Kopieren im 18. Jahrhundert: Das gelbliche Papier zeigt noch heute die Spuren eines Öls, mit dem es getränkt wurde. Auf diese Weise transparent gemacht, konnten Figuren von unterschiedlichen Vorlagen abgepaust werden. In der Piranesi-Werkstatt war reichlich Material vorhanden, das für neue Motivkombinationen genutzt werden konnte. Diese Pause ist ein besonders eindrückliches Beispiel, weil die Figurenmotive in der Pause erst zusammengesetzt und dabei auch noch korrigiert wurden: Hier blickt der römische Gott Bacchus auf sein Gefolge, eine Mänade spielt Tamburin, daneben schreitet ein Satyr auf den rechten Blattrand zu.
Werkdaten
Künstler
Unidentifizierter Zeichner der Piranesi-Werkstatt, nach Giuseppe Cades (1750–1799) (?)
Ort und Datierung
Rom, vor 1771
Abmessungen (Blatt)
128 x 330 mm
Inventarnummer
IX 5159-36-18-4
- Zeichenmedien
Rötel; weitere Informationen siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Keine
- Literatur
Maria Krämer: Nach dem Dornröschenschlaf: Die Erschließung und Bewahrung der Karlsruher Piranesi-Alben, in: Elisabeth Oy-Marra (Hg.): Ordnen, Vergleichen, Erzählen, Freiburg, Tagungsband, voraussichtliches Erscheinungsdatum 2021/22.
- Hadernpapier
Vergé; italienische Herstellung; Papierseite der Zeichnung nicht zuweisbar; weitere Informationen siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Keine erkennbaren Hinweise auf eine rückseitige Bezeichnung oder Beschriftung
Das Werk im Detail
- Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung
Die Pause zeigt drei bacchische Figuren: links Bacchus, in der Mitte eine tanzende Mänade und rechts einen Satyr. Sie sind in derselben Reihenfolge wiedergegeben wie auf einer reliefierten Marmorvase (auch als Ascheurne bezeichnet) aus der Piranesi-Werkstatt, die sich heute in der Library von Gorhambury House (Hertfordshire) befindet.[1]
Den Angaben der Drucktafeln der Vasi, candelabri (u.a. Tafel 90) zufolge hatte das englische Sammlerpaar Edward (1727–1780) und Harriot Walter[2] während seines Romaufenthalts zwischen Mitte des Jahres 1770 und April 1771 mehrere Werke für die Ausstattung seiner Villa in Berry Hill (Surrey, England, oft auch Bury Hill genannt) bei Piranesi erworben. Dazu zählten die bereits erwähnte Vase mit bacchischem Relief, die auf der Taf. 85 unter dem Titel „Vaso cinerario antico“ abgebildet ist (Abb. 1, im Katalog von 1792 datiert auf 1770), eine weitere Vase (Taf. 74) und zwei Kamine.[3]
Abb. 1: Giovanni Battista Piranesi, Antike Vase (Ascheurne), Radierung, in: Vasi, candelabri, 1778, Taf. 85, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.696
CC BY-NC-SA 3.0Edward und Harriot Walters Tochter (Harriot Bucknall, um 1754-1786) lebte ab 1784 mit ihrem Mann James Bucknall (1749-1809), dritter Viscount von Grimston und Baron Verulam of Gorhambury, in Gorhambury House, wohin die Sammlung transferiert wurde.[4] Bucknall hatte Piranesi während seines Romaufenthaltes (November 1771–Januar 1772) ebenfalls kennengelernt und angefangen seine Zeichnungen zu sammeln, sodass die Gorhambury House bis heute zu den wichtigsten Privatsammlungen von Werken Piranesis zählt.
Die Figuren des Bacchus und der tanzenden Mänade gehören zu einem der bekanntesten antiken Sammlungsstücke der Zeit, der sogenannten Borghese-Vase (Abb. 2a/b).[5]
Abb. 2a: Boghese-Vase (Details), römische Kopie in Marmor nach einem griechischen Original in Bronze aus der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., 175 x 140 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Ma 86 (MR 985)
© 1993 Musée du Louvre / Christian Larrieu (Permalink)Abb. 2b: Boghese-Vase (Details), römische Kopie in Marmor nach einem griechischen Original in Bronze aus der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., 175 x 140 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Ma 86 (MR 985)
© 1996 Musée du Louvre / Patrick Lebaube (Permalink)Im 18. Jahrhundert verbreitete sich das Relief der Vase durch zahlreiche gezeichnete und gedruckte Wiedergaben europaweit,[6] beispielsweise durch die Stichwerke von François Perrier (1645) und Pietro Santi Bartoli (Abb. 3).[7] In der Folge wurde es unabhängig von der Vase zu einem häufig zitierten Ornamentmotiv im Bereich der angewandten Kunst und der Innenausstattung. Auch Piranesi bildete dieses Ornamentmotiv als Abrollung im Stichwerk Vasi, candelabri ab (Abb. 4, im Katalog von 1792 datiert 1777).
