Auf diesem Blatt befindet sich das Fragment einer Vorzeichnung eines ägyptischen Kamins, der in Tafel 14 der Diverse Maniere abgebildet ist (Abb. 1 und Abb. 2).
Abb. 1: Giovanni Battista Piranesi, Ägyptisierender Kamin, Radierung, in: Diverse maniere, Rom 1769, Taf. 14, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.692 CC BY-NC-SA 3.0 Abb. 2: Detailvergleich zwischen Fragment einer Vorzeichnung für einen ägyptisierenden Kamin, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-9-6v und Detail aus Abb. 1, Museumslandschaft Hessen Kassel, Kupferstichkabinett, SM-GS 6.2.692 CC BY-NC-SA 3.0 Auf diesem Blatt befindet sich das Fragment einer Vorzeichnung eines ägyptischen Kamins, der in Tafel 14 der Diverse Maniere abgebildet ist (Abb. 1 und Abb. 2). Es handelt sich um ein Papier, das für die Herstellung einer Pause im Übertragungsprozess der Komposition auf die Druckplatte benutzt wurde. Aus der kunsttechnologischen Untersuchung (siehe auch den Abschnitt Zeichnerischer Prozess und historische Nutzung ) ergibt sich, dass dieses Papierblatt kräftiger Qualität starke Ölflecken zeigt. Es scheint eher mit einem geölten Papier abgepaust als selbst vollständig geölt worden zu sein. Zur Übertragung auf die Druckplatte muss insofern eine weitere, nicht erhaltene Ölpause existiert haben (siehe Essay „Mit Öl und Wasser kopier t"). Die Serie wurde 1769 publiziert, einige Drucke waren jedoch 1767 bereits verfügbar. So ist diese in mehrfacher Hinsicht besonders aussagekräftige Zeichnung in die Mitte der 1760er Jahre und vor 1767/69 zu datieren.
Insgesamt haben sich nur zwei der fragmentarischen Vorzeichnungen für die Druckgraphiken der Kamine erhalten, und zwar neben diesem Blatt auch die Rückseite des von Georg Kabierske identifizierten Blattes im saai , Archiv für Architektur und Ingenieurbau, KIT Karlsruhe.[1]
Nach der Nutzung im Übertragungsprozess war die Zeichnung als solche nicht mehr verwendbar und wurde in der Werkstatt daher als minderwertiges Material betrachtet. Dass solche Zeichnungen dennoch zufällig erhalten blieben, liegt daran, dass leere Stellen und Rückseiten dieser bereits bezeichneten oder beschrifteten Blätter (siehe beispielsweise IX 5159-35-19-6v ) im Rahmen eines sparsamen Umgangs mit Rohmaterial (dies betrifft neben Papier auch Kupferplatten)[2] weiterverwendet und -bezeichnet wurden. In vergleichbarer Weise wurde auch auf der Rückseite von Probedrucken gezeichnet (siehe zum Beispiel IX 5159-35-28-3 und IX 5159-35-28-3v ) – ein Umstand, der ein entscheidendes Indiz für die 2014 erfolgte Identifizierung des Karlsruher-Konvoluts als Werkstattmaterial Piranesis lieferte. Das Blatt wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt dem Bukranion-Motiv (auf der heutigen Vorderseite) folgend und ohne Rücksichtnahme auf die Zeichnung des Kamins (auf der heutigen Rückseite) beschnitten (siehe Merkmale historischer Nutzung ).
Das beschnittene Blatt muss ursprünglich wenigstens so groß wie die entsprechende gedruckte Komposition von Tafel 14 gewesen sein. Solche Gesamtkompositionen von Kamindarstellungen ergänzen die isoliert stehenden Ornamente aus Piranesis Motivsammlung, die in den Karlsruhen-Alben für die römisch-antike Ornamentsprache zum größten Teil aus Lhuillier-Zeichnungen bestehen (zum Beispiel IX 5159-35-20-1 , IX 5159-35-20-2 oder IX 5159-35-1-1 ). Diese Einzelmotive wurden in dem für Piranesis typischen collageartigen Kompositionsverfahren weiterverwendet. Die daraus entstandenen Gesamtkompositionen, wie sie das vorliegende Blatt exemplarisch zeigt, stellen eine weitere Etappe bei der Umsetzung des Kamins auf die Druckplatte dar. Infolgedessen ist zu vermuten, dass für jede Drucktafel, die einen Kamin darstellt, eine solche große Vorzeichnung existierte – ein Umstand, der wiederum auf den lückenhaften Charakter des erhaltenen Werkstattmaterials aufmerksam macht. Diese Komplementarität der zwei Zeichnungstypen (einzelnen Ornamente und Gesamtkompositionen) kann an der Beziehung zwischen der Zeichnung der Dea Roma IX 5159-35-1-1 ) von Lhuillier und der Darstellung auf der Rückseite des oben erwähnten Ölpapiers im saai weiter illustriert werden. Bei dem Blatt im saai, die zur Umsetzung der Gesamtkomposition auf der Druckplatte diente, handelt es sich um ein Fragment der Vorzeichnung für den Kamin von Tafel 30. Dabei wird das Motiv der Dea Roma IX 5159-35-1-1 ) in reduzierter Form an den jeweiligen Friesabschlüssen des Kamins integriert.
