An dieser Vase fallen vor allem die beiden Henkel auf, als wären nur sie für die Konstruktion der Zeichnung wichtig gewesen. Tatsächlich aber ist der gesamte Vasenkörper ein interessantes Gebilde, das keineswegs aus einem Stück besteht. Die Vase wurde ausgehend von einem antiken Marmorfragment in den 1770er Jahren in Piranesis Werkstatt zusammengestellt, wobei man unter anderem die Schlangenhenkel hinzufügte. Als Radierung veröffentlicht wurde sie 1775 in Piranesis Druckwerk über Vasen, Kandelaber, Stelen und Sarkophage (Vasi, candelabri). Heute befindet sich die Marmorvase im Los Angeles County Museum of Art. Die großformatige Zeichnung auf italienischem Papier entspricht der Größe des Drucks und ist vermutlich mit seiner Entstehung verbunden. Sie ist recht komplex angelegt, mehrere Schritte lassen sich klar unterscheiden. Gut erkennbar sind viele mit dem Lineal gezogene Konstruktionslinien. Etwas versteckt sind Pausen mit Ölpapier zu entdecken, mit denen der Schlangenkopf und einige Ornamente kopiert wurden.
Werkdaten
Künstler
Mehrere unidentifizierte Zeichner der Piranesi-Werkstatt, Gruppe 11
Ort und Datierung
Rom, zwischen 1769 und 1775
Abmessungen (Blatt)
510 x 312 mm
Inventarnummer
IX 5159-35-40-1
- Zeichenmedien
Schwarze Kreide, punktuell schwarzer Stift mit fetthaltigem Bindemittel; Details in Rötel; weitere Informationen, siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Zahlen am Maßstab
- Literatur
Georg Kabierske: Vasi, urne, cinerarie, altari e candelabri. Newly Identified Drawings for Piranesi’s Antiquities and Sculptural Compositions at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Francesco Nevola (Hg.): Giovanni Battista Piranesi. Predecessori, contemporanei e successori: Studi in onore di John Wilton-Ely, Rom 2016, S. 245–262, hier S. 249, Abb. 12; Stefan Morét: Due Album di disegni di Giovanni Battista Piranesi e della sua bottega dal lascito dell’architetto Friedrich Weinbrenner (1766–1826): un’introduzione, in: Vita Segreto (Hg.): Libri e Album di Disegni 1550–1800. Nuove prospettive metodologiche e di esegesi storico-critica, Rom 2018, S. 203–212, S. 208f, Abb. 11
- Hadernpapier
Vergé; italienische Herstellung (Papiermühle Odescalchi in Bracciano, Latium); Zeichnung auf der Filzseite; weitere Informationen, siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Das Werk im Detail
- Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung
In schwarzer Kreide, vereinzelt auch in Rötel, ist auf dem Blatt eine antikisierende Vase in Form eines Kraters mit extravaganten Schlangenhenkeln, Ornamenten, Weinreben und Eroten gezeichnet. Die letzteren beiden Elemente verweisen auf den Kontext des Weingotts Dyonisos, der in der griechisch-römischen Mythologie rauschende Feste veranstaltete. Diese Ikonographie passt zur Gefäßform, denn in der griechischen Antike diente ein Krater als Mischgefäß, in dem Wein mit Wasser verdünnt zum Trunk serviert wurde.
Mit Ausnahme komplexerer Elemente wie das Rankenrelief am Vasenbauch und die beideseitig dargestellten Schlangenhenkel ist nur die linke Hälfte der Vasenzeichnung nahezu vollständig ausgearbeitet. Dieses exemplarische Vorgehen, streng symmetrisch zu ergänzende ornamentale Partien nur einseitig zu zeichnen, ist ein typisches Merkmal der Zeichnungen der stilistischen Gruppe 11, die mit den Vasi, Candelabri in Verbindung stehen.
Bei dem dargestellten Objekt handelt es sich um die sogenannte Stowe-, Grenville- oder Buckingham-Vase, eine 119,38 x 101,6 x 76,2 cm große Marmorkomposition aus der Antikensammlung von George Grenville, 3rd Earl Temple (1753–1813) (Abb. 1).
Der englische Adelige, 1784 zum Marquis of Buckingham erhoben, hat sie während seiner Grand Tour nach Italien bei Giovanni Battista Piranesi 1774 erworben. In der Folge wurde sie in seinem englischen Landhaus Stowe aufgestellt, wo das Stück bis zu einer Auktion 1848 verblieb.[1] 1951 kam sie mit der Sammlung von William Randolph Hearst (1863–1951) in das Los Angeles County Museum of Art, wo sie sich noch heute befindet.[2]
Kurz nachdem die Stowe-Vase nach England verkauft worden war, publizierte sie Piranesi 1775 in Frontal- und Seitenansicht (laut dem Katalog von 1792) in seiner Serie Vasi, Candelabri (Abb. 2 und Abb. 3).[3] In der Beschreibung behauptet er, es sei eine antike Vase („Vaso antico di Marmo“), die 1769 von Gavin Hamilton im Pantanello auf dem Gelände der Hadriansvilla bei Tivoli gefunden worden sei.[4]
Jedoch handelt es sich hier nicht um ein genuin antikes Objekt. Derartige Marmorskulpturen wurden von Piranesi und seiner Werkstatt ab den späten 1760er Jahren aus antiken Marmorfragmenten, die zwischen 1769 und 1773/1774 durch den Antiquar Gavin Hamilton (1723–1798) und Piranesi im Sumpfgebiet von Pantanello, einem Teil der berühmten Hadriansvilla bei Tivoli, ausgegraben worden waren, und aus neugeschaffenen Teilen kompilativ zu antikisierenden Kreationen zusammengesetzt.[5] Diese Marmorkompositionen, auch Pasticci genannt, wurden von Piranesi als opere romane[6] bezeichnet und in diesem Sinne als „echte Antiken“ in den Ausstellungsräumen des Künstlers im Palazzo Tomati in Rom einem finanzstarken europäischen Publikum zum Kauf präsentiert. Zahlreiche dieser Objekte wurden zudem zwischen 1768 bis 1778 in der Druckserie Vasi, Candelabri publiziert, die auch als eine Art Werbekatalog und Referenz auf Produktionen der Piranesi-Werkstatt aufmerksam machen sollte. Die angebliche Fundgeschichte und Bedeutung der Stücke als auch der Verbleib bereits verkaufter Objekte wird dabei durch Kommentare und Beschreibungen belegt.
