Piranesis Werkstatt war bekannt für ihre phantasievoll dekorativen Objekte, in denen antike Fragmente geschickt mit modernen Ergänzungen kombiniert und damit zu neuen Bildwerken umgeformt wurden. Die Zeichnung zeigt eine solche Assemblage: Sie besteht aus einem mit Eroten geschmückten Sockel, über dem zierliche Mischwesen aus Löwe und Sphinx kauern, diese wiederum tragen eine schwere, mit Weinranken verzierte Vase. Die Darstellung diente keineswegs der archäologisch genauen Rekonstruktion eines antiken Gegenstands. Vielmehr war sie wohl ein Gestaltungsvorschlag, dessen Reiz in seinem Erfindungsreichtum lag. Einstiche und Ölflecken weisen darauf hin, dass die Zeichnung abgepaust wurde. Naheliegend wäre, dass dies im Zuge der Umsetzung in eine Druckgraphik geschah, doch ist eine solche nicht bekannt. Die Zeichnung ist daher die einzige Darstellung einer Assemblage in den Karlsruher Alben, die nicht als Radierung publiziert wurde.
Werkdaten
Künstler
Unidentifizierter Zeichner der Piranesi-Werkstatt, Gruppe 8
Ort und Datierung
Rom, vor 1779
Abmessungen (Blatt)
392 x 164 mm
Inventarnummer
IX 5159-35-21-3
- Zeichenmedien
Schwarze Kreide mit Überarbeitung in Graphit; weitere Informationen siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Keine
- Literatur
Georg Kabierske: Vasi, urne, cinerarie, altari e candelabri. Newly Identified Drawings for Piranesi’s Antiquities and Sculptural Compositions at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Elisa Debenedetti/Francesco Nevola (Hg.): Studi sul Settecento Romano. Giovanni Battista Piranesi, predecessori, contemporanei e successori. Studi in onore di John Wilton-Ely, Rom 2016, S. 245–262, hier S. 248, Abb. 10 und S. 258.
- Hadernpapier
Vergé, vermutlich italienische Herstellung; Zeichnung auf der Siebseite; weitere Informationen siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Skizze eines länglichen Pfeilers mit Klauenfüßen und Hermendekor
Das Werk im Detail
- Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung
Die Zeichnung stellt ein dekoratives Objekt in Frontalansicht dar. In der Art einer Assemblage kombiniert es mehrere Marmorstücke aus Piranesis Werkstatt, die dort wahrscheinlich seit den 1770er Jahren vorhandenen waren und restauriert wurden. Die Vase (oder Aschenurne) und das mittlere Mischwesenpaar, von dem in der Zeichnung nur eines im Profil zu sehen ist, werden heute in der Königlichen Sammlung in Stockholm aufbewahrt. In den Besitz Gustav III. von Schweden gelangten sie nach dem Verkauf der Piranesi-Sammlung im Jahr 1783 durch Francesco Piranesi (Abb. 1).[1] Der Sockel hingegen wurde bereits früher, im Jahr 1779, durch Ennio Quirino Visconti für das Museo Pio-Clementino erworben (Abb. 2).[2]
Abb. 1a: Vase-Urne mit modernem Deckel, verziert mit Delfinen, Marmor (restauriert im 18. Jahrhundert), Stockholm, Nationalmuseum, NM Sk 170
Foto: Per-Anders Allsten / Nationalmuseum, CC0 1.0Abb. 1b: Vase-Urne mit modernem Deckel, verziert mit Delfinen, Marmor (restauriert im 18. Jahrhundert), Stockholm, Nationalmuseum, NM Sk 170
Foto: Per-Anders Allsten / Nationalmuseum, CC0 1.0Abb. 2: Sockel mit Girlanden tragenden Eroten, Marmor, Vatikan, Museo Pio-Clementino, Galleria dei candelabri, sezione V, parte sud, 2789
Foto Copyright © Governorate of the Vatican City State-Directorate of the Vatican MuseumsSie erscheint in der Liste der Sammlungsstücke, die Visconti in der handschriftlichen Liste der „Acquisti da farsi da Piranesi“ zum Erwerb in Betracht gezogen hatte. Im Gegensatz zur rekonstruierten Vase (bestehend aus einigen antiken Fragmenten, überwiegend jedoch aus modernem Material und in der Liste nicht erwähnt) wird der Sockel als äußerst gut erhalten („assai conservato“) bezeichnet.[3] Der unterschiedliche Konservierungszustand könnte der Grund dafür sein, dass Visconti sich nur für dieses fast vollständig erhaltene antike Stück interessierte. Außerdem wirft der separate Erwerb die Frage auf, ob Sockel und Vase in der Piranesi-Werkstatt jemals so, wie sie in der Zeichnung zusammengefügt sind, zu sehen waren.
