt.
Relativ mittig im Bild (bei der giebelbekrönten Fassade im hinteren Raumabschluss) befindet sich eine nachträgliche Korrektur. Dort wurde mit einem trocken aufgetragenen, weißen Pigment eine Lavierung, möglichweise eine weitere Rauchschwade, optisch zurückgedrängt. Gut erkennbar ist diese flächige Korrektur im UV-Falschfarbenbild (UVFC, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt). Diese Überarbeitung könnte zwar später erfolgt sein, doch ist ihre künstlerische Absicht nachvollziehbar, wird mit ihr doch ein freier Durchblick in den beleuchteten Hintergrund ermöglicht.
Ausführliche Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer und Irene Brückle
- Merkmale historischer Nutzung
An drei Kanten gerade, oben ungleichmäßig beschnitten und stellenweise gerissen; recto mittig und Ecke r.o. verbräunte Klebstoffreste (gelblich fluoreszierend unter UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt), dort anhaftend Fragment eines dünnen Papiers, vermutlich geölt und mit Tinte- oder Tuschelinien bezeichnet; Klebstoffpunkte verso an den rechten Ecken und in der Mitte der langen Kanten, mit anhaftenden Papierfragmenten, linke Ecken ausgerissen (Durchlicht, Abb.; UVF, zoomen Sie hier in das Blatt; frühere Montierung); Abriss eines bogenförmigen Fragments an der oberen Kante bei Löseversuch von der früheren Montierung, durch Reste des Papiers der Montierung noch an dieser fixiert.
Ausführliche Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer
- Prozesse historischer Nutzung
Während drei Kanten gerade beschnitten sind, ist die obere Blattkante auffällig zackenförmig teils geschnitten, teils gerissen, als wäre sie bei diesem Vorgang schwer zugänglich gewesen. Dies könnte ein Hinweis dafür sein, dass es sich bei dem Papier um die Seite eines hochformatigen Skizzenbuchs handelt. Ein recto anhaftendes Papierfragment an der rechten oberen Kante weist keinen direkten Bezug zur Zeichnung auf, vermutlich ist es im Kontext einer späteren Aufbewahrung und Montierung mit weiteren Blättern entstanden oder auch durch eine unbeabsichtigte Fixierung auf dieser Zeichnung. Tuschelinien weisen darauf hin, dass sich auch auf diesem Blatt eine Zeichnung befand. Papierfragmente und Klebstoffreste (UVF, Abb.) in der Mitte des Blattes sind vermutlich ebenfalls darauf zurückzuführen.
Montierungshistorie
Die Spuren an diesem Blatt geben Hinweise auf einen unvorsichtigen Versuch, das Blatt von seiner früheren Unterlage, einem Vergépapier, zu lösen: die beiden linken Ecken sind ausgerissen, während an der unteren rechten Ecke noch ein Klebepunkt anhaftet. Der Klebepunkt in der Mitte der oberen Kante wurde großräumig ausgeschnitten, nachdem ein Löseversuch durch Reißen zu einem bogenförmigen Durchriss der Zeichnung am oberen Rand geführt hatte. Anders als verwandte Zeichnungen in weiteren Sammlungen (bspw. Hamburger Kunsthalle, British Museum, MFA Boston und Morgan Library) wurde diese nicht vollständig auf ein Unterlageblatt aufkaschiert und mit zwei Rahmenlinien in Eisengallustinte versehen. Auch eine vermutlich im Zuge dieser Kaschierung hinzugefügte Signatur „Piranesi“ fehlt.[1]
Ausführliche Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer und Irene Brückle
Einzelnachweis
1. Die Art der Montierung ist unter anderem für Architekturphantasien Piranesis bekannt. Auch wenn nicht bei allen Blättern die Signatur nachträglich hinzugefügt wurde, ist am Beispiel der Zeichnungen Assassination Scene in der Morgan Library und Fantastic Monument des MFA Boston ersichtlich, dass die Signaturen dort teilweise auf die Unterlageblätter übergreifen.
Schlagwörter
- Villa Borghese
- Giovanni Battista Piranesi
- Altar
- Kandelaber
- Trophäe
- Stilistische Gruppe 01
- Architekturfantasie
- IX 5159-36-33-4
- Thron
- Architekturphantasie
- Carceri
- Capriccio
- 1748–1750
- Prima Parte
- Palast
- Kirche
GND-Begriffe
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