Abb. 3: Relief der Borghese-Vase, Radierung, in: Pietro Santi Bartoli/Pietro Bellori, Admiranda romanorum antiquitatum ac veteris sculpturae vestigia, Rome 1693 (2. Aufl.), Taf. 51, Heidelberg, Universitätsbibliothek, C 5547 B Gross RES
Public Domain Mark 1.0Abb. 4: Giovanni Battista Piranesi, Abrollung der Borghese-Vase, Radierung, in: Vasi, candelabri, 1778, Taf. 100, Biblioteca Histórica de la Universidad Complutense de Madrid. BH GRL 13(112)
CC BY-NC 4.0Da die Figuren in der geölten Zeichnung nicht gleich groß sind, kann ausgeschlossen werden, dass diese als direkte Vorzeichnung für den Druck diente. Sie wurden auch nicht nach dem Druck kopiert. Bacchus und die Mänade wurden von einer weiteren Karlsruher Zeichnung (IX 5159-36-20-1) abgepaust, ebenso wie die dritte Figur des Satyrs von einer anderen Karlsruher Zeichnung (IX 5159-36-11-2) abgepaust wurde, die nicht vom Relief der Borghese-Vase stammt (so auch von Maria Krämer nachgewiesen, siehe Zeichnerischer Prozess). Darstellungen von Satyrn gehörten seit der Renaissance zum antiquarisch-archäologischen Motivrepertoire und waren auch zur Zeit Piranesis weit verbreitet. Sie finden sich in verschiedenen Varianten in vielen antiken Kandelabersockeln, wie die Darstellung im Codex Coburghensis (Abb. 5) beispielhaft zeigt.[8] Nach einem dieser Darstellung vergleichbaren und in der Antike seriell produzierten Objekt muss der Satyr gezeichnet worden sein.
Abb. 5: Anonymer Zeichner des Codex Coburghensis, Altar: Mänade und zwei Satyrn, Mitte 1550er Jahre, Feder in Braun und Pinsel in Grau, 16,1 x 22,7 cm, in Papierumrahmung, © Kunstsammlungen der Veste Coburg, Kupferstichkabinett, Hz.002.NR.82, fol. 82a Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Die Ascheurne konnte hier leider nicht abgebildet werden. Über Gorhambury siehe William Rieder: Piranesi at Gorhambury, in: The Burlington Magazine, 117, 1975, wo die Ascheurne rechts über das Kamin in Abbildung 13 erscheint. Siehe auch Abbildung in Pierluigi Panza: Il museo Piranesi, Mailand 2017, S.402 über dem Kamin in der Mitte und S. 404.
2. Vgl. John Ingamells: A Dictionary of British and Irish Travellers in Italy 1701–1800, New Haven/London 1997, S. 977.
3. Zur Geschichte der Piranesi-Sammlung in der Gorhambury Hall siehe William Rieder: Piranesi at Gorhambury, in: The Burlington Magazine, 117, 1975, S. 582–591, hier S. 586–589. Zur Erwerbung der zwei Kamine siehe auch Vasi, candelabri, Taf. 90: „I diversi avanzi di opere antiche si vedono disposto in alcuni Cammini del mio Museo […] avendone Voi o Signore di due di essi fatta la scelta per uso e adornamento dell’abitazione di vostra Villa di Berry Hill […]” („Die verschiedenen antiken Fragmente sind in einigen Kaminen meiner Sammlung eingearbeitet […] von denen Sie, oh Herr, zwei zur Nutzung und Dekoration ihrer Villa in Berry Hill ausgewählt haben […]“; Übers. der Autorin).
4. Vgl. William Rieder: Piranesi at Gorhambury, in The Burlington Magazine 117, 1975, S. 582-591, hier S. 589. Panza schreibt, dass die Urne schon nach dem Hochzeit 1774 aus Bury Hill nach Gorhambury transferiert wurde, vgl. Pierluigi Panza: Il museo Piranesi, Mailand 2017, S. 397, 404.
