Zu Piranesis herausragenden Werken gehören seine Marmor-Pasticci, in denen er antike Elemente mit eigenen Erfindungen kombinierte. Dazu zählt auch der nach seinem einstigen englischen Eigentümer bezeichnete “Newdigate Kandelaber”, der sich heute im Ashmolean Museum in Oxford befindet. Ein paar Seiten weiter findet sich in diesem Karlsruher Album eine detailliert ausgeführte Zeichnung dieser Skulptur, die auch als Radierung umgesetzt wurde. Auf dem hier eingeklebten Blatt studierte der uns unbekannte Zeichner ein Detail dieses zu Teilen antiken Leuchters, wobei er von der symmetrischen Komposition lediglich die linke Hälfte darstellte. In den rundlichen Aussparungen der Zeichnung links - dies kann man im Vergleich mit der Zeichnung auf Seite 46 sehen - befinden sich auf dem Kandelaber ein in sich gedrehtes Widderhorn und ein Delphinkopf.
Werkdaten
Künstler
Unidentifizierter Zeichner der Piranesi-Werkstatt, Gruppe 11
Ort und Datierung
Rom, um 1774–1776
Abmessungen (Blatt)
518 x 367 mm
Inventarnummer
IX 5159-35-44-1
- Zeichenmedien
Schwarzer Stift (Kreide) mit fetthaltigem Bindemittel; gezirkelte Blindlinien; weitere Informationen, siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Keine erkennbaren Hinweise auf eine rückseitige Bezeichnung oder Beschriftung
- Literatur
Georg Kabierske: Vasi, urne, cinerarie, altari e candelabri. Newly Identified Drawings for Piranesi’s Antiquities and Sculptural Compositions at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Francesco Nevola (Hg.): Giovanni Battista Piranesi. Predecessori, contemporanei e successori: Studi in onore di John Wilton-Ely, Rom 2016, S. 245–262, hier S. 250, Abb. 18.
- Hadernpapier
Vergé; vermutlich italienische Herstellung; Zeichnung auf der Filzseite; weitere Informationen, siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
zwei Figurenskizzen in schwarzer Kreide
Das Werk im Detail
- Kurzbeschreibung
Detailreich und mit plastischer Wirkung ist hier ein Detail des Newdigate-Kandelabers in schwarzem Stift (Kreide) dargestellt. Dabei handelt es sich um die linke Hälfte des kapitellartigen Reliefsegments mit plastischen Delphinen und Widderköpfen, die hier jedoch am linken Rand ausgespart wurden. Stattdessen wurde nur das dazwischen und tiefer liegende Flachrelief mit Muschel und vegetabilen Ornamenten festgehalten. Eine Frontalansicht dieses in der Piranesi-Werkstatt geschaffenen Marmorkandelabers ist zwei Albumblätter weiter in das Karlsruher Klebealbum eingefügt (IX 5159-35-46-1). Für eine genauere Einordnung der Detailzeichnung siehe dort das Kapitel Graphischer Transfer und mediale Umsetzung, Abb. 8–11.
Gegenwärtig erscheint es nicht möglich, die Zeichnung einem namentlich bekannten Zeichner eindeutig zuzuschreiben. In den Karlsruher Alben gibt es kein zweites Blatt, das ein Einzelelement derart differenziert, in einer derart präzisen Art und Weise mit erstaunlich dreidimensionaler Wirkung, wiedergibt. Möglicherweise handelt es sich um denselben talentierten Zeichner, der den sogenannten Dreifuß des Apoll (IX 5159-35-45-1), einzelne Elemente wie den Wildschweinkopf des Rhyton-Kandelabers (IX 5159-36-30-1) sowie die Partien in schwarzer Kreide auf der Frontalansicht des Newdigate-Kandelabers (IX 5159-35-46-1) gezeichnet hat.
Ob die Figurenstudien auf der Rückseite des Blattes (IX 5159-35-44-1v) auch von dieser Hand stammen, bleibt fraglich. Eine Gemeinsamkeit sind aber die vereinzelt besonders kräftig und kontrastreich mit dem schwarzen Kreidestift aufgedrückten Konturlinien. Auf jeden Fall muss es sich um jemanden gehandelt haben, der im unmittelbaren Umfeld von Giovanni Battista Piranesi tätig war. Zieht man die hier angeführten Vergleichsblätter in die Überlegung mit ein, handelte es sich offenbar um einen Künstler, der schwerpunktmäßig in die Produktion von Piranesis Serie Vasi, candelabri involviert war. Für die zeitliche Einordnung ist ein Entstehungsdatum in unmittelbarem Zusammenhang mit der frontalen Gesamtansicht des Newdigate-Kandelabers anzunehmen, also um 1774–1776.