Für diese sogenannten „Restaurierungen“ nach eigenen Vorgaben beauftragte Piranesi spezialisierte Bildhauer wie zum Beispiel Antoine Guillaume Grandjaquet (1731–1801), Annibale Malatesta (um 1754–nach 1825) oder Lorenzo Cardelli (1733–1794). Inwiefern darin auch Bartolomeo Cavaceppi (ca. 1716–1799) involviert war oder ob Piranesi diesem nur antike Objekte verkaufte, konnte bislang nicht geklärt werden.[7] Die Bildhauer führten die Bruchstücke geschickt zusammen, überarbeiteten oder ergänzten sie in einer den antiken Fragmenten entsprechenden Qualität, sodass die Unterscheidung zwischen antiken Originalen und Nachahmungen noch heute Schwierigkeiten bereitet. Anders als von Piranesi angegeben deuten Untersuchungen der jüngeren Vergangenheit des Newdigate-Kandelabers (IX 5159-35-46-1) in Oxford und des Rhyton-Kandelabers (IX 5159-36-30-1) im Stockholmer Antikenmuseum Gustav III. aber darauf hin, dass bei diesen Skulpturen die neu geschaffenen Elemente deutlich überwiegen, wobei absichtlich Risse und Brüche in den Marmorstücken herbeigeführt wurden, um den Eindruck eines restaurierten antiken Originals zu erwecken.[8] Prinzipiell handelt es sich bei diesen Komposition jedoch nicht um plumpe Fälschungen. Denn aus Piranesis theoretischen Schriften wie Parere su l’architettura (1767) oder den Diverse maniere (1769) geht hervor, dass er mit seinen Kreationen die Erschaffung einer neuen einfallsreichen Formensprache anstrebte. Statt den klassischen Regeln der Architektur streng zu folgen oder bekannte antike Skulpturen nur nachzuahmen, forderte er einen kreativen Prozess, in dem durch Vielfalt, Variation und Kombination antiker Einzelelemente unterschiedlicher Herkunft Neues entstehen, gleichzeitig jedoch historisch-antik wie ein archäologisches Objekt wirken sollte. Piranesi sah sich in der Tradition der römischen Antike, die das Formen- und Stilrepertoire anderer Kulturen und Völker zu einer neuen und eigenständigen kulturellen Identität zusammenführte.[9]
Im Fall der Stowe-Vase ist davon auszugehen, dass nur der Vasenkörper, vielleicht auch die Ansätze der Henkel und Köpfe der Schlangen, antike Fragmente enthalten, während die fragil ausgreifenden Henkel und der Vasenfuß vollständig ergänzt wurden. Ausgehend vom Blickwinkel der Karlsruher Zeichnung scheint der linke obere Erote in Oberkörper und ausgehöhltem Hinterkopf aus einem antiken Fragment zu bestehen. Folgt man Pierluigi Panza, so stammen die Eroten größtenteils aus der Piranesi-Werkstatt, ebenso seien der Hals des Gefäßes sowie die Schlangenhenkel neu angefertigt worden.[10] Die Vase muss zwischen dem von Piranesi angegebenen Funddatum 1769 und dem Verkauf an George Grenville 1774 entstanden sein.
Die Karlsruher Zeichnung gibt die Vase in der Frontalansicht wieder, wie sie auch in der 1775 erstmals gedruckten Ansicht auf Tafel 15 der Vasi, candelabri zu sehen ist. Im Druck steht die Vase zudem auf einem Sockel in Form eines antiken Altars, von Piranesi als „antico Pulvinare di Marmo“[11] bezeichnet, der sich seiner Angabe zufolge zur Zeit der Publikation auch in England befinden sollte. Dieser wurde jedoch nicht durch Grenville erworben, sondern von dem englischen Sammler Lyde Brown (? – 1787), der ihn zusammen mit anderen Stücken, darunter auch der sogenannten Lyde-Brown-Vase (IX 5159-35-39-1), an die Zarin Katharina II. nach Russland verkaufte. Heute befindet sich der Sockel daher in der Eremitage Sankt Petersburg.[12] Der Sockel im Los Angeles County Museum stammt hingegen nicht von Piranesi und ist neueren Ursprungs.[13] Wie sich auch anhand anderer Beispiele zeigen lässt, arrangierte Piranesi seine Antikenkompositionen in den Vasi, Candelabri teils neu beziehungsweise ergänzte sie um Stücke anderer Sammlungen, um alternative Vorschläge für deren Aufstellung und Arrangement anzubieten (siehe auch IX 5159-35-21-3, Graphischer Transfer und mediale Umsetzung).
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Siehe Ebria Feinblatt: The Stowe Marble Vase. Bulletin of the Art Division, Los Angeles County Museum, 7, (4), Herbst 1955, S. 3–6, hier S. 3-4.
2. Zu der komplexen Provenienz der Stowe-Vase siehe auch Pierluigi Panza: Museo Piranesi. Mailand 2017, S. 545–548.
3. Das im Verkaufskatalog (Oeuvres des chevaliers Jean Baptiste et François Piranesi, Rom 1792) von 1792 angegebene Publikationsdatum 1775 wird durch eine möglicherweise durch Laura Piranesi geschriebene Notiz im Taccuino B der Bibliotheca Estense in Modena bestätigt, siehe Mario Bevilacqua: Piranesi, Taccuini di Modena, 2 Bde., Rom 2008, Bd. 1, S. 237.