5. Die Borghese-Vase wurde 1566 in den sallustischen Gärten (Horti Sallustiani) in Rom aufgefunden. Sie gehörte zur Sammlung von Camillo Borghese und wurde etliche Male nachgezeichnet, kopiert und in Marmor, Gips, Bronze oder Porzellan adaptiert. Nach dem Erwerb durch Napoleon 1808 wurde sie im Musée du Louvre, Paris (Inv. MR985) ausgestellt, wo sie bis heute aufbewahrt wird.
6. Eine Zeichnung von Hubert Robert (1733–1808) belegt beispielhaft das große Interesse an der Borghese-Vase: Der Zeichner der Borghese-Vase, um 1775, Rötel, 36,5 x 29 cm, Musée de Valence, Inv. D. 28.
7. François Perrier: Icones et segmenta illustrium e marmore tabularum quae Romae adhuc exstant, Rom/Paris 1645, Taf. 10–11, und auf dessen Vorlage basierend in: Pietro Santi Bartoli: Admiranda romanorum antiquitatum ac veteris sculpturae vestigia. Notis Io. Petris Bellorii illustrata, Rome o. J. [1666], 2. Aufl.: 1693, Taf. 50–51.
8. Vgl. Henry Stuart Jones: A Catalogue of the Ancient Sculptures Preserved in the Municipal Collections of Rome, 2 Bd., Oxford 1926, Bd. 1, Taf. 67, Bd. 2, Kat. 7, S. 54-55; Amanda Claridge und Ian Jenkins: Cassiano and the Tradition of Drawings from the Antique, in: Amanda Claridge/Ian Jenkins u.a. (Hg.): The Paper Museum of Cassiano dal Pozzo, Mailand 1993, S. 13–26, hier S. 25, Abb. 9, mit einem Druck von Francesco Bartolozzi.
- Beschreibung und Komposition
Links ist der Gott Bacchus frontal im Kontrapost wiedergegeben, den Kopf zur Seite gewandt. Seine Rechte hält den Thyrsos-Stab. Im Unterschied zur Darstellung der Borghese-Vase liegt seine linke Hand nicht auf der Schulter einer Mänade, sondern auf einem Baumstamm. Der linke Arm und die Beine sind von einem langen Tuch bedeckt. Das Zentrum der Darstellung bildet eine tanzende Mänade, die in Rückansicht in harmonisch ausbalancierter Haltung wiedergegeben ist. In ihrer Rechten, die über den Kopf geführt ist, hält sie ein Tamburin, während sie mit der linken Hand ein dünnes Gewand greift, das ihre Hüfte und Beine bedeckt. Das rechte Bein ist so zurückgesetzt, dass es eine Parallele zum linken Arm bildet. Rechts im Bild ist ein Satyr in Dreiviertelansicht wiedergegeben. Die Hand auf seine Hüfte gestützt, hält er rechts einen Hirtenstab, während er den linken Arm angewinkelt nach oben streckt. Über seiner linken Schulter hängt ein Pantherfell. Auffällig ist, dass die drei Figuren nicht auf der gleichen Bodenebene gezeichnet sind, wie es für einen als Kombination verschiedener Vorlagen erstellten Entwurf und in Hinblick auf die Herstellung eines neuen plastischen Gegenstandes zu erwarten wäre. Dies könnte dafür sprechen, dass es sich bei der Pause um einen ersten spontanen Kompositionsversuch handelt, der anhand des in der Werkstatt vorhandenen Vorlagenmaterials erstellt wurde – eine Vermutung, die durch die Verwendung eines geölten, jedoch nicht getrockneten Blattes, gestützt wird (siehe Zeichnerischer Prozess).
Die Maße der Figuren der Vorlagezeichnungen (Zeichnung IX 5159-36-20-1 und Zeichnung IX 5159-36-11-2) stimmen mit denen auf der hier untersuchten Pause überein. In den Details wurden jedoch bei der neuen Zusammenstellung der drei Figuren einige Änderungen vorgenommen: So stützt sich Bacchus nicht mehr auf eine Art Felsstück, sondern auf einen Baumstamm, das Tamburin der Mänade ist flacher und der Satyr streckt seinen linken Arm nach vorne anstatt ihn zu beugen.[1] Zudem sind die Figuren etwas schmaler dargestellt, was vor allem in den Hüftenpartien der tanzenden Mänade und des Bacchus‘ auffällt. Die Schattierungen der Gewandfalten wurden nach dem Pausen, unabhängig vom Vorbild, weiter bearbeitet.
