Ein überarbeiteter Abklatsch der Karlsruher Rötelzeichnung (IX 5159-35-15-2 ) befindet sich heute im Sir John Soane’s Museum in London (Adam vol. 26/128 ). Dabei wurde der fehlende Dreifuß ergänzt, wobei er im Sockelbereich statt des Adlerdekors einen Rankenschmuck erhalten hat. Das Blatt wurde zusammen mit anderen Ornamentzeichnungen durch den schottischen Architekten James Adam vor dessen Abreise aus Rom 1763 für das gemeinsam mit seinem Bruder Robert in London betriebene Architekturbüro erworben.[1] In der Adam-Sammlung finden sich zahlreiche Kreidezeichnungen und Abklatsche, die mit dem französischen Zeichner und späteren Ornamentbildhauer Nicolas François Daniel Lhuillier (um 1736–1793) in Zusammenhang stehen.[2]
Lhuillier, der um 1755–1768 in Rom aktiv war, hatte sich als Schüler von Charles-Louis Clérisseau (1721–1820) auf das Zeichnen von Bauornamentik spezialisiert. Dabei arbeitete er im Kontext von Johann Joachim Winkelmann (1717–1768) und für Giovanni Battista Piranesi. Seine großformatigen Blätter geben antike Motive auf standardisierte Weise und überwiegend idealisiert wieder. Lhuillier verkaufte seine Zeichnungen oder eigenhändige Kopien in Rom an reisende Künstler und Architekten, unterrichtete diese aber auch in der Zeichenkunst und ließ dabei seine Vorlagen kopieren. Durch diese akademische Zeichenpraxis fällt es heute zum Teil schwer, zwischen eigenhändigen Blättern Lhuilliers und den Kopien seiner Schüler zu unterscheiden, die seinen Zeichenstil imitierten (siehe dazu weiterführend Essay „Stilistische Gruppen“, Gruppe 4 ).
Bénédicte Maronnie wies erstmals auf ein Zeichenkonvolut im Stil Lhuilliers in der Kunstbibliothek Berlin hin, das aus dem Nachlass von Vincenzo Pacetti (1746–1820) stammt.[3] Vormals gehörten die Blätter offenbar dem auch für Piranesi arbeitenden Bildhauer Bartolomeo Cavaceppi (um 1716–1799), der sie möglicherweise als Vorlage für den dritten Band seines Stichwerks Raccolta benutzte.[4] Unter diesen zehn in schwarzer Kreide perfektioniert gezeichneten Blättern, allesamt Motive aus dem Repertoire Lhuilliers, gibt eines den in Karlsruhe vorliegenden Fries mit dem Mann zwischen zwei gehörnten und geflügelten Löwen aus der Domus Flavia auf dem Palatin wieder (Abb. 5).
Abb. 5: Nicolas François Daniel Lhuillier oder Kopie nach Lhuillier, Fries mit einem Mann zwischen zwei gehörnten und geflügelten Löwen aus der Domus Flavia auf dem Palatin, schwarze Kreide, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Inv. Hdz. 614 Fotonachweis: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Fotograf: Dietmar Katz Im Unterschied zur schwarzen Kreidezeichnung in Karlsruhe (Abb. 3 ) ist es zwar in manchen Details weiter vollendet, hat aber durch einen offenbar routinierteren Zeichenvorgang lebendige Plastizität eingebüßt und zeigt vereinzelt auch Unterschiede. So ist der Blattfries am unteren Rand vollständig ausgeführt und der rechte Dreifuß weist an der Flammenschale einen Blütendekor auf. Ähnlich wie bei dem überarbeiteten Abklatsch im Adam-Nachlass ist am rechten Sockel ein Rankendekor angedeutet, gleichfalls sind Gesicht und Kleidung des bärtigen Mannes weniger detailreich dargestellt.
Vergleich man außerdem die Schwänze der geflügelten Löwen mit den Karlsruher Blättern, so könnte das Motiv in Berlin spiegelverkehrt, möglicherweise nach einem überarbeiteten Abklatsch von IX 5159-35-15-2 (siehe Abb. 4) ausgeführt worden sein. Dieses Vorgehen belegt Lhuilliers oben angesprochenen Umgang mit seinen Zeichnungen: Vermutlich vervielfältigte er sie selbst durch Abklatsche oder händische Kopien und ließ sie durch seine Schüler auf diese Weise kopieren (siehe dazu auch siehe dazu auch den Essay „Rosetten-Zeichnungen “.