4. Siehe dazu den Erläuterungstext in Vasi, Candelabri, Taf. 15.
5. Der Sumpf von Pantanello entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einer wahren Fundgrube für qualitätsvolle antike Marmorskulpturen, die ursprünglich zur Hadriansvilla gehörten. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurden sie abgebaut und abseits der Villa angehäuft, vielleicht um sie vor Plünderungen während der Spätantike zu bewahren, sie weiterzuverkaufen oder um den Marmor zu Kalk zu brennen. Siehe dazu weiterführend Ilaria Bignamini/Clare Hornsby: Digging and Dealing in Eighteenth-Century Rome, New Haven/London 2010, S. 157–162, für die Stowe-Vase siehe S. 161.
6. Siehe Caroline van Eck, The Style Empire and its Pedigree: Piranesi, Pompeii and Alexandria, in: Architectural Histories 6,1, (2016), S. 1–16, hier S. 7.
7. Mein Dank gilt Bénédicte Maronnie für diesen Hinweis.
8. Für den Rhyton-Kandelaber in Stockholm siehe: Anne-Marie Leander Touati: Antiquarian Knowledge, Sales Expectations and Personal Expression. The Piranesi Marbles – Somewhere Between Inventive Design and Commercial Interest. The Piranesi Collection in Stockholm, in: Dietrich Boschung (Hg.): Archäologie als Kunst. Archäologische Objekte und Verfahren in der bildenden Kunst des 18. Jahrhunderts und der Gegenwart, Morphomata 30, Paderborn 2015, S. 39–65, hier S. 41, Anm. 5. Mein Dank gilt zudem dem Archäologen Henner von Hesberg, der eine bislang unpublizierte Studie zum Rhyton-Kandelaber im Gustav III. Antikenmuseum in Stockholm vorbereitet hat. Seiner Ansicht nach besteht nur der Sockelbereich des Kandelabers aus antiken Fragmenten. Im Fall des Newdigate-Kandelabers soll dem Untersuchungsbericht von 2014 zufolge nur ein winziges Fragment am Schnabel eines der Delphine antiken Ursprungs sein, siehe dazu: Cliveden Conservation Workshop: The Ashmolean Museum Oxford, Treatment Report of Piranesi Candelabra, March 2014, S. 2. Caroline van Eck wies jedoch auf einige Expertenmeinungen hin, die dennoch wesentliche Elemente des Kandelabers in die Zeit Kaiser Hadrians datieren, siehe dazu Caroline van Eck: Piranesi und sein Museum. Die Restaurierung der Antike und die Entstehung des Style Empire in einer sich globalisierenden Welt / Piranesi and his Museum. The Restoration of Antiquity and the Genesis of the Empire-Style in a Globalizing World. Berlin/München 2019, S. 44 und Anm. 27.
9. Siehe dazu weiterführend Caroline van Eck: The Style Empire and its Pedigree. Piranesi, Pompeii and Alexandria, in: Architectural Histories 6,1, (2016), S. 1–16.
10. Siehe Pierluigi Panza: Museo Piranesi. Mailand 2017, S. 547.
11. Siehe dazu den Erläuterungstext in Vasi, Candelabri, Taf. 15. Pulvinar, auf deutsch Götterpolster genannt, war ein Kissen, das man in der Antike vor das Abbild einer Gottheit im Tempel legte. Man hoffte darauf, dass diese dort erscheinen und an dem davor aufgestellten Opfertisch am Opfermahl persönlich teilnehmen würde, siehe Manfred Clauss: Kaiser und Gott: Herrscherkult im römischen Reich. Stuttgart 1999, S. 245.
12. Siehe Pierluigi Panza: Museo Piranesi. Mailand 2017, S. 486.
13. Siehe ebd., S. 547.
- Beschreibung und Komposition
Auf einem schmalen, reich ornamental profilierten Fuß erhebt sich der bauchige Vasenkörper, dessen schmales, sich zunehmend verbreiterndes unteres Fünftel auf der linken Seite mit strahlenförmig angeordnete Lanzettblättern geschmückt ist. Zwischen den Spitzen der Blätter sitzt rechts eine Palmette, die auch in den übrigen Zwischenräumen ergänzend gedacht werden muss. In der Hauptzone darüber folgt ein ausgedehntes Relief mit drei Weinranken, das sich um den ganzen Vasenkörper zieht. Die Äste, Blätter und Früchte bilden ein vegetabiles, sich auf und ab überkreuzendes Geflecht, das der Vase eine lebendige Dynamik verleiht. Der Kreuzungspunkt der beiden unteren Ranken in der Mittelachse der Vase wird von einem nackten, im Kontrapost stehenden Eroten besetzt, der mit seinen ausgestreckten Armen in die Weintrauben greift und gleichzeitig von der nach oben ausschwingenden dritten Ranke überfangen wird. Auf gleicher Standhöhe ist unter den Henkeln je eine weitere stehende Figur im Profil angeschnitten. Auf der oberen Ranke sitzen nach links und rechts gewandt zwei weitere geflügelte Eroten, links in Rückenansicht und rechts frontal dargestellt. Der Vasenhals scheint zunächst nur flüchtig in schwarzem Stift schattiert worden zu sein. Darauf wurden in der Mittelachse in gleichfalls schwarzem Stift eine einzelne Blattknospe sowie ein halbes Palmettenmotiv eingetragen. In einem weiteren Schritt wurde dieses Palmetten-Blattknospen-Fries in der linken Hälfte vollständig ergänzt, diesmal jedoch in Rötel. Am Übergang zum bauchigeren Vasenkörper entspringen aus wie aufgepropft wirkenden Blattknospen die ausladenden und sich nach oben teilenden Henkel. Während der untere Strang in Form eines Pflanzenstängels mit kleinem Schwung direkt am Vasenrand der Schmalseite Halt findet, ist der obere jeweils als Schlange ausgebildet. Von beiden Seiten scheinen die zwei Schlangen über den Gefäßrand hinweg aufeinanderzuzukriechen und sich mit leicht geöffneten Mäulern anzufauchen.