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Siehe Anne-Marie Leander-Touati/Magnus Olausson: Ancient Sculptures in the Royal Museum. The Eighteenth-Century Collection in Stockholm, 2 Bde., Stockholm 1998, zur Sammlungsgeschichte siehe Bd. 1; zur Vase (Inv. NMSk 170) gibt es keine genaueren Angaben, es fehlen Maßangaben und Informationen zur Restaurierung. Siehe auch Pierluigi Panza: Museo Piranesi, Mailand 2017, S. 278–279; Raffaella Bosso: Osservazioni sull’attività della bottega Piranesi tra Giovanni Battista e Francesco: Il caso esemplare del gruppo dei candelabri con trampolieri, in: Opuscula Romana 30, 2005, S. 31–62, hier S. 37f., Abb. 9.
2. Zum Sockel siehe Giandomenico Spinola: Il Museo Pio-Clementino, Bd. 3, Vatikanstadt 2004, S. 296f., Nr. 4; Pierluigi Panza: Museo Piranesi, Mailand 2017, S. 154f.
3. Siehe Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. Lat. 10307, fol. 40r–41r, „Acquisti da farsi da Piranesi”, fol. 41: Dort wird ein „piedestallo ottangolare ornato di putti e festoni assai conservato scudi ventisei” erwähnt. Laut Panza handelt es sich wahrscheinlich um den hier besprochenen Sockel, obwohl er sechseckig und nicht achteckig ist. Derselbe Sockel wird in zwei weiteren Handschriften, ebenso im Vatikan aufbewahrt, erwähnt. Ms. Ferrajoli 969, fol. 312r–318r („Nota di tutta la robba di Galleria”): Eine anonym verfasste Liste von Gegenständen aus Piranesis Sammlung, die zusammen mit dem Archiv Visconti in die Biblioteca Apostolica Vaticana eingegangen ist (siehe dazu Carlo Gasparri: La Galleria Piranesi da Giovan Battista a Francesco, in: Xenia antiqua 3, 1982, 91–107, hier S. 100), fol. 312r: „prima stanza/no. 7 piedestallo con putti e festoni atorno 30“. Ms. Ferrajoli 969, fol. 245f.: eine scheinbar unpublizierte kurze Liste von antiken Gegenständen, die die zuvor genannte Liste wiederholt und von Francesco Piranesi signiert ist, siehe fol. 245: „piedestallo con putti e festoni“.