Lhuillier publizierte das Motiv aber auch in seinem ab 1778 in Paris erschienenen Recueil d’ornements , wo es in identischer Größe mit den Karlsruher Zeichnungen als Radierung in Kreidemanier erscheint (Abb. 6).
Abb. 6: Elisabeth Brinclaire nach Nicolas François Daniel Lhuillier, Antike Fragmente aus den Kaiservillen auf dem Palatin, Radierung in Kreidemanier, in: Recueil d’ornements, 1778, Taf. 15, Paris, INHA, collections Jacques Doucet, Inv. NUM PL EST 105CC0 1.0 Als Lhuillier 1768 von Rom nach Paris ging, nahm er eine Sammlung von 500–600 Zeichnungen mit.[5] Offenbar handelte es sich dabei um Repliken jener Originalblätter, die er in Rom für verschiedene Auftraggeber gezeichnet hatte und die sich nach seiner Abreise in der Sammlung der Piranesi-Werkstatt (jetzt in Karlsruhe) oder in den Nachlässen der reisenden Künstler und Architekten (siehe zum Beispiel London, Sir John Soane’s Museum, Adam vol. 26) erhalten haben.
Ein weiteres Blatt , diesmal jedoch in Feder und bräunlicher Lavierung ausgeführt, wurde 2009 im Stockholmer Kunsthandel angeboten.[6] Dort einem italienischen oder französischen Kollegen des Dekorateurs Louis Masreliez (1748–1810) zugeschrieben, gibt es das Friesstück in identischem Ausschnitt auf rationalisierte Weise wieder. Ähnlich wie in der Karlsruher Rötelzeichnung ist nur einer der beiden Dreifüße wiedergegeben, in diesem Fall jedoch der linke. Aufgrund der ungeklärten Provenienz des Blattes kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob es auch in Rom gezeichnet wurde. Gegen eine Kopie nach dem Recueil d’ornements spricht jedenfalls, dass an der linken Schmalseite die perspektivische Krümmung des Reliefgrunds angedeutet ist, ein Element, das in der flächig projizierten Radierung nicht vorhanden ist. Stilistisch erinnert diese Zeichnung auch an zwei weitere Zeichnungskonvolute, das eine im Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum in New York,[7] das andere ehemals Teil des sogenannten sculpture Albums[8] von Sir William Stirling-Maxwell, die beide in ihren Motiven mit dem von Lhuillier und seinem Lehrer Clérisseau verbreiteten Repertoire übereinstimmen (siehe dazu weiterführend IX 5159-35-19-1 , Abb. 20 und 21).
Darüber hinaus gehörte das antike Relief aber auch zu den beliebten Motiven, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von verschiedenen Künstlern und Architekten immer wieder gezeichnet wurden. Einen etwas anderen Ausschnitt aus dem Fries zeigt etwa eine Rötelzeichnung in der National Gallery of Ireland in Dublin (Inv. NGI.6021 ), die aus einem bislang Charles-Joseph Natoire zugeschriebenen Konvolut mit Ornamentzeichnungen nach der Antike stammt.[9] Im Unterschied zu den Zeichnungen im Stil Lhuilliers ist das Motiv hier aber weniger vollendet ausgearbeitet. Eine Replik dieses Blattes befindet sich wiederum im Nachlass des französischen Architekten Pierre-Adrien Pâris in der Bibliothèque municipale in Besançon (Vol. 454, n° 253 ). Es handelt sich dabei aber nicht um einen Abklatsch, denn die Motive sind seitenrichtig zueinander angelegt. Aufgrund der nahezu identischen Anordnung, der Schattierung und stilistischen Ausführung müssen die beiden Blätter jedoch in Abhängigkeit voneinander entstanden sein. Dies führt einmal mehr die komplexe Vernetzung der zeichnenden Künstler und Architekten sowie die weite Verbreitung ihrer Zeichnungen vor Augen.
Die Karlsruher Zeichnung in schwarzer Kreide (Abb. 3 , IX 5159-35-3-1 ) fand im frühen 19. Jahrhundert Nachwirkung, als sie, wie auch viele andere Motive aus den beiden Klebealben, im Unterricht an der Karlsruher Bauschule von Friedrich Weinbrenner von dessen Schüler Heinrich Geier (1802–1857) auf Transparentpapier abgepaust wurde (Abb. 7).
Abb. 7: Heinrich Geier, Fries mit geflügelten Löwen aus der Domus Flavia, 1817–1819, schwarze Tusche auf Transparentpapier, Karlsruhe, Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai), KIT, Inv. Geier 1, fol. 106CC0 1.0 Georg Kabierske
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