Die Zeichnung wurde über vertikalen und horizontalen Konstruktionslinien angelegt, die teilweise über die Darstellung hinausreichen. Zunächst entstand eine lockere Vorzeichnung, die in einem zweiten Schritt präzisierend ausgearbeitet wurde. Während der linke Vasenhenkel freihändig gezeichnet wurde, hat der Zeichner das rechtes Gegenstück mittels einer Rötelpause übertragen und diese in schwarzer Kreide ausgearbeitet (siehe Zeichnerischer Prozess).
Unterhalb der Vase ist an einer Horizontallinie ein Maßstab mit zwei verschiedenen Maßeinheiten eingezeichnet. Rechts unterhalb vom Schnittpunkt mit der vertikalen Mittelachse wurde ein Viertelkreisstück in Rötel angelegt, das die Unteransicht der Vase mit den Lanzettblättern wiedergibt. Die Dimensionen stimmen mit dem entsprechenden Segment der Vase in Frontalansicht überein. Am Blattrand rechts neben dem Vasenfuß wird dieser ansatzweise wiederholt. Links von der Mittelachse über der Vase erscheint eine Detailzeichnung einer bogenförmigen Struktur, die ein Detail des Palmettenmotivs vom Vasenhals darstellt. Am Blattrand oben links findet sich überdies ein zufälliger Kontaktabdruck mit der Rötelpause, mit der das Palmettenmotiv am Vasenhals abgepaust wurde (siehe Zeichnerischer Prozess).
Georg Kabierske
- Ableitung, Rezeption und Dissemination
Wie viele der Vasen- und Kandelaber-Kompositionen Piranesis wurde auch die Stowe-Vase vor allem ab dem frühen 19. Jahrhundert vielfach rezeptiert. Neben englischen Kopien in Silber wie etwa der ebenfalls im Los Angeles County Museum of Art aufbewahrten Vase, 1811-1812 von Paul Storr geschaffen, oder dem Doncaster Gold Cup[1] (Rebecca Emes und Edward Barnard, London, 1828, jetzt im Temple Newsam House, Leeds) wurde die Stowe-Vase beziehungsweise deren graphische Wiedergabe von Piranesi auch in anderen Vorlagewerken aufgegriffen. So etwa in Abtheilung II, Blatt 21 der Mustersammlung „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker“, die 1821–1830 in Teillieferungen durch Christian Peter Wilhelm Beuth (1781–1853) und Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) herausgegeben wurde und zu einer Verbesserung des zeitgenössischen Kunstgewerbes beitragen sollte. Die Zeichnung der Stowe-Vase in Karlsruhe wurde dort auch im Kontext von Friedrich Weinbrenners Bauschule durch seinen Schüler Heinrich Geier (1802–1857) zu Übungszwecken auf Transparentpapier abgepaust (siehe Prozesse historischer Nutzung, Abb. 5), wie viele andere Motive der beiden Klebealben.
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Für eine Abbildung siehe John Wilton-Ely: Piranesi as Architect and Designer, New Haven/London/New York 1993, S. 157, Abb. 154.
- Graphischer Transfer und mediale Umsetzung
Die Stowe-Vase wurde 1775 mit Darstellungen der Frontal- und Seitenansicht (laut dem Katalog von 1792, Taf. 15 und 16) in Piranesis Serie Vasi, Candelabri publiziert (Abb. 2 und Abb. 3). Der beigefügte Text beider Radierungen gibt die angebliche Fundgeschichte des Objekts wieder und erwähnt, dass die Vase bereits 1774 von George Grenville erworben und nach England gebracht worden sei.
Die Karlsruher Zeichnung stimmt in der Größe und Perspektive mit der Darstellung der Vase im ersten Druck überein (Abb. 4).
Der in der Radierung Piranesis unterhalb der Vase wiedergegebene Sockel fehlt jedoch in der Zeichnung, er muss auf einem separaten, nicht erhaltenen Blatt gezeichnet worden sein. Die Vasen passen bis auf wenige Partien in ihrer Darstellung deckungsgleich übereinander, die Ergänzungen am Gefäßhals in Rötel wurden im Druck berücksichtigt (siehe Prozesse historischer Nutzung). Während die Zeichnung eher darauf bedacht ist, das Relief und die Details der Vase in den Konturen zu erfassen, zeichnet sich die Radierung darüber hinaus durch eine dramatische Lichtführung von links oben aus. Möglicherweise aufgrund einer falsch verstandenen perspektivischen Verkürzung sind die im Profil dargestellten Eroten der Schmalseiten in der Zeichnung etwas verkleinert wiedergegeben. In der Radierung hat man sie dem mittleren Eroten in der Höhe entsprechend symmetrisch ergänzt (Abb. 5).
Insgesamt betrachtet steht die Karlsruher Zeichnung jedoch der Radierung weitaus näher als der Marmorvase. Dies zeigt sich etwa im Detailvergleich des Weinranken-Eroten-Reliefs des Vasenkörpers. So ist der links oben sitzende Erote, mit dem Rücken zum Betrachter gewandt, in der Marmorversion beschädigt; möglicherweise handelt es sich hier um ein antikes Originalfragment. In der Zeichnung wurden Kopf und Flügel dagegen ergänzt, wie auch im Druck dargestellt (Abb. 6).
Außerdem fehlt der dünne, sich kringelnde Trieb der Weinranke unterhalb dieses Eroten, der im Marmor als ein zartes Relief zu sehen ist, sowohl in der Zeichnung wie auch in der Radierung. Ferner ist der von einem Blatt halb verdeckte Traubenklotz auf der Höhe des rechten, oberen Eroten nur in der schwachen Vorzeichnung so angelegt, wie man ihn in der Marmorvase erkennen kann. Bei der kräftigeren Überarbeitung der Zeichnung wurde jedoch nur der obere Teil der Früchte berücksichtigt, und in dieser verkleinerten Form, die das Weinlaubblatt stärker hervortreten lässt, wurde der Traubenklotz in die Radierung übernommen (Abb. 7).
