Auf dieser Zeichnung ist das Relief eines antiken Sarkophags wiedergegeben: Drei geflügelte Genien, von denen zwei zu schweben scheinen, tragen auf ihren Schultern Fruchtgirlanden, von denen jeweils eine Weintraube herabhängt. In den beiden Feldern oberhalb der Girlanden zwischen den drei Genien sieht man Halbfiguren der Verstorbenen. Am unteren Rand ist das Datum 1762 notiert: es handelt sich hier um die einzige datierte Zeichnung im Piranesi-Konvolut der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.
Das antike Vorbild für diese Zeichnung befand sich ehemals im Palazzo Raggi, Via del Corso 173, Rom, und gilt heute als verschollen. In der älteren archäologischen Literatur wird der Sarkophag erwähnt und abgebildet.[1] Es handelt sich um einen Wannensarkophag, auf dessen Vorderseite sich nur die drei Knaben mit den Girlanden und den Büsten befanden. In der Zeichnung sind die beiden gerundeten Enden des Sarkophags abgerollt und das aus Girlanden, geflügelten Genien und Büsten bestehende Relief in die Fläche ausgebreitet und verlängert.
Im Karlsruher Piranesibestand existiert eine Zeichnung IX 5159-35-6-3, die als vor dem antiken Objekt skizzierte Aufnahme gedeutet werden kann. Dass das gleiche Motiv mehrmals und in Etappen auf verschiedenen Blättern gezeichnet wurde, kommt in Piranesis Werkstattmaterial wiederholt vor (siehe dazu Erläuterung in Essay „Stilistische Gruppen“, Gruppe 6) und zeugt von der Rolle des Mediums bei dem Versuch, ein Motiv (hier das Relief) zu verdeutlichen und zu inszenieren. Die hier besprochene Zeichnung wurde auf Grundlage der ersten Skizze erstellt und das Motiv in seinen Konturen deutlicher als dort dargestellt. Während sich die Zeichnung IX 5159-35-6-3 auf die Wiedergabe des Reliefs konzentriert, wird hier der Sarkophag im Ganzen ausgearbeitet und auf zwei Basisstücke gestellt.
Dabei stellt sich die Frage, ob hier zwei Zeichner mit unterschiedlichen Intentionen tätig waren. Der eine, Nicolas François Daniel Lhuillier, zeichnete das Relief idealisiert ins Reine. Der andere, vielleicht Giovanni Battista Piranesi, brachte räumliche Tiefe ein, indem er mit energischen und kräftigem Duktus das Relief als Bestandteil des Sarkophags zeigte, ganz so, wie man solche Sarkophage in den Antikensammlungen Roms aufgestellt finden konnte. Dieses Vorgehen, ein idealisiert gezeichnetes Relief nachträglich in Szene zu setzten, lässt sich auch, etwa durch die Dokumentation von Beschädigungen, bei weitere Zeichnungen aus der Piranesi-Werkstatt beobachten (siehe beispielsweise IX 5159-35-10-1; IX 5159-35-35-1).
Stilistische Gemeinsamkeiten, sowie die Darstellung der Hände, Augen und Haaren, ermöglichen die Zuordnung dieser Zeichnung in die Gruppe 5.
Georg Kabierske, Bénédicte Maronnie und Stefan Morét
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