Im Werk Piranesis haben sich zahllose Figurenstudien in verschiedenen Posen erhalten, die ihm als kreative Grundlage für die Staffagen seiner Radierungen dienten. Jedoch lassen sich nur in sehr seltenen Fällen direkte formale Übernahmen finden.[1] Oftmals handelte es sich dabei um Passanten, die auf den Straßen Roms unterwegs waren, oder möglicherweise auch um Werkstattmitarbeiter, die Piranesi als anonyme Posenstudien beiläufig skizzierte (siehe IX 5159-36-31-1v). Typisch ist die ausdrucksstarke Gestik, einen Arm oder sogar beide parallel ausgestreckt, wie man sie beispielsweise bei Zeichnungen in der Morgan Library in New York (Inv. 1976.34 ), im Getty Museum Los Angeles (Inv. 99.GG.34 ) oder in der École des Beaux-Arts in Paris (Inv. EBA 271 ) beobachten kann. Studien von Putti oder Engeln gibt es dagegen nur in Einzelfällen, so auf einem Entwurf für den ab 1763 geplanten Umbau von San Giovanni in Laterano, an dessen linkem Blattrand eine Gruppe von Putti zunächst in Graphit, dann in Feder skizziert wurde (Abb. 3 ) und mit denen sich die Karlsruher direkt vergleichen lassen.
Abb. 3: Giovanni Battista Piranesi, Entwurf für die Erweiterung von San Giovanni in Laterano und Skizze von Putti (um 180° gedreht), um 1763–1764, Feder und braune Tinte mit grauer Lavierung über Graphit, 349 x 260 mm, New York, © The Morgan Library & Museum, Bequest of Junius S. Morgan and gift of Henry S. Morgan, Inv. 1966.11:58 und AusschnittDas Projekt zum Umbau des Laterans kam zwar nicht zur Ausführung, doch befindet sich in der Avery Library der Columbia University in New York eine Serie großformatiger Präsentationszeichnungen von 1767.[2] Vermutlich von einem Mitarbeiter ins Reine gezeichnet, dokumentieren sie Piranesis einzigartige Ideen. Darin sind auch immer wieder Putti zu erkennen, wobei Stefan Morét dezidiert auf die Tavola Vigesimaterza (Taf. 23) mit dem Entwurf zu einem Papstaltar verwies, an dem sie eine Girlande im Baldachin halten oder den beiden Leuchterträgern links und rechts assistieren.[3] Diese Putti lassen sich gut mit jenen der beiden Karlsruher Zeichnungen und denen auf dem Blatt der Morgan Library vergleichen. Daher ist es denkbar, dass sie aus solchen Skizzen entwickelt wurden.
Aber auch für die von Piranesi 1764–1766 im Auftrag von Giovanni Battista Rezzonico ausgeführte Umgestaltung der Malteserkirche Santa Maria del Priorato auf dem Aventin wurden Putti in den Dekor des zentralen Deckenfeldes einbezogen. Zudem befindet sich am zugehörigen Hochaltar eine Ausschmückung mit Putti, wie ein Blatt in der Kunstbibliothek Berlin (Inv. Hdz 6331 ) belegt. Dort wurden zwei kleine Engel und der über einer Weltkugel schwebende heilige Basilius in Piranesis lebendigem Duktus in die vermutlich von einem Mitarbeiter vorbereitete, exakte Federzeichnung eingetragen. Obwohl in schwarzer Kreide und summarisch gezeichnet, stimmen sie stilistisch mit den Karlsruher Studien überein, insbesondere im Detail der ausfransenden Flügel.
Auch wenn sich bislang keine direkte motivische Übereinstimmung finden lässt, ist es denkbar, dass die Karlsruher Puttenzeichnungen im Kontext der Bauprojekte im Lateran und auf dem Aventin in der Zeit um 1765 entstanden sind. Alternativ wären weitere Anwendungsbereiche denkbar, da Piranesi für hohe geistliche Würdenträger der Familie Rezzonico, darunter Papst Clemens XIII., architektonische Dekore entworfen hat, bei denen ebenfalls Darstellungen von Putti möglich wären. Ein bislang kaum beachtetes Zitat aus dem Reisejournal von Johann Christian von Mannlich (1741–1822, in Rom 1766–1770) belegt, dass Piranesi 1769 nach dem Tod von Clemens XIII. ein Teil der Arbeiten für die Ausrichtung des päpstlichen Konklaves im Vatikan oblag und er dafür offenbar ephemere Zellen in den dortigen Sälen errichtete.[4] Vor dem Hintergrund der ökonomischen Arbeitsweise der Piranesi-Werkstatt und ihre wiederholte Nutzung von Motiven (siehe auch IX 5159-35-35-1 ) wäre es jedoch ebenso denkbar, dass die Putti zur Vorbereitung unterschiedlicher Projekte dienten.
Georg Kabierske
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