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Diese letzte Abweichung lässt sich als Anpassung des Motivs an den Transfer in das Marmorrelief erklären: Der ausgestreckte Arm kann nun genau unter dem Vasenhenkel platziert werden. Ein solches Vorgehen erscheint allerdings für eine erste, spontane Komposition bereits sehr berechnet. Andererseits zeigen antike Werke den Satyrn eher mit ausgestrecktem als mit angewinkeltem Arm. Vielleicht wollte der Zeichner diese Figur nach den herkömmlichen Vorbildern adaptieren.
- Einordnung in das Gesamtwerk Piranesis
Es ist nicht auszuschließen, dass der Zeichner die Vorlagen (Zeichnung IX 5159-36-20-1 und Zeichnung IX 5159-36-11-2) zu Studienzwecken abgepaust hat. Doch mag es auch kein Zufall sein, dass die Figuren in derselben Reihenfolge wie im Relief der Vase in Gorhambury House erscheinen. Womöglich kann das Blatt als erster kombinierter Entwurf für die Herstellung der Marmorvase gedeutet werden, in der die Komposition ziemlich genau übernommen wurde. Es sind nur kleine Abweichungen zu bemerken, die wohl dem Transferprozess in Marmor geschuldet sind. Beispielsweise ist das Tamburin leicht hinter dem Kopf der Mänade versteckt, diese trägt nun keine Armbänder mehr, und das Gewand des Bacchus‘ ist auf der linken Seite anders gestaltet. Ferner fehlt in der hier besprochenen Pause die Mänade, die auf der Marmorvase links von Bacchus steht und in der Vorlagenzeichnung IX 5159-36-11-2 vorhanden ist. Diese vierte Figur könnte entweder aus dem Blatt herausgeschnitten oder in einer späteren kompositorischen Etappe als Motiv für die Vasendekoration hinzugefügt worden sein. Das geölte Blatt steht in enger Beziehung zur Tafel 85 der Vasi, candelabri. Sie wurde aber nicht direkt als Vorzeichnung verwendet, da im Druck die Figuren kleiner sind als in der Zeichnung (siehe hier Prozesse historischer Nutzung). In dieser Hinsicht steht die Zeichnung dem Marmorstück näher als dem Druck. Der Druck wiederum ist dem Marmorstück motivisch und stilistisch sehr nahe, auch wenn das Tamburin in einen Reifen umgewandelt wurde. Für die Herstellung der Marmorvase sowie für ihre Wiedergabe im Druck muss es demnach zumindest eine weitere Zeichnung gegeben haben, in der die vollständige Figurenkomposition des Vasenkörpers zusammengefügt wurde.
Diese Zeichnung zeigt exemplarisch, dass einzelne Motive in der Piranesi-Werkstatt einem mehrstufigen Transfer- und Kopiervorgang unterlagen: Aus den zwei Zeichnungsvorlagen IX 5159-36-20-1 und IX 5159-36-11-2 entstand in der Pause eine neue Figurenzusammenstellung, die für die Herstellung einer neuen Komposition in Marmor verwendet wurde. Danach wurde die Marmorvase im Druck abgebildet, wahrscheinlich auf Grundlage einer nicht erhaltenen Zeichnung. Darüber hinaus gewährt die hier besprochene Zeichnung einen neuen Einblick in die serielle Produktion von Sammlungsobjekten in der Piranesi-Werkstatt. Bestimmte Motive wurden dafür aus ihrem ursprünglichen archäologischen Zusammenhang gelöst und in verschiedene neue Kontexte eingebunden. So finden sich die gleichen Figuren in einer neuen Zusammenstellung in einem Kamin aus der Sammlung von St. Stephen’s Green in Dublin, höchstwahrscheinlich eine piranesische Produktion. Die in der Werkstatt vorhandenen Zeichnungen dienten also als Ausgangspunkt für die Herstellung von hauptsächlich aus moderner Substanz bestehenden Werken. Das modulare und kombinatorische Herstellungsprinzip ging einher mit der Intensivierung der Produktion von Sammlungsstücken ab dem Ende der 1760er Jahren und vor allem in den 1770er Jahren. Ein Beispiel dafür ist die in der Walker Art Gallery (Liverpool) aufbewahrte Vase mit bacchischem Thema, die der Vase in Gorhambury House sehr ähnlich ist. Durch das Zitat des Reliefs der Borghese-Vase versuchte Piranesi, seine Produktion von Pasticci auf eine klassisch anmutende und von seinen Zeitgenossen anerkannte, wissenschaftlich gültige Grundlage zu stellen.