Zu bemerken ist weiterhin, dass im Unterschied zum römisch-antiken Repertoire nur wenige Einzelmotive aus dem ägyptischen Kontext im bekannten Werkstattmaterial erhalten sind. Möglich ist, dass in der Werkstatt weitere solche Zeichnungen existierten. In der Literatur wurde jedoch nachgewiesen, dass Piranesi für die ägyptische Ornamentsprache ausgiebig auf antiquarische Publikationen/auf gedruckten Quellen zurückgriff.[3] Die ägyptischen und ägyptisierenden Sammlungsstücke, die im Kamin und Wanddekor von Tafel 14 erscheinen, wurden durch Ciro Salinitro identifiziert.[4] Im Unterschied zu anderen Drucktafeln gibt es unter den zahlreich erhaltenen Kamin-Zeichnungen Piranesis in der Kunstbibliothek Berlin und in der Morgan Library in New York keine, die mit diesem Kamin in Verbindung steht.[5]
Im Zeichnungsfragment (Abb. 2 ) erkennt man einen Teil der linksstehenden[6] männlichen statuarischen Figur mit ägyptischem Schurz der in der gedruckten Komposition mit einer gespiegelten identischen Figur die zentrale Konsole hält. Links davon ist ebenfalls im Profil eine kleinere, an einen Rahmen angelehnte Figur/Statue mit Löwenkopf zu erkennen sowie ein Stück einer Protome in Form eines Steinbocks. Manche Details der vereinfacht erscheinenden Zeichnung sind im Druck leicht verändert oder detaillierter dargestellt, so ist beispielsweise der gestreifte Schurz dort mit einer zusätzlichen Franse versehen. Auch sind Details wie die ornamentalen Hieroglyphen und die Muskeln präziser beziehungsweise kontrastreicher wiedergegeben, während sie in der Zeichnung durch kurze Striche recht summarisch angedeutet sind. Die Vorzeichnung zielt vor allem darauf ab, die Übertragung der Konturen der Komposition auf der Druckplatte zu ermöglichen, an denen sich der Radierer bei der Ausführung mit der Metallnadel orientieren konnte.
Eine stilistische Bewertung des Blattes ist wegen seines fragmentarischen Zustandes nur begrenzt möglich. Die kontrollierte und lineare Ausführung der Konturen differiert von Piranesis eigenhändigen Vorzeichnungen für Drucke aus derselben Serie, wie etwa das Frontispiz in Berlin (Inv. Hdz 6302 ) zeigt. Der energische und spontane Duktus des Berliner Blattes unterscheidet sich grundsätzlich von der ausgewogenen und kalkulierten Strichausführung der hier betrachteten Zeichnung. Nur selten sind die Konturen und einzelnen Details der Kaminzeichnungen mit solcher Genauigkeit wiedergegeben. Eines dieser Beispiele ist der Kaminentwurf der Morgan Library (Inv. 1966.11:89 ) mit der Darstellung eines an der inneren Seite des linken Kaminpfeilers lehnenden Fußes mit Löwenprotom.
Grundsätzlich müssen also zwei unterschiedlichen Zeichnungstypologien und ihre jeweiligen Rolle im Schöpfungs- und Ausführungsprozess der gedruckten Kompositionen unterschieden werden: Zum einen Piranesis eigenhändige, oft unvollendete und spontane Zeichnungen, in der er seine Ideen und Entwürfe für Kaminkompositionen skizzierte; zum anderen die zur Ausführung bestimmten, präziseren Vorzeichnungen wie diese, die höchstwahrscheinlich durch einen Werkstattmitarbeiter ausgeführt wurden, der den Entwurf in ein auf der Druckplatte umsetzbares „Muster“ übersetzte. Von einem solchen umsetzbaren Muster haben wir hier ein fragmentarisches Beispiel, wobei der letzte Schritt vor der Druckplatte eine im Umsetzungsprozess darauffolgende Ölpause wäre, die nicht erhalten ist.
Bénédicte Maronnie
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