- Beschreibung und Komposition
Das dekorative Gefäß wird aus drei Teilen gebildet: einem Sockel, einem Zwischenglied und einer Vase. Der untere Teil besteht aus einem verzierten sechseckigen Sockel mit stehenden Eroten an den Außenseiten, die eine durchlaufende Girlande tragen. Das obere Gesims ist an einer Stelle exemplarisch mit einem angedeuteten Kyma ausgefüllt; das untere besteht aus einem profilierten, an einer Stelle ebenfalls exemplarisch verzierten Stab und einem glatten unteren Rand. Im mittleren Teil befinden sich zwei im Profil sitzende Mischwesen (nur eines davon ist hier sichtbar), jeweils links mit Löwenkopf und rechts mit Sphingenkopf.[1] Den oberen Teil bildet eine Vase mit kanneliertem Fuß, die mit einer Weinlaubranke und darauf sitzenden Vögeln verziert ist. Die Henkel setzen an der unteren Kante des oberen Vasenrands an. Die Ranken überlappen teilweise den schematisch dargestellten Vasenrand (seine Konturen folgen nicht der Wölbung), auf dem ein Deckel aufliegt. Dieser ist mit ähnlichen Rankenornamenten verziert und endet in einem zapfenförmigen Abschluss. Als Ausgleich zum Henkel wurde auf der linken Deckelseite ein Delphin als Ergänzungsvorschlag hinzugefügt. Am unteren Blattrand ist der Grundriss des sechseckigen Sockels wiedergegeben.
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Wenn man im Marmororiginal die Vase aus derselben Richtung wie die Zeichnung betrachtet, merkt man, dass das unterliegende Mischwesen umgekehrt erscheint: links der Sphingenkopf und rechts der Löwenkopf. Wie von Maria Krämer gezeigt wurde, ruht das Mischwesen auf einer viereckigen, symmetrischen Grundform (siehe Zeichnerischer Prozess), so dass das Mischwesen und die Vase in unterschiedlichen Varianten zusammengefügt werden können.
- Einordnung in das Gesamtwerk Piranesis
In dieser Zeichnung wurde versucht, verschiedene in Piranesis Werkstatt vorhandene antike Stücke in einem einzigen dekorativen Objekt zu kombinieren. Der Vergleich zwischen der Zeichnung und den antiken Originalstücken, heute im Vatikan und in Stockholm, macht eine Reihe von Unterschieden deutlich. Die in der Marmorvase vorhandenen Risse, z.B. der größere Bruch schräg über dem Vasenkörper, sowie der Blattfries im unteren Bereich der Vase sind in der Zeichnung nicht abgebildet. Die quadratische Grundfläche, auf der die Löwen- und Sphingenskulpturen im Original stehen, ist in der Karlsruher Zeichnung in ein Sechseck umgewandelt.[1] Die Proportionen des Mischwesens wurden im Zeichnungsprozess korrigiert (siehe Zeichnerischer Prozess): So wird in der leichten Vorzeichnung sichtbar, dass das Mischwesen und seine Grundfläche in einer ersten Version kleiner gezeichnet wurde. Die untere Fußfläche der Vase wurde nach ihrer Vergrößerung über die Köpfe des Mischwesen hinaus verlängert. Der sechseckige Sockel wurde zuerst erheblich höher angelegt und schließlich verkürzt – die schwachen Konstruktionslinien in schwarzer Kreide sind noch sichtbar. Diese Korrekturen und die suchende Zeichenweise stützen die Vermutung, dass das Blatt als ein Restaurierungsprojekt zu bewerten ist.
Der Vasenkörper besteht aus einer Kombination von antiken Fragmenten und modernen Ergänzungen. Bei dem kannelierten Fuß der Vase handelt es sich um ein typisches, aus Piranesis Werkstatt stammendes Stück. Der mit Delphinen verzierte Deckel ist ausnahmslos modern und orientiert sich in Form und Motivwahl an einer sehr ähnlichen Vase aus der Sammlung Altieri, von der eine Zeichnung in Karlsruhe aufbewahrt wird (IX 5159-36-31-2) und die in den Vasi, candelabri (Taf. 7) abgebildet ist. Das Motiv der Delphine gehört zum ornamentalen Repertoire Piranesis und stammt aus einem von ihm in der Villa Adriana vorgefundenen Kapitell, das er in seinen Erfindungen immer wieder verwendete.[2] Laut Bosso könnte sich die im Katalog der an Gustav II. verkauften Sammlungsstücke von 1792 angegebene Provenienz der Vase aus der Villa Adriana durch die Wiederverwendung dieses Motiv erklären.[3] Der Delphin wurde nur auf der linken Hälfte des Deckels gezeichnet – eine ökonomische Zeichenweise, die auf einer üblichen Praxis bei Zeichnungsentwürfen von Möbeln und dekorativen Gegenständen beruht. Aus dem links gezeichneten Delphin erschließt sich somit der noch nicht ausgeführte, spiegelbildlich angeordnete Delphin auf der rechten Deckelseite. Das aus dem ägyptischen und römischen Repertoire hervorgegangene Mischwesen, das als Art Zwischenglied dient, entspricht Piranesis Vorliebe für ungewöhliche und bizzare Stilmischungen. Eine im Gabinetto disegni e stampe in Rom aufbewahrte anonyme Zeichnung aus dem 16. Jahrhundert zeigt einen vergleichbaren Sockel mit Eroten, der mit einer etwas höheren Basis und mit schlichteren Gesims versehen ist,[4] aber dennoch als derselbe Sockel angesehen wurde, der im achtzehnten Jahrhundert mit einem neuen Gesims und Basis versehen wurde.[5]
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Für diese Beobachtung danke ich Stefan Morét.