Bénédicte Maronnie
Einzelnachweis
1. Pierluigi Panza: Il museo Piranesi, Mailand 2017, S. 468.
2. Für eine Abbildung der Urne aus der Walker Art Gallery (64 x 47 cm, Inv. WAG 6527), siehe in Joselita Raspi Serra/ François de Polignac et ali: La Fascination de l’Antique, Rome 1700–1770, Ausst. Kat. Lyon, Musée de la Civilisation Gallo-Romaine, Paris 1998, Kat. 107, S. 130.Die Vase gehörte interessanterweise der Sammlungen von Giuseppe Volpato, Sir Henry Blundell und Ashmole (bis 1929). Zur modularen und seriellen Herstellung von Marmorgegenständen in Piranesis Werkstatt siehe Raffaella Bosso: Osservazioni sull’attività della bottega Piranesi tra Giovanni Battista e Francesco: Il caso esemplare del gruppo di candelabri, in: Opuscula romana, 30, 2005, S. 31-62, hier vor allem S. 33.
- Zeichenstil
Beim Vergleich der Pause mit den Vorlagezeichnungen (IX 5159-36-20-1 und IX 5159-36-11-2) fallen stilistische Unterschiede auf. Die Gesichter mit schraffierten Augenhöhlen und die spitzen Finger, die den Stil der Vorlagezeichnungen kennzeichnen, sind in der Pause nicht zu finden. Auf die Andeutung der Volumina und Schatten durch schräge und reguläre Schraffuren wurde verzichtet, stattdessen wurden diese eher unsystematisch gesetzt. Zudem sind in der Pause die Figuren schlanker wiedergegeben. Die frontale Darstellung der Füße des Bacchus‘ scheint dem Zeichner Schwierigkeiten bereitet zu haben. Eine Akkumulation von Strichen, die in dem von Öl getränkten Papier wie verschmiert aussehen, lässt diese Stelle unklar wirken. Sie erinnert an verschiedene andere Darstellungen, wie z.B. die Hände des Eros in der Zeichnung des Rankenfrieses aus der Domus Flavia (IX 5159-35-16-1) oder die Füße der Viktoria mit zwei Gefangenen (IX 5159-36-19-1). Diese Beobachtungen machen deutlich, dass die Pause von einer anderen Hand als die Vorlagezeichnungen gezeichnet wurde, was vor dem Hintergrund des Umgangs mit Vorlagematerial innerhalb der Werkstatt nachvollziehbar erscheint.
Bemerkenswert ist zudem der stilistische Unterschied zwischen der Wiedergabe der Figuren in der Pause und im Druck (Abb. 1), obwohl beide aus derselben Werkstatt stammen und zur gleichen Zeit (vor 1771) entstanden sein müssen. Im Druck erscheinen die Figuren massiver und steifer als in der Zeichnung. Dieser stilistische Unterschied erklärt sich vor allem durch den Bezug auf unterschiedlich gezeichnete Vorlagen. Im Werkstattkontext haben höchstwahrscheinlich verschiedene Hände an diesen unterschiedlichen Aufgaben gearbeitet.
Bénédicte Maronnie
- Merkmale des Papiers
Wasserzeichen
Belege
Edward Heawood: Watermarks Mainly of the 17th and 18th Centuries, Hilversum 1950, Taf. 220, Nr. 1604 (Typ, in: Bologna Herbarium, Bologna, ca. 1600)
Herstellungsmerkmale
Ungefärbt; geringe Stärke; sehr feine Siebstruktur (Durchlicht); ebenmäßige Oberfläche; im Reflexlicht streifiger Oberflächenglanz (manuell geglättet).
Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Rötel: Dichte, kompakte, weitgehend deckende Striche; schmierig mit dem Auftrag verschobene Rötelschicht (Detail 1); in weiten Teilen von wachsartigen Ausblühungen mit gelblich bis grauem Erscheinungsbild bedeckt, bedingt vermutlich durch Verseifung des Öls (Detail 2), die auch das Papier bedecken (Detail 2).
