Die stilistischen Charakteristika, insbesondere die Schraffurtechik, die gekonnte Lichtführung und auch die weichen, aber dennoch präzisen Umrisse sind dem Zeichenstil von Nicolas François Daniel Lhuillier nahe. Jedoch sind vergleichbare akademische Kreideschraffuren des Hintergrundes und der Verschattungen auch einer Vielzahl französischer Ornamentzeichnungen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eigen, wodurch eine präzise Händescheidung erschwert wird. Für die Zeichnung in Waddesdon Manor (Abb. 2), die von derselben Hand wie das Karlsruher Blatt stammen dürfte, wurden von Martin Mead hingegen zwei andere Zuschreibungshypothesen aufgestellt. Zum einen schlug er den französischen Ornamentbildhauer und Dekorateur (ornemaniste ) Gilles-Paul Cauvet (1731–1788) vor, unter dessen Entwürfen sich annäherungsweise vergleichbare dekorative Rankenornamentkompositionen finden lassen.[1] Stilistisch zeichnen sich seine signierten Kreidezeichnungen jedoch durch eine höhere Präzision und Filigranität aus, die sich besonders in hauchdünnen und wie ziseliert wirkenden vegetabilen Formen zeigen. Soweit bekannt, war Cauvet nie in Rom und dürfte daher als Urheber der Zeichnungen auszuschließen sein. Zum anderen wurde die Arabeske aus Waddesdon Manor zusammen mit zwei weiteren stilistisch nahen Ornamentzeichnungen in Rötel 1878 von Baron Edmond de Rothschild aus der Sammlung von Jules Carré erworben, weshalb sich die Frage nach einem Zusammenhang der drei Blätter stellt (Inv. 143/1 und 143/2, Abb. 3 und 4).[2]
Abb. 3: D.C. (Jean-Baptiste-Marc-Antoine Descamps), Arabeskenrelief mit Sphingen und Medaillon, 1776, Rötel (hier: Schwarz-Weiß-Abbildung), 107 x 356 mm,Waddesdon (National Trust) Gift of Dorothy de Rothschild, 1971; acc. no. 1943. Foto: Waddesdon Image Library, Mike FearCC BY-NC-ND 3.0
Abb. 4: D.C. (Jean-Baptiste-Marc-Antoine Descamps), Arabeskenrelief mit Rankeneroten und Medaillon,1776, Rötel (hier: Schwarz-Weiß-Abbildung), 110x 368 mm,Waddesdon (National Trust) Gift of Dorothy de Rothschild, 1971; acc. no.1944. Foto: Waddesdon Image Library, Francis CarverCC BY-NC-ND 3.0 Eine der Zeichnungen ist mit dem Monogramm „D.C. f. Roma 1776“ beschriftet, die zweite kann aus stilistischen Gründen der gleichen Hand zugeordnet werden. Bénédicte Maronnie und Christoph Frank haben darauf hingewiesen, dass es sich dabei um den aus Rouen stammenden Künstler Jean-Baptiste-Marc-Antoine Descamps (1742–1836) handelt, der 1773–1779 in Rom nachzuweisen ist.[3] Es wäre durchaus denkbar, dass Descamps in Rom nach dort verbliebenen Zeichnungen Lhuilliers gezeichnet hat, was stilistische Übereinstimmungen erklären könnte.[4] Noch sind jedoch zu wenige seiner Zeichnungen bekannt, um die Arabeskenfüllung in Waddesdon und eventuell auch jene in Karlsruhe Descamps zuzuschreiben. Die Beliebtheit der Arabeskenpaneele Mitte der 1770er Jahre insbesondere im französischen Kontext würde die Annahme eines späteren Entstehungszeitraum für die Zeichnungen rechtfertigen, doch gibt es mit dem 1765–1767 enstandenen Salone d’Oro (goldener Salon) im Palazzo Chigi in Rom auch eine frühe klassizistische Innenausstattung mit plastischen Arabeskenpaneelen. In Anbetracht der hohen zeichnerischen Qualität der Karlsruher Darstellung, die die bislang bekannten Zeichnungen Descamps nicht erreichen, erscheint jedoch auch eine Zuschreibung an Lhuillier und damit in die Zeit vor 1768 möglich. Auf die vermutliche Herkunft des Blattes aus der Piranesi-Werkstatt in Rom deuten das italienische Papier, Ausrisse an den Blattecken und Spuren einer früheren Montierung hin – charakteristische Merkmale der Zeichnungen in den Karlsruher Klebealben (siehe Prozesse historischer Nutzung ). Jedoch ist rätselhaft, wie dieses dezidiert französische Motiv in die Piranesi-Werkstatt gelangte.
Aus stilistischen Gründen dürfte es sich dabei um dieselbe Zeichenhand wie bei der Ausführung des Karlsruher Paneels handeln. Direkt vergleichbar sind der weiche Duktus, die einerseits mehrfach entlang der Konturen nachgefahrenen, manchmal aber auch mit bestimmten kurzen Parallelestrichen gesetzten Schattierungen sowie die Gestaltung der Lorbeerzweige, Blattranken und Bänder. Solche dekorativen Kompositionen waren als Supraportenreliefs in Paris in den 1770er und 1780er Jahren sehr beliebt, sodass eine Entstehung in diesem Zusammenhang angenommen werden kann.[5] Tatsächlich fanden die Motive der Zeichnungen aus Karlsruhe und Waddesdon Manor, auf zwei Paneele verteilt, für die Wandgestaltung im Haus des Malers Antoine-François Callet (1741–1823) in der rue du Montparnasse 23 in Paris Verwendung, dass 1777–1779 durch den Architekten Bernard Poyet (1742–1824) errichtet worden war.[6] Kurz vor Abbruch des Hauses wurden sie 1880 von César Daly in einem Stich wiedergegeben (Abb. 5).
Abb. 5: Maison Callet in der rue du Montparnasse 23, Paris, Paneele des Salons, in: César Daly, Motifs historiques d’architecture et de sculpture d’ornement, décorations intérieures empruntées a des édifices français , Bd. 2, Paris 1880, Taf. 40, Paris, Bibliothèque nationale de France, FOL-V-495 (2,2) Quelle gallica.bnf.fr / BnF
Während der aus einer Blattknospe wachsende Fruchtkorb aus Karlsruhe das mittlere Paneel ziert, sind im rechten die Lorbeerranken und Trophäen aus beiden Zeichnungen zu einer längeren Schmuckform kombiniert. Das linke Paneel stimmt hingegen überwiegend mit einer Zeichnung des Architekten Pierre-Adrien Pâris (1745–1819) überein, die er zusammen mit anderen Arabesken während seines Aufenthalts in Italien nach Vorlagen aus der Renaissance in Rom und Neapel kopiert hatte und die möglicherweise in Architektenkreisen in Paris zirkulierten.[7] Es ist daher gut möglich, dass das ebenfalls im römischem Kontext entstandene Motiv in Karlsruhe über eine Kopie nach Paris gelangte und dort zu weiterer Verwendung kam. Denn auch Lhuillier realisierte nach seiner Ankunft in Paris 1768 solche dekorativen Reliefs. Umgekehrt könnte es aber auch sein, dass ein bislang unidentifizierter französischer Zeichner im Umfeld der Französischen Akademie in Rom die neuste aus Paris kommende Ornamentmode in diesen Paneelentwürfen rezipierte.
Georg Kabierske
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