2. Zum Delphinenmotiv siehe Raffaella Bosso: Osservazioni sull’attività della bottega Piranesi tra Giovanni Battista e Francesco: Il caso esemplare del gruppo dei candelabri con trampolieri, in: Opuscula Romana 30, 2005, S. 31–62, hier S. 37f., Abb. 9; Roberta Battaglia: Le „Diverse Maniere d’Adornare i Cammini…” di Giovanni Battista Piranesi: Gusto e cultura antiquaria, in: Saggi e memorie di storia dell’arte, 19, 1994, S. 191–273, hier S. 224–226, Abb. 61–64.
3. Der Katalog der Sammlungsstücke von 1792 („Catalogo della collezione di Marmi antichi e di differenti Gessi della Colonna Trajana, offerti alla Maestà di Gustavo Terzo Re di Svezia dal Cav.re Francesco Piranesi”, Stockholm, Nationalmuseum, Ms. HII A, 75) ist u. a. in Rossana Caira Lumetti: La cultura dei Lumi tra Italia e Svezia. Il ruolo di Francesco Piranesi, Roma 1990, S. 239–248, wiedergegeben. Die Vase kann mit der Nr. 7 identifiziert werden: „un vaso di elegante forma […] trovato nella Villa Adriana nella così detta Piazza d’Oro”.
4. Siehe Giandomenico Spinola: Il Museo Pio-Clementino, Bd. 3, Vatikanstadt 2004, S. 296f., Nr. 4. Darin ist die anonyme Zeichnung im Gabinetto nazionale delle stampe (heutigen Gabinetto disegni e stampe, Istituto centrale per la grafica, vol. 2510, fol. 80) erwähnt und auf Hinweis von Arnold Nesselrath um 1520 datiert. Die Zeichnung ist in Daniela di Castro/Stephen Paul Fox: Disegni dall’antico die secoli XVI e XVII. Dalle collezioni del Gabinetto nazionale delle stampe, Rom 1983, S. 59f. publiziert.
5. Giandomenico Spinola: Il Museo Pio-Clementino, Bd. 3, Vatikanstadt 2004, S. 296f., Nr. 4.
- Ableitung, Rezeption und Dissemination
Der Sockel mit Eroten wurde von den Besuchern des Museo Pio-Clementino mehrmals nachgezeichnet. Bekannt sind unter anderem eine Zeichnung, die sich heute in London (Victoria and Albert Museum, Inv. D.1544-1898) befindet, sowie die dazugehörige gedruckte Tafel, erschienen in Etchings, Representing the best Examples of Ancient Ornamental Architecture Drawn from the Orginals in Rome (London 1800) des englischen Architekten Charles Heathcote Tatham (1772–1842). Dieser lebte zwischen 1794 und 1796 in Rom, wo er mit Joseph Michael Gandy (1791–1843) seine Architektenlehre fortsetzte und als Kunstagent des schon etablierten Architekten Henry Holland (1745–1806) arbeitete.[1] Ferner ist der Sockel in Charles Perciers (1764–1838, in Rom 1786–1792) Zeichnungsalbum von antiken Gegenständen aus den Vatikanischen Sammlungen abgebildet (Paris, Institut de France, Ms 1011, fol. 163).