Detail 1a: Auflicht
Rötelstriche auf geöltem Untergrund (rechter Fuß des Bacchus)
Foto: Maria KrämerDetail 1b: Streiflicht
Rötelstriche auf geöltem Untergrund (rechter Fuß des Bacchus)
Foto: Maria KrämerDetail 2Wachsartige, gelbliche Ausblühungen auf dem Papier und der Zeichnung
Maria Krämer
- Zeichnerischer Prozess
Gezeichnet hat der Künstler auf einem ölgetränkten Papier mit einem weitgehend kräftigen Rötelstrich. Gepaust wurde von zwei ebenfalls erhaltenen Zeichnungen in schwarzer Kreide (IX 5159-36-11-2 und IX 5159-36-20-1, Abb. 6 und 7), wobei schon während des Pausvorgangs zahlreiche Korrekturen einbezogen wurden, um Proportionen der Körper und die Haltungen sowie einige Bereiche (die Beine und Füße) zu klären. So wurde der Arm des Satyrs von einer gebeugten in eine ausgestreckte Pose geändert und der erhobene Arm der Tamburinspielerin neu justiert. Eine weitreichende Korrektur geschah an der linken Figur des Bacchus. Hier macht der Vergleich mit der gepausten Zeichnung erkennbar, dass die Übertragung auf die Pause auch genutzt wurde, um deutliche Abweichungen zu den Zeichnungen in schwarzer Kreide zu entwickeln (Abb. 6).
Abb. 6: Überblendung von IX 5159-36-18-4 mit IX 5159-36-11-2 (rechts, digital beschnitten) und IX 5159-36-20-1 (links, digital beschnitten): Korrekturen in Haltung und Proportionen der Figuren sind ersichtlich.
Zur VollansichtMit dem Pausprozess ist auch schon die Funktion des geölten und transparent gemachten Papiers verdeutlicht. Dieses war wohl erst kurz vor dem Pausen mit Öl getränkt worden und beim Zeichnen noch nicht durchgetrocknet gewesen, denn der Rötel hat sich in einer für dieses Farbmittel ungewöhnlich schmierigen Form auf dem Papier abgelagert. Wo der Stift fest aufdrückend über die geölte Papieroberfläche geführt wurde, ist abgeriebener Rötel mit dem wohl noch flüssig auf dem Papier stehenden Öl seitlich aus der Strichmitte an die Strichränder gedrückt worden (Detail 1a/b). Die Verwendung eines mit Öl getränkten Papiers, das während der Pause noch nicht getrocknet war bzw. das mit einem nicht trocknenden Öl getränkt wurde, spricht für eine relativ spontane Entstehung des Blattes. Dass ein für einen vorübergehenden Zweck geschaffenes Blatt die Zeit überdauert, kommt äußerst selten vor; die Überlieferung zusammen mit den zeichnerischen Vorlagen stellt daher einen außerordentlichen Glücksfall dar (ein vergleichbares Blatt existiert an der Morgan Library in einer Studie zu dem Lyde Brown Kapitell).
Maria Krämer
- Merkmale historischer Nutzung
An allen vier Kanten beschnitten, ganzes Blatt händisch ölgetränkt, dadurch heute gelber Farbton (Alterung des Öls, dadurch kräftig gelbliche Fluoreszenz, UVF, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt), der verso weniger kräftig ausfällt; recto ist das Blatt einschließlich der Rötelzeichnung ganzflächig von einem gelblichen bis hellgrauen Belag bedeckt, der aus kristallinen, wachsartigen Ausblühungen besteht, stellenweise unter Vergrößerung (Details 2 und 4) als Nadelbildung erkennbar; Abdruck und Einstiche einer Stecknadel (Detail 3); senkrecht rechts von der Mitte dicht nebeneinander zwei Bergfalten in leicht unterschiedlichen Winkeln zueinander liegend, geringfügig verschmutzt (Detail 6); Ablagerungen von Kohlepartikeln und vereinzelte Harztropfen(?) (Details 5 und 6); Papierfragmente verso mittig rechts (Durchlicht) und Fehlstellen in den rechten Ecken nach Ablösen einer früheren Montierung.