Georg Kabierske
- Merkmale des Papiers
Ohne Wasserzeichen
Herstellungsmerkmale:
Ungefärbt; heller Papierton; hohe Stärke und Steifigkeit; knötchenhaltiger Faserstoff, eher grobe Stoffzusammensetzung mit zahlreichen holzigen und einzelnen metallischen Einschlüssen; ungleichmäßige Stoffverteilung; Siebstruktur kaum lesbar; prägnante Filzmarkierung; zahlreiche Gautschfalten aus der Papierherstellung (Streiflicht, Abb.); vermutlich gelatinegeleimt; gleichmäßiger Glanz durch starke Glättung der Oberfläche.
Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Schwarzer Stift (Kreide) mit fetthaltigem Bindemittel: Teils wenig deckend, in der Ausarbeitung jedoch dicht, häufig deckend, mit stellenweise kompaktem, pastosem Erscheinungsbild (Details 1 u. 2); im Reflexlicht glänzend; stellenweise verbräunte Höfe (Detail 3).
Detail 1a: Auflicht
Fetthaltiger, schwarzer Stift, deckender, furchiger StrichDetail 1b: Auflicht (Close-Up aus 1a)
Fetthaltiger, schwarzer Stift, deckender, furchiger StrichDetail 1c: Streiflicht
Fetthaltiger, schwarzer Stift, deckender, furchiger StrichDetail 1d: Streiflicht (Close-Up aus 1c)
Fetthaltiger, schwarzer Stift, deckender, furchiger StrichDetail 2a: Auflicht
Fetthaltiger, schwarzer Stift, rechts mit verbräuntem HofDetail 2b: Streiflicht
Fetthaltiger, schwarzer Stift, rechts mit verbräuntem HofDetail 3a: Auflicht
Fetthaltiger, schwarzer Stift, stellenweise mit verbräuntem Hof; holziger Einschluss (braun) u.l.Detail 3b: Streiflicht
Fetthaltiger, schwarzer Stift, stellenweise mit verbräuntem Hof; holziger Einschluss (braun) u.l.Nicht zur Entstehung der Zeichnung gehörige Farbmittel: Punktmuster aus schwarzem Kreidestaub an der linken oberen Ecke (möglicherweise Spolvero); am oberen Rand etwas Rötelstaub, flächiger auf der Rückseite u.l.
Maria Krämer
- Zeichnerischer Prozess
Die Zeichnung gibt detailliert einen Abschnitt im mittleren Teil des Newdigate Kandelabers (IX 5159-35-46-1) wieder. Der Ausschnitt des Marmorreliefs wurde achsensymmetrisch angelegt und durch eine senkrecht durchgehende Mittelachse markiert. Rechts, links und unten wurde das Feld mit durchgezogenen Linien begrenzt und eingerahmt. Möglicherweise sind diese Konstruktions- und Rahmenlinien erst spät hinzugefügt worden, da die feineren Linien der Vorzeichnung fast vollständig von den darüber liegenden Schichten bedeckt sind. Teile der Komposition – die halbrunden Formen der Muschel und der oberen Blüte sowie die runde Blüte links – wurden mit gezirkelten Blindlinien angelegt (Kartierung, Abb., zoomen Sie hier in das Blatt), die stellenweise mehrfach angesetzt wurden (Detail 4).
Detail 4: Auflicht
Gezirkelte Blindlinie, mehrfach angesetztDie Vorzeichnung wurde in mindestens einem weiteren Schritt kräftig ausgearbeitet (siehe Details 1, 2 u. 3). Speziell für die Konturen wurde er besonders satt und deckend aufgetragen. Das Strichbild erinnert stark an andere, teils auf diese Art überarbeitete Blätter der Alben, vor allem die Zeichnungen der vorgehenden Seiten, IX 5159-35-42-1 und IX 5159-35-43-1, aber auch einige überarbeitete Bereiche in IX 5159-35-26-1, IX 5159-35-27-1, IX 5159-35-40-1, die keine eindeutigen Hinweise für eine geölte Kreide zeigen. Auch Zeichnungen Piranesis in anderen Sammlungen zeigen ähnliche Zeichenmedien, vor allem die Darstellungen des Kolosseums der Kunstbibliothek Berlin (Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, Inv. Hdz 4474 und 4475).[1] Die Oberfläche des Steins im Bereich der Ornamente wurde gekonnt durch fein verlaufende Schraffuren dargestellt. Der Stift wurde dabei vor allem schraffierend eingesetzt, teils auch schummernd. Bei besonders stark ausgeformten Details überlagern mehrere Schraffuren einander in verschiedenen Winkeln, wobei die Striche der obersten Schicht kräftiger akzentuiert und mit größeren Abständen gesetzt wurden. Rechts an das zentrale Ornament schließt eine flächige Füllung mit dichten Schraffuren in unterschiedlichen Winkeln an, die den Schlagschatten des von links beleuchteten Reliefs angeben und dabei seine gemeißelte Form hervorheben. Rechts wurde ein Ausschnitt der senkrechten Blüte in einer weniger stark ausmodellierten Variante wiederholt. Dabei dient die rechte Rahmenlinie zugleich als Mittelachse für das achsensymmetrische Element. Diese Variante diente wohl der Klärung einzelner Details, so dem floralen Bindeglied zwischen den aufeinandersitzenden Blüten, das hier deutlicher die Form von Blütenblättern annimmt. Auch das nach links wachsende Kelchblatt weicht in der verschlungenen Rankenform ab. Beide Versionen des Motivs aber weichen wiederum leicht von der tatsächlichen Ausführung in Marmor ab, doch entspricht die linke Zeichnung eher den verschliffenen feinen Formen des Steins (Abb. 1). Delphine und Widderköpfe, die an den hier dargestellten Teil des Steinblocks anschließen, wurden jedoch ausgespart, die entsprechende Fläche nur durch eine zarte Schrägschraffur angegeben.