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Abgebildet in Susan Pearce/Frank Salmon: Charles Heathcote Tatham in Italy, 1794–1796: Letters, Drawings and Fragments, and Part of an Autobiography, in: The Volume of the Walpole Society 67, 2005, S. 1–91, hier Abb. 69. Zum gedruckten Werk siehe u.a. Tiziano Casola: Etchings of Ancient Ornamental Architecture (1800) e Designs for Cottages (1805). L‘esperienza romana nelle pubblicazioni ottocentesche di Charles Heathcote Tatham e Joseph Michael Gandy, in: MDCCC 1800 7, 2018, S. 25–36.
- Graphischer Transfer und mediale Umsetzung
Die hier untersuchte Zeichnung ist eine der wenigen, die einen aus verschiedenen antiken Sammlungsstücken komponierten Gegenstand darstellt, jedoch schließlich nicht druckgraphisch umgesetzt wurde (siehe auch Prozesse historischer Nutzung). Ohne die Zeichnung wäre daher diese konkrete, in der Werkstatt erstellte Assemblage unbekannt. Typologisch ist die Zeichnung mit den großformatigen Karlsruher Kandelaber-Zeichnungen vergleichbar, die jedoch alle in den Vasi, candelabri reproduziert wurden (siehe vor allem Zeichnung IX 5159-35-31-4). Ein weiteres Beispiel eines Gegenstandes, der in direktem Bezug zu einem existierenden Sammlungsstück steht, ohne aber in die Druckgraphik übertragen worden zu sein, ist die Zeichnung einer Vase mit Seepferden (IX 5159-36-32-3), die sich heute in Burghley House (Lincolnshire) befindet und vielleicht vom Grafen von Exeter während seines Romaufenthalts (1767–1768) erworben wurde.[1] Doch handelt es sich hier um eine einzelne Vase und nicht um eine Assemblage aus verschiedenen restaurierten Bestandteilen.
Die Karlsruher Zeichnung vereint also Bestandteile, die in Piranesis Sammlung vorhanden waren und daher auch real zusammengefügt werden konnten. Im Unterschied dazu enthält die Druckfolge Vasi, candelabri Objekte, die aus Stücken verschiedener Sammlungen zusammengesetzt und in der Druckgraphik als einheitlicher Kompositionsvorschlag präsentiert wurden. Ein Beispiel dafür ist das Becken mit Greiffüßen, bekannt als Trentham Laver (London, British Museum, Inv. 1907,1214.4). In einer der beiden Tafeln in welchen diese Assemblage abgebildet wird (Abb. 3, im Katalog von 1792 ist der Druck von 1774 datiert), ist das Becken über einem damals als Sockel nicht existierenden Stück wiedergegeben.
Abb. 3: Giovanni Battista Piranesi, Antiker Marmoraltar, Radierung, in: Vasi, candelabri, 1878, Taf. 31, Museumslandschaft Hessen Kassel, SM-GS 6.2.692
CC BY-NC-SA 3.0Bei diesem gedruckten Kompositionsvorschlag greift Piranesi auf ein Relief aus der Gartenfassade des Palazzo Barberini zurück, verwandelt dieses in einen Beckensockel mit Greiffüßen und deutet die gesamte Komposition als „antiken Altar“ um (siehe dazu IX 5159-35-9-4 und IX 5159-36-32-4).[2] Der Druck wird somit zum Medium einer idealen Zusammenstellung antiker Elemente, die sich in Wirklichkeit an verschiedenen Orten befinden oder andere Funktionen haben. Als Gesamtkompositionen können diese Assemblagen nur in der Graphik dargestellt werden. Sie dienen der Veranschaulichung von Piranesis idealen Ergänzungs- und Kompositionsvorschlägen und bezeugen seine Erfindungskraft, die über eine rein materielle dreidimensionale Konkretisierung hinausgeht.