Die partielle Wiederholung des Vasenfußes links neben der Hauptzeichnung ist in diesem Kontext ebenfalls von Interesse. Wenn auch recht unscheinbar, wurde der konkav nach innen gewölbte, linke Ansatz des Vasenfußes beziehungsweise die im Schnitt sichtbare Tiefe der Kanneluren korrigiert. Während diese in der vollständigen Hauptzeichnung bis auf die unterste Pinthe reichen, wurden sie in der Korrektur mit einer horizontalen Linie um die Hälfte gekürzt. So findet man sie auch in der Radierung wieder, dort sogar noch flacher wiedergegeben (Abb. 8). Wie der Vergleich mit dem Marmorstück zeigt, handelt es sich hier um ein besonders feines und deshalb auch in der gezeichneten Frontalansicht besonders schwer zu erfassendes Element. Die oberhalb der Vase erkennbare Detailzeichnung der bogenförmigen Struktur aus dem Palmettenmotiv entstand offenbar auch in Vorbereitung des Drucks, um zu präzisieren, dass an den Rändern des Ornaments doppelte Konturen benötigt werden.[1]
Diese kleinen aber signifikanten Abweichungen zwischen Marmorobjekt und Zeichnung einerseits und die großen Übereinstimmungen zwischen Zeichnung und Radierung andererseits finden sich auch bei den anderen großformatigen und detaillierten Blättern mit Marmorkompositionen in den Karlsruher Klebealben (IX 5159-35-46-1, IX 5159-36-30-1). Auf eine Übertragung in die Druckplatte könnte auch das in Rötel ergänzte und anschließend abgepauste Palmettenmuster am Vasenhals hindeuten (siehe Zeichnerischer Prozess). Falls für die Übertragung eine weitere Zeichnung beziehungsweise Pause der gesamten Vase angefertigt wurde, könnte dort der in der Karlsruher Zeichnung fehlende Sockel ergänzt und dann in den Druck umgesetzt worden sein. Alternativ könnte er jedoch auch in einer separaten Zeichnung auf die präparierte Kupferplatte übertragen worden sein. Eine Kopie der Karlsruher Zeichnung nach dem Druck ist aufgrund der zuvor aufgezeigten Unterschiede und des zeichnerischen, das Motiv schrittweise konstruierenden Vorgangs auszuschließen.
Wie bei anderen Zeichnungen dieser Gruppe 11 werfen der am unteren Rand eingezeichnete Maßstab und die in der rechten Hälfte vorhandene Unteransicht der Vase Fragen auf, da sie im Druck keine direkte Verwendung fanden. Diese Elemente könnten jedoch als Hilfsmittel bei der proportionsgerechten Übertragung der am Marmorobjekt genommenen Maße in die Zeichnung eine Rolle gespielt haben, es muss kein direkter Bezug zur plastischen Ausführung des Marmorobjekts bestehen. So zeigt die in Rötel konstruierte Unteransicht die in die Fläche ausgeklappten Lanzettblätter in einem Viertelkreisstück, das in seinen Dimensionen der darüber gezeichneten Frontalansicht entspricht (Abb. 9). Möglicherweise wurde durch die Abnahme von Maßen des nach oben hin zunehmenden Durchmessers des Vasenkörpers anhand der Untersicht Position, Form und Verkürzung dieser länglichen Blattornamente bestimmt beziehungsweise nochmals verdeutlicht. Insgesamt weisen die oben genannten Indizien darauf hin, dass diese Zeichnung als Vorstudie für die Radierung gedient hat. Zur Problematik von Zeichnungen dieser Art siehe auch das Kapitel Graphischer Transfer und mediale Umsetzung beim Newdigate-Kandelaber (IX 5159-45-46-1).
Bemerkenswert ist des Weiteren die zweite Zeichnung der Stowe-Vase auf der Rückseite des Blattes, die das Gefäß in perspektivischer Ansicht in einer raschen Skizze wiedergibt. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine Entwurfszeichnung Piranesis für das Marmorstück, oder um die später verworfene Idee, die Vase auch in dreidimensionaler Ansicht in den Vasi, Candelabri zu publizieren (siehe weiterführend IX 5159-35-40-1v).
Georg Kabierske
Einzelnachweis
1. Für die Mitteilung dieser Identifikation und der Deutungshypothese danke ich Maria Krämer sehr herzlich.
- Zuschreibungshypothesen
Insgesamt weist die Zeichnung mehrere unterschiedliche Zeichenvorgänge auf, die für die Blätter der stilistischen Gruppe 11 charakteristisch sind. Zum einen gibt es die blasse Vorzeichnung, mit der wichtige Konturen zunächst einmal locker über den mit Lineal gezogenen Konstruktionslinien angelegt wurden. Darauf folgt die saubere Überarbeitung, die jedoch weniger Wert auf räumliche Tiefe als auf die präzise Wiedergabe der Umrisse und Details legt. Bei den Schlangenhenkeln wurden hingegen Plastizität und Lichtführung weitaus stärker berücksichtigt (siehe Zeichnerischer Prozess). Dies mag an deren komplexer und raumgreifender Form liegen, die eine stärkere Ausarbeitung nötig erscheinen ließen. In diesen unterschiedlichen Herangehensweisen einen Bezug zum additiven Kompositionsprozess des Marmorstücks zu sehen, die plastisch ausgearbeiteten Elemente wie die Henkel somit jenen entsprechen würden, die neu von einem Bildhauer zu schaffen wären, dürfte täuschen. Denn auch das in der Zeichnung überwiegend auf Konturen beschränkte Weinranken-Eroten-Relief des Vasenkörpers oder der Vasenfuß enthalten zweifellos neu geschaffene Elemente.