Abb. 1: Mittlerer Teil des Newdigate Kandelabers, Ashmolean Museum, Oxford
© Courtesy of the Ashmolean Museum, University of Oxford, Foto: Maria KrämerMit dem Lineal angelegte, waagrechte Linien geben teilweise die Kanten der Marmorblöcke an, teilweise scheinen sie mit senkrechten Linien eine Quadrierung zu bilden, deren Funktion nicht eindeutig zu klären ist – die Zeichnung könnte als Vorlage für einen Bildhauer oder zu Zwecken der Dokumentation gedient haben. Sie verzichtet auf die Wiedergabe vieler Details, die offensichtlich machen würden, dass es sich um eine Skulptur aus mehreren Marmorblöcken handelt; eine Zeichnung nach der Skulptur ist daher eher nicht zu vermuten.
Maria Krämer
Einzelnachweis
1. Siehe Sabine Jacob (Bearb.): Italienische Zeichnungen der Kunstbibliothek Berlin. Architektur und Dekoration 16. bis 18. Jahrhunderts, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin 1975, Nr. 861, 862, S. 170.
- Merkmale historischer Nutzung
An vier Blattkanten teilweise ungerade beschnitten; Klebespuren verso entlang der gesamten oberen Blattkante, als sehr kleine Klebepunkte entlang der linken langen Kante und in der Mitte der unteren Kante (frühere Montierung); größerer Klebstoffpunkt recto an der linken Blattkante; mittig drei fast parallele waagrechte Faltlinien; Abdruck eines Plattenrands durchgehend nahe der linken Blattkante und an den Blattkanten oben und unten nach etwa 10 cm abflachend bzw. auslaufend (Streiflicht, Abb.); zwei wenige Zentimeter tiefe Einrisse, bzw. Einschnitte am Rand.
Maria Krämer
- Prozesse historischer Nutzung
Der Umriss einer facettierten Tiefdruckplatte hat sich ungleichmäßig, aber kräftig verlaufend abgedrückt. Die Platte hatte ein größeres Format als das Papier, da sich nur zwei ihrer Ecken am linken Blattrand abzeichnen. Allem Anschein nach war die Druckplatte nicht relieffiert; anders als bei der Rötelzeichnung einer Soffitte (IX 5159-35-23-1) sind keine Blindprägungen eines radierten Motivs sichtbar. Zwei separate, mit ca. 2 cm Abstand voneinander liegende horizontale Faltungen erfolgten mit Zusammenklappen der Vorderseite, was sich aus Rötelablagerungen verso ablesen lässt, eine weitere mit Zusammenklappen der Rückseite.
Maria Krämer
- Montierungshistorie
Das Blatt weist eine breite Klebstoffspur mit anhaftenden Papierresten an der oberen, beziehungsweise rückseitig an der linken Kante auf. Zusätzlich wurden kleinere Klebepunkte entlang der langen Kanten und der gegenüberliegenden kurzen Kante gesetzt, so dass die Rückseite während dieser Montierungssituation nicht zugänglich war.
Maria Krämer
Schlagwörter
- Akanthusblatt
- Vasi, candelabri
- Schwarzer Stift
- Italienisches Papier
- Stilistische Gruppe 11
- Unidentifizierter Zeichner der Piranesi-Werkstatt
- IX 5159-35-44-1
- Newdigate-Kandelaber
- Muschel
GND-Begriffe
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