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Vgl. Georg Kabierske: „Vasi, urne, cinerarie, altari e candelabri. Newly identified drawings for Piranesi’s antiquities and sculptural compositions at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe”, in: Elisa Debenedetti/Francesco Nevola (Hg.): Studi sul Settecento Romano. Giovanni Battista Piranesi, predecessori, contemporanei e successori. Studi in onore di John Wilton-Ely, Rom 2016, S. 245–262, hier S. 248 und Abb. 9, S. 257; Pierluigi Panza: Museo Piranesi 2017, S. 417.
2. Vgl. G.B. Piranesi: Vasi, Candelabri, Taf. 31: „Il monumento che regge quest’ara è stato disegnato da un Monumento antico che si vede nella facciata del Palazzo Barberini verso il Giardino”. Zum Relief siehe Massimiliano Papini: Palazzo Barberini: i rilievi della facciata sul giardino, in: Bulletino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 100, 1999, S. 281–314.
- Zeichenstil
Die Komposition wurde mit Lineal und schwarzer Kreide sowie unter Zuhilfenahme einer Mittelachse und horizontaler Linien präzise konstruiert (siehe Zeichnerischer Prozess). Der sechseckige Sockel wurde in nur leichter Verkürzung gezeichnet, sodass er wenig dreidimensional wirkt. Die nur spärlich eingefügten Schattierungen vor allem in der Vase verleihen der Zeichnung einen unvollständigen Eindruck. Es stellt sich somit die Frage, ob die schraffierten Flächen noch weiter bearbeitet werden sollten. Der Sphingenkopf des Mischwesens wurde etwas ungeschickt und zu klein gezeichnet. Im Bereich des Vasendekors wurden Konturen und Bohrlöcher teilweise mit schwarzer Kreide akzentuiert, um der Ranke mehr Kontraste zu verleihen. Zeichenstil und Ausführung des Rankendekors stehen in Zusammenhang mit dem Dekorrelief der Urne von IX 5159-35-31-4 und des Sarkophagreliefs IX 5159-35-43-1. Vor allem die Schnäbel und Flügel der Vögel sowie ihre tropfartige Augenform, die pflanzlichen Details sowie der leicht und unregelmässig schraffierte Hintergrund stimmen überein. Alle drei Zeichnungen bzw. deren ornamentale Bereiche können daher der gleichen Hand zugeschrieben werden (Siehe Essay zu den Zeichnungsgruppen, Gruppe 9, Abb. 4). Stilisische Verwandschaften lassen sich auch zum fragmentarischen Entwurf eines Kamindekors (IX 5159-35-30-1) erkennen. Dies betrifft vor allem die Darstellung der Eroten: Im Bereich der Körper variiert die Stärke der Konturlinie, die in ausgewählten Partien dicker aufgetragen wurden; horizontale und schräge Schraffierungen betonen in vergleichbarer Weise die schattierten Partien; die Füße sind äußerst schematisch skizziert, die Hände sind zangenförmig gestaltet; in den Gesichtern findet man die gleichen tropfenförmigen Augen, und ein horizontaler Strich suggeriert Nasen- und Mundpartie.
Abb. 4: Detailvergleich zwischen zwei der Karlsruher Zeichnungen aus Gruppe 9, Inv. IX 5159-35-31-4 und Inv. IX 5159-35-21-3
CC0 1.0Bénédicte Maronnie
- Zuschreibungshypothesen
Dank der zuvor erläuterten stilistischen Merkmale kann eine Gruppe von Zeichnungen innerhalb des Karlsruher Konvoluts als zusammengehörend bestimmt werden (Essay zu den Zeichnungsgruppen, Gruppe 9). Doch fehlen bislang Anhaltspunkte (z.B. eine signierte Zeichnung oder ein Vergleichsbeispiel mit gesicherter Zuschreibung), um sie einem der bekannten Zeichner der Piranesi-Werkstatt zuzuordnen.