Ob mehr als ein Zeichner an dieser Zeichnung beteiligt gewesen ist, lässt sich hier schwerer beurteilen als etwa an den noch komplexer ausgeführten Zeichnungen des Newdigate- (IX 5159-35-46-1) oder Rhyton-Kandelabers (IX 5159-36-30-1). Betrachtet man etwa die Eroten, so scheidet Giovanni Battista Piranesi als Zeichner dieser Figuren sicher aus. Stattdessen könnte es sich um dieselbe Hand handeln, die auch das Figurenkapitell IX 5159-35-18-3 ausgeführt hat (Abb. 10).
Die dortigen Figuren weisen wiederum eine gewisse stilistische Nähe zu dem Frontispizentwurf von Francesco Piranesi (1756?–1810) in der Kunstbibliothek Berlin auf (siehe Essay stilistsche Gruppen, Gruppe 10, Abb. 3). Daher wäre weiter zu diskutieren, ob Francesco Piranesi als Urheber dieser in den Umrissen gezeichneten Elemente an der Stowe-Vase und entsprechend für weitere stilistisch übereinstimmende Zeichnungen wie etwa der Lyde-Browne-Vase (IX 5159-35-39-1) dieser Gruppe 11 in Frage käme. Geht man von einem Entstehungsdatum der Zeichnung um 1773/1774 aus, so wäre Francesco zu diesem Zeitpunkt 17 oder 18 Jahre alt gewesen. Er hätte also ein Alter erreicht, in dem er sicherlich fähig gewesen wäre, diese Zeichnungen auszuführen. Während bei dem Newdigate- (IX 5159-35-46-1) und Rhyton-Kandelaber (IX 5159-36-30-1) oder auch dem Albano-Altar (IX 5159-35-47-1) vielleicht in der Hand von Giovanni Battista Piranesi in kräftig-bestimmtem Duktus, einzelne Details überarbeitet wurden, findet sich an der Stowe-Vase keine derartig offensichtliche Korrektur. Daher muss offen bleiben, ob die Ergänzung des Palmettenmotivs am Vasenhals von einer anderen Hand stammt.
Auch wenn Giovanni Battista Piranesi selbst nicht der Haupturheber der Frontalansicht der Stowe-Vase gewesen ist, so entstand sie wie die anderen Zeichnungen dieser stilistischen Gruppe 11 doch für ihn, in seinem unmittelbaren Umfeld, in seinem Auftrag. Darauf deutet auch die überaus lebendige Zeichnung der Rückseite (IX 5159-45-40-1v) hin, die wahrscheinlich ihm selbst zuzuordnen ist und die ebenfalls die Stowe-Vase wiedergibt.
Georg Kabierske
- Kunsthistorische Bedeutung
Die Zeichnung der Stowe-Vase ist insofern bemerkenswert, als dass sie auf einem Blatt zwei völlig verschiedene Zeichnungstypen aufweist, die beide jedoch dasselbe Objekt darstellen. Hier lässt sich exemplarisch aufzeigen, dass in der Piranesi-Werkstatt mehrere Zeichner an einem Projekt gearbeitet haben. Während die heutige Vorderseite einem oder zwei Zeichnern der Werkstatt zuzuordnen ist, lässt sich die Rückseite mit einer skizzenhafteren, perspektivischen Ansicht der Stowe-Vase wahrscheinlich Giovanni Battista Piranesi selbst zuordnen.
Georg Kabierske
- Merkmale des Papiers
Wasserzeichen:
Belege
Andrew Robison: Piranesi: Early Architectural Fantasies. A Catalogue Raisonné of the Etchings, Washington, National Gallery of Art, Chicago 1986, S. 221–224, S. 227, Nr. 59 und 60 (Varianten, Mitte der 1770er–1790er Jahre; mittlere bis späte 1790er Jahre); Eugenio Mariani: Le filigrane della cartiera Odescalchi di Bracciano, in: Paper as a Medium of Cultural Heritage. Archaeology and Conservation. 26th Congress – International Association of Paper Historians. Istituto centrale per la patologia del libro, Rom 2004, S. 376 (Odescalchi Papiermühle: 1725–ca. 1810; keine Abbildung)
Sammlungen
Karlsruher Alben:
Variante mit Gegenmarke: Newdigate-Kandelaber, IX 5159-35-46-1Herstellungsmerkmale:
ungefärbt; Papier von hoher Stärke und Festigkeit; stark knötchenhaltiger Faserstoff; deutliche Filzmarkierung; gelatinegeleimt (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt), per Hand geglättet (deutliche Glanzspuren)
Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Schwarze Kreide: Leicht bis kräftig aufgetragen (Details 1 und 2), matter Strich; in unvollständig deckenden Bereichen vorwiegend in den Tälern der Papieroberfläche angelagert (Details 3 und 4), daher im Gesamteindruck grauwertig erscheinend.
Schwarzer Stift mit fetthaltigem Bindemittel: Einzelner Strich am linken Henkel weist einen bräunlichen Hof auf, was auf Zusatz eines fetthaltigen, alterungsbedingt verfärbten Bindemittels hinweist (Detail 5; UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt), dort auch kompakter, deckender und pastoser Strich (Detail 5, close-up); ein morphologisch vergleichbarer Strich tritt stellenweise auch anderenorts ohne Hofbildung auf.
Rötel: gezielt partiell eingesetzt (Palmettenmotiv links am Vasenhals, Aufsicht des Blattmusters an der Vasenunterseite, Details 6 und 7); heller, feinpudriger, streifiger Strich (Details 6 und 7); trotz stellenweise kräftigen Auftrags geringe Schichtdicke (IR, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt).
Rötelpause: Rechter Henkel (Details 3 und 4).
Rötel, Kontaktübertragung: Obere linke Ecke ein unbeabsichtigt entstandener, seitenrichtiger Abdruck einer mit geöltem Papier angefertigten Pause, mit der das Palmettenmotiv links am Vasenhals abgenommen wurde; der Abdruck steht zur Pause um 90° nach links gedreht.