Detail 3: Streiflicht
Abdruck einer Stecknadel (Tamburinspielerin, rechtes Bein), darüber Ausblühungen über Rötel
Foto: Maria KrämerDetail 4: Auflicht
Ausblühungen (Verseifungen des Öls) abgelagert auf Papier und Rötelstrich
Foto: Maria KrämerDetail 4: Close-up
Ausblühungen (Verseifungen des Öls) abgelagert auf Papier und Rötelstrich
Foto: Maria KrämerDetail 5: Streiflicht
Größerer Kohlepartikel auf der Papieroberfläche, bedeckt von Ausblühungen
Foto: Maria KrämerDetail 6: Close-up
Harztropfen (?)
Foto: Maria KrämerMaria Krämer
- Prozesse historischer Nutzung
Die Ölpause in Rötel nimmt eine Schlüsselstellung in der Erklärung der Funktion einer Gruppe von drei figürlichen Zeichnungen im zweiten Band der Karlsruher Alben ein. Interessant ist hier die neue Zusammenstellung der dargestellten Figuren, die von mehreren antiken Vorlagen stammen. Denn die zeichnerische Vorlage (IX 5159-36-20-1) vereint drei hier neu gruppierte Einzelfiguren der Borghese Vase, von der eine Abrollung in den Vasi, candelabri veröffentlicht wurde (Abb. 4, WE 1005).[1] Die auf der Pause versammelten Figuren finden sich in genau dieser Reihenfolge, links ergänzt um die zweite Figur von IX 5159-36-11-2, in den Vasi, candelabri auf einer von Piranesi als „Vaso cinerario antico“ bezeichneten Vase wieder (siehe Bildgegenstand und ikonographische Bedeutung, Abb. 7). Möglicherweise können diese Zeichnungen die Restaurierungspraxis oder auch den Antikenhandel in der Piranesi-Werkstatt erhellen. Um eine direkte Vorzeichnung für die Übertragung auf die Druckplatte handelt es sich bei der Ölpause nicht, da weder Griffelspuren nachgewiesen werden können noch die Größe der Zeichnung mit dem Druck übereinstimmt. Möglich ist, dass Teilmotive, wie in den Zeichnungen zusammengestellt, als Inspiration für die Ergänzung des fragmentierten Gefäßes dienten.
Abb. 7: Die Pause IX 5159-36-18-4 und die gepausten Zeichnungen IX 5159-36-11-2 (rechte Seite, unten rechts) und IX 5159-36-20-1 (rechte Seite, unten links, beschnitten). Die Komposition der Pause wurde im Druck der Vasi, candelabri übernommen (links, vgl. Abb. 1). Das vollendete Blatt war zu einem früheren Zeitpunkt nach hinten gefaltet worden, vielleicht um die Wirkung der beiden linken Figuren zu testen, und darauffolgend vermutlich zur Lagerung in diesem gefalteten Zustand, worauf die leicht unterschiedliche Alterung der beiden Blattteile hindeutet. Dafür würde auch der feine graue Schleier sprechen, der Papier und Rötelzeichnung vor allem links von der Falte bedeckt. Dabei handelt es sich um Ausblühungen, die sich bei der Alterung des Öls durch Verseifung gebildet haben. Während die vollständige Öltränkung der Pause heute offensichtlich ist, weisen die Papiere der Vorlagezeichnungen einzelne Ölflecke auf, wobei die Zeichnung der Borghese-Figuren deutlich stärker von Öl durchdrungen wurde, möglicherweise weil diese zuerst abgepaust wurden. Stecknadelspuren (Detail 4) weisen auf eine erst nachträgliche Fixierung des Blattes in einem anderen Arbeitskontext hin, da sie die Rötellinien der Zeichnung nicht unterbrechen; sie stehen somit nicht im direkten Zusammenhang mit dem Pausvorgang.
Maria Krämer
Einzelnachweis
1. Da die Figuren in der Größe abweichen, stellen sie keine direkte Vorlage für den Druck dar.
Schlagwörter
- Ornamentmotiv
- Vasi, candelabri
- Rötel
- Ölpause
- Piranesi-Werkstatt
- Wasserzeichen
- Geöltes Papier
- Italienisches Papier
- Giuseppe Cades
- Pause
- Edward und Harriot Walter
- James Bucknall
- Borghese-Vase
- Pietro Santi Bartoli
- Gorhambury Hill
- IX 5159-36-18-4
- Satyr
- Mänade
- Männliche Figur
- Vase
- Bacchus
- Lilie
- Tamburin
- Tanz
- Weibliche Figur
- Lilie im Kreis
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