Bénédicte Maronnie
- Merkmale des Papiers
Ohne Wasserzeichen
Herstellungsmerkmale:
Ungefärbt, geringe Stärke; hohe Festigkeit; knötchenhaltiger Faserstoff; ausgeprägte Filzmarkierung, feine, ausgeprägte Siebmarkierung; gelatinegeleimt; stark ausgeprägter Oberflächenglanz.
Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Schwarze Kreide (Details 1, 2, 3, 4): Linien je nach Stiftdruck deckend schwarz bis matt grau; feine, tiefschwarze und unter Vergrößerung glitzernde Kreidepartikel, vor allem in Strichrichtung den Fasern vorgelagert; teilweise kompaktes, pastoses Erscheinungsbild, furchige und streifige Linien.
Graphit (Überarbeitung; Details 4, 5, 6): Über schwarzer Kreide liegend, teils breite Linien mit starkem Auftrag, teils furchige, ungleichmäßig deckende Linien; im Reflexlicht Glanz.
Nicht zur Zeichnung gehörende Zeichenmittel: Flächige Ablagerungen von Rötel im unteren Blattabschnitt.
Detail 1: Auflicht
Schwarze Kreide mit teils kompaktem, pastosem Erscheinungsbild (zentrale Figur am Sockel)Detail 2: Auflicht
Schwarze Kreide, akzentuierte Bereiche (Sockel)Detail 3a: Auflicht
Schwarze Kreide, getilgte Linien (unter dem Sockel), u.l. EinstichDetail 3b: Streiflicht
Schwarze Kreide, getilgte Linien (unter dem Sockel), u.l. EinstichDetail 4Ergänzung in Graphit (Löwenkopf links)
Detail 5: Auflicht
Ergänzung in Graphit (oberhalb des linken Henkels)Detail 6: Auflicht
Ergänzung in Graphit (Vasenhals mittig)Maria Krämer
- Zeichnerischer Prozess
Die Zeichnung wurde in schwarzer Kreide ausgearbeitet. Grundlage für das teilweise mit Lineal und Zirkel konstruierte Bild ist eine senkrechte Mittelachse. Von dieser ausgehend wurden die Abschnitte durch waagrechte parallele Linien angelegt. An einigen Stellen finden sich Einstiche eines Zirkels an der senkrechten Achse und an entsprechenden markanten Punkten links und rechts an den waagrechten Linien. Mehrere Einstiche in waagrechten Abständen von etwa 23 mm (Kartierung) links unter dem Sockel könnten als Grundlage für einen Maßstab gedient haben, wurden jedoch nicht mit Zahlen versehen. Unterhalb des Vasensockels sind einige durch Tilgung geschwächte Linien in schwarzer Kreide sichtbar, die zeigen, dass der Sockel unten zunächst länger konzipiert war. Über den unteren Linien liegt mittig eine freihändig skizzierte Aufsicht der Sockelkontur, die bis zum unteren Blattrand reicht. Wahrscheinlich konstruierte der Zeichner zuerst die geometrische Grundform und die Konturen der Vase, um danach die einzelnen Motivfelder zu füllen. Erkennbar ist dies beispielsweise an der Girlande links am Sockel, deren Linien die Kontur überschneidet. Um bereits gezeichnete Linien nicht zu verwischen, wird dies wahrscheinlich von oben nach unten geschehen sein. Daher wird der Sockel erst nach dem Einzeichnen des Puttenmotivs verkürzt worden sein. Weitere Korrekturen sind am Kopf des Mittelteils erkennbar, einem Zwitterwesen aus einem liegenden Löwen und einer Sphinx, wo Kopf und Pranken ursprünglich kürzer waren und mit einer kleineren Grundplatte abschlossen (siehe auch Einordnung in das Gesamtwerk Piranesis). Die Figuren wurden mit lockerem, breitem Strich und im Linienverlauf häufig korrigierend gezeichnet. Ein kräftig deckender Kreideauftrag akzentuiert Stellen, wo die Marmorskulptur Vertiefungen aufweist. Schattierungen und Hohlstellen wurden mit teils weit auseinanderliegenden Parallelschraffuren großflächig eingetragen.