Detail 1:Konstruktionslinien (gezeichneter Maßstab in der unteren Blatthälfte) mit Einstich und Beschriftung
Detail 5:Schwarzer Stift mit fetthaltigem Bindemittel (linker Schlangenkopf)
Detail 7Rötel über schwarzer Kreide (Palmettenmuster)
Maria Krämer und Irene Brückle
- Zeichnerischer Prozess
Um die achsensymmetrische Frontalansicht der Vase auf dem Blatt anzulegen, zog der Künstler mit Hilfe eines Lineals vertikale und horizontale Konstruktionslinien (Konstruktionsmarkierungen, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt). Diese sind mit schwarzer Kreide zart gezogen, wirken daher grau und treten optisch hinter das Bild zurück. Zwei senkrechte Parallelen rechts und links der zentralen Spiegelachse markieren die Positionen der Blattknoten an den Henkeln. Die weit zahlreicheren, horizontalen Linien markieren detailliert alle für den Aufriss wesentlichen Elemente der Vase. Auffällig ist die mehrfache Nutzung eines Zirkels, durch die mit Einstichen auf Konturlinien und sich kreuzenden Konstruktionslinien die Maße auf beide Vasenhälften gespiegelt wurde. Der unterhalb der Vase eingezeichnete Maßstab (Detail 1) könnte auch mithilfe einer Nadel unterteilt worden sein, die an ein Lineal angelegt wurde. Darüber hinaus diente der Stechzirkel zum Markieren bogenförmiger Blindlinien. Deutlich erkennbar zeichnen sich diese an der Kontur des stark eingezogenen Vasenfußes ab. Die Form der Konturen am Fuß der Vase wurde linksseitig als Viertelkreise in Blindlinien angelegt und mit einer zweiten, leicht versetzten Linie korrigiert. Auch die am unteren Blattrand gezeichnete Aufsicht des Blattmusters von der Vasenunterseite wurde zunächst mit Blindlinien und einem Stechzirkel in den Proportionen der Frontalansicht angelegt (Detail 6).
Auf die Konstruktionslinien folgte eine Vorzeichnung in schwarzer Kreide, die insbesondere in den figürlichen Motiven die Formen bereits recht genau detailliert. Die schmalen, von leichter Hand gezogenen Linien entsprechen in ihrer zarten Grauwertigkeit den Konstruktionslinien; einige sind wohl einer ersten Formannäherung zuzuordnen und erscheinen stark verwischt. Die Vorzeichnung ist stellenweise gut erkennbar, so etwa am linken Schlangenhenkel (Detail 2) und im figürlichen Motiv des Vasenkörpers. Die weitere Ausarbeitung erfolgte mit einem kräftigeren Strich und dabei stellenweise stark korrigierend; einige Bereiche der Vorzeichnung blieben aber ohne weitere Bearbeitung (Detail 2, Abb. 1).
Besondere Aufmerksamkeit wurde auf eine korrekte achsensymmetrische Darstellung und die komplexe Form der Schlangenhenkel gelegt. Um den schon fertig gezeichneten linken Henkel auf die rechte Seite zu übertragen diente erkennbar eine Rötelpause. Zuerst pauste der Künstler den linken Henkel auf ein geöltes Papier in Rötel ab und markierte dabei auch die senkrechte Mittelachse der Zeichnung. Im nächsten Schritt wendete er die geölte Rötelpause und legte sie auf die noch unbearbeitete, rechte Blattseite indem er die zuvor markierte Achse in der Mitte anlegte. Schließlich fuhr er mit einem Metallgriffel oder einem vergleichbaren Instrument (stumpfe Radiernadel) die als Pause entstandenen Rötellinien ab, wobei sich durch den Druck des Instruments eine geringe Menge Rötel – gerade ausreichend als Orientierung für die Überarbeitung in schwarzer Kreide – auf das Papier übertrug. Die von der Pause übertragenen Rötellinien sind in den nicht mit schwarzer Kreide überarbeiteten Details, insbesondere am unteren Henkel, gut erkennbar (Details 3 und 4). Der rechte Henkel ist etwas weniger ausgearbeitet als der linke, der als Vorlage diente. Die (nicht erhaltene) Rötelpause hinterließ im Zuge einer nachfolgenden Lagerung im Kontakt mit der Zeichnung verso mehrere versetzte Abdrücke (IX 5159-35-40-1v).
In Rötelstift wurde auf am Vasenhals links das rapportierende Palmettenmuster ergänzt und anschließend abgepaust. Diese ebenfalls nicht überlieferte Pause könnte – wie auch das Anlegen des Ornaments in Rötelstift – bereits mit Blick auf die Übertragung der Zeichnung auf die Druckplatte entstanden sein, denn die Radierung ist größengleich mit der Zeichnung. Der zeichnerische Prozess lässt sich, ausgehend von der links in schwarzer Kreide halbseitig ausgeführten Palmette, nachvollziehen: Zuerst wurde die schon angelegte Palmette in Rötel vervollständigt, dann wurde diese Grundform zweimal in Rötel wiederholt, wobei man sie leicht verjüngend dem Vasenrund anpasste. Das in Rötel ausgeführte Ornament wurde dann auf ein geöltes Papier abgepaust, belegt durch eine zufällig entstandene Kontaktübertragung der Pause in der oberen linken Ecke (Abb. 2). Dieser unabsichtliche Abdruck gibt die Zeichnung um 90° nach links gedreht aber seitengleich wieder. In einigen Bereichen lässt er sogar die gerippte Oberfläche des originalen Papiers sowie einige Spuren übertragener schwarzer Kreide erkennen. Zudem bildet sich mancherorts das ölgetränkte Pauspapier ab. Erkennbar ist das anhand der heute alterungsbedingt bräunlichen Ölflecke, die das Blatt in diesem Bereich in großer Vielzahl aufweist (UVR, Abb., zoomen Sie hier in das Bild; UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt). Die Ölflecke bilden insbesondere die ungerade beschnittene Kante des Pauspapiers ab (parallel zum linken Blattrand).
Insgesamt lassen sich mehrere zeichnerische Vorgehensweisen unterscheiden. Die beiden Henkel wurden besonders detailreich formuliert, was ihre Bedeutung innerhalb der Pastiche-Komposition hervorhebt und gleichzeitig auch ihrer zeichnerisch anspruchsvollen Form geschuldet sein mag. Hier schafft die schwarze Kreide, ebenmäßig dicht schraffierend, eine starke plastische Akzentuierung. Darüber hinaus ist nur der Vasenhals mit lockerem Strich jeweils zur Außenkante hin schattiert. Der Lichteinfall ist demnach frontal zu denken, was auch der etwas unbestimmten Lichtregie an den Henkeln entsprechen mag. Fast gänzlich vermieden wird jegliches Verschatten des Vasenkörpers. Dort wird nur das detailreiche Flachrelief, insbesondere bei den Figuren der Eroten, durch angedeutete Schatten hervorgehoben. Der Vasenfuß ist als reine Umrisszeichnung wiedergegeben.
Maria Krämer und Irene Brückle
- Merkmale historischer Nutzung
An allen vier Kanten beschnitten; großer Ölfleck in der Ecke o.l., ebenfalls dort und teilweise den Ölfleck überlappend ein öliger Abdruck, der durch Kontakt mit einem für eine Pause des Palmettenmotivs am Vasenhals genutzten geölten Papiers entstand, beides gelblich fluoreszierend (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt); vergleichbare, aber schwächere Spuren des Kontakts einer Rötelpause auf geöltem Papier am rechten Vasenhenkel; weitere, geringe Ölkontaktspuren am rechten Blattrand und verschiedentlich über das Blatt verteilt; mehrere Einstiche oberhalb der Vase nahe der Mittelachse sowie paarige Einstiche von Stecknadeln (siehe Konstruktionsmarkierungen); anhaftende Fragmente eines Transparentpapiers (Abb. 4); mehrere Klebepunkte recto unterhalb der oberen Blattkante, darunter ein scharfer Knick; zwei weitere Klebepunkte recto schräg über den Henkeln, einer u.l. (Weinbrennerschule) (UVF); weitere Klebepunkte (Nutzung nicht näher eingrenzbar); ein senkrechter Einriss von der Mitte der oberen Blattkante ausgehend, ein weiterer Einriss bogenförmig o.r.; Berstriss sowie Feuchtigkeitsränder u.r.; Griffspuren in den Blatträndern, gut erkennbar z. B. o.M. und nahe der Ecke u.r. mit Abdruck eines Handballens (UVR, Abb., zoomen Sie hier in das Bild).
Maria Krämer
- Prozesse historischer Nutzung
Innerhalb der Karlsruher Alben fällt dieses Blatt durch sein großes Format und seine Größengleiche mit der Radierung in Piranesis Vasi, candelabri auf. Die Formen sind mit geringen Ausnahmen deckungsgleich, sodass hier die enge Verbindung der Zeichnung mit dem Druck nachvollziehbar ist (Abb. 3).
Obwohl die Erotenprofile in der Vasenkontur hinsichtlich ihrer Platzierung eher dem Steinbildwerk als dem Druck entsprechen , ist das Gesamtkonzept der motivischen Gestaltung dem gedruckten Bild weit näher. Zu nennen sind außerdem die intensive Vorbereitung der Zeichnung durch Konstruktionslinien, die durchweg sorgfältige, detailorientierte Ausarbeitung, die abschnittsweise unterschiedlichen Darstellungsweisen, die mehrfache Verwendung von Pausen, und nicht zuletzt der enge Bezug zu der Perspektivansicht verso, deren zeichnerischer Duktus auffällig von ihr abweicht. Auch der verso zufällig entstandene Abdruck der recto genutzten Pause des Schlangenhenkels belegt ein intensiv gestaltendes Hantieren mit diesem Blatt. Das spiegelt sich auch wieder in den zahlreichen Handabdrücken (UVR, Abb., zoomen Sie hier in das Bild), womit der Arbeitsprozess der Stowe Vase wiederum dem ähnlich intensiv bearbeiteten Newdigate Kandelaber verwandt ist. Reste eines Transparentpapiers aus dem 19. Jahrhundert (Abb. 4) stammen aus der Zeit der Benutzung in der Weinbrennerschule, wo Architekturschüler die Zeichnungen zu Übungszwecken kopierten (Abb. 5).
Montierungshistorie
Klebepunkte entlang der oberen Blattkante recto belegen, dass die Zeichnung in einer früheren Aufbewahrung an ihrem oberen Blattrand so verklebt war, dass die hier vorgestellte Zeichnung als verso montiert lag. Die zweite Ansicht derselben Vase (die jetzige Rückseite) war in dieser Montierung die Vorderseite des Blattes. Wollte man die hier vorgestellte Zeichnung betrachten, so musste man das Blatt anheben und hochklappen. Diese Montierungssituation trat erst nach Fertigstellung der Zeichnung ein, belegbar anhand der Klebepunkte, die die Rötelpause stellenweise überdecken (Abb. 2). Die jüngere Montierung erfolgte unter Weinbrenner (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt).
Maria Krämer und Irene Brückle
Schlagwörter
- Vasi, candelabri
- Marmor
- Piranesi-Werkstatt
- Italienisches Papier
- Schwarze Kreide
- Ranke
- Vase
- Stilistische Gruppe 11
- Papiermühle Odescalchi
- IX 5159-35-40-1
- Unidentifizierter Zeichner der Piranesi-Werkstatt
- Name „Bracciano”
- Schlange
- Eroten
- George Grenville
- Stowe-Vase
- Grenville-Vase
- Buckingham-Vase
GND-Begriffe
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