Ergänzend sind einige Überarbeitungen in Graphit sichtbar (siehe: Kartierung): Sie fügen der Platte über dem Mischwesen links und rechts perspektivische Abschlüsse hinzu und konstruieren ein Sechseck, analog zu der Form des unteren Sockels. Dieser Entwurf wurde in der Skulptur zugunsten einer viereckigen Grundform aufgegeben (Abb. 1). Waagerechte Linien in Graphit markieren am unteren Abschluss des Vasenbauchs einen Abschnitt, der bei der Skulptur mit Blattranken gefüllt ist. Am oberen Abschluss des Vasenbauchs geben sie den Streifen wieder, der am Original eine Reihe Kannelierungsmuster hinter dem floralen Hauptmotiv zeigt; vereinzelte ovale Graphitlinien deuten diese Kannelierung an. In Bildaufbau, Ausführung und dem perspektivischen Aufklappen seitlicher Komponenten erinnert diese Vorgehensweise an die ganz ähnlich aufgebaute Zeichnung des Newdigate Candelabers, der in derselben Frontalansicht in Vasi, candelabri abgebildet wurde.
Maria Krämer
- Merkmale Historischer Nutzung
An drei Kanten beschnitten, unten Büttenrand; am linken Rand bogenförmiger Ausriss; weitere Ausrisse an früheren Klebepunkten in den Ecken; paarige Stecknadeleinstiche u.l. gelblich fluoreszierend (UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt); einzelne vergilbte Ölflecke im oberen Bereich der Zeichnung (UVF).
Maria Krämer
- Prozesse historischer Nutzung
Die Zeichnung selbst weist außer paarigen Stecknadeleinstichen und leicht öligen Flecken dort und rechts oben (siehe UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt) keine Anzeichen einer weiteren Verwendung auf. Die Einstiche und Ölflecke deuten darauf hin, dass von dieser Zeichnung eine Pause auf geöltem Papier angefertigt wurde.
Montierungshistorie:
Die Ausrisse an den Ecken und ein erhaltener Klebepunkt u.l. belegen, dass die Zeichnung bereits in einer früheren Montierung vor dem Erwerb durch Friedrich Weinbrenner montiert war.
Maria Krämer
Schlagwörter
- Charles Percier
- Marmor
- Museo Pio-Clementino
- Ölpause
- Piranesi-Werkstatt
- Italienisches Papier
- Francesco Piranesi
- IX 5159-35-21-3
- Ranke
- Vase
- Eros
- Mischwesen
- Kyma
- Charles Heathcote Tatham
- Assemblage
- Delphin
- Vogel
- Girlande
- Vatikan
- Vatikanische Museen
- Stilistische Gruppe 08
GND-Begriffe
Permalink | piranesi.kunsthalle-karlsruhe.de/de/werk/94/vase-mit-rankendekor
Der Permalink führt Sie immer zur neuesten Version des Beitrags.Zitierfähiger Link | piranesi.kunsthalle-karlsruhe.de/de/werk/94/vase-mit-rankendekor/1
Mit dem zitierfähigen Link können Sie zukünftig auf diese Inhalte zugreifen, ohne dass Änderungen am Text vorgenommen wurden.
Versionshistorie
Bei dieser Seite wurde bereits eine Aktualisierung der Inhalte durchgeführt. Nutzen Sie bitte den folgenden Link um auf die neuste Version zu wechseln.
Zur neusten Version wechseln
Kommentare
Hier können Sie uns Anmerkungen und Kommentare zu unseren Objekten hinterlassen, die nach Sichtung durch unsere Mitarbeiter*innen allen Leser*innen angezeigt werden.