Mit Öl und Wasser kopiert
Zur Technik der Übertragungsverfahren
Maria KrämerOb bei der Umsetzung einer Teilzeichnung in eine größere Komposition, der Übertragung auf die Druckplatte oder im Austausch mit interessierten Besuchern und anderen Architekten: Übertragungs- und Kopiertechniken spielten eine wichtige und alltägliche Rolle in der Radier-, Zeichen- und Restaurierungswerkstatt Piranesis. Sie vereinfachten und beschleunigten nicht nur das Arbeiten, sondern ermöglichten auch das Aufteilen komplexer Aufgaben und das Delegieren an spezialisierte Fachkräfte. Dies war für den effizienten Ablauf in einer großen, betriebsamen Werkstatt notwendig. Unterschiedliche Kopiertechniken waren für bestimmte Arbeitsschritte besser geeignet als andere und wurden bisweilen auf die speziellen Anforderungen zugeschnitten und abgewandelt.
- Der Abklatsch
Für die im Französischen „contre-épreuve“ genannte Technik hat sich im Deutschen die Bezeichnung „Abklatsch“ etabliert. Tatsächlich beschreibt die wörtliche Übersetzung „Gegenprobe“ eindrücklicher, worum es sich bei dieser Vervielfältigungstechnik für Zeichnungen handelt. Bei dem Übertragungsverfahren entsteht durch den Kontakt der Zeichnung mit einem leeren Untergrund ein vollständiges, seitenverkehrtes Abbild. Der Abklatsch eignete sich dadurch nicht nur als einfache Kopie, sondern diente dem Künstler auch zur Kontrolle des Dargestellten und als Versuchsblatt, an dem dieses weiterentwickelt und überarbeitet werden konnte. Zudem war er ein wichtiges Hilfsmittel für die Übertragung einer elaborierten Zeichnung auf die (präparierte) Druckplatte. Hierbei war besonders vorteilhaft, dass die Spiegelung im Gegendruck in einer seitenrichtigen Druckgrafik resultierte. Manchmal diente auch der Abklatsch selbst als finales Produkt.[1] Auch war der Abklatsch als ein schnelles und sogar mehrere Male wiederholbares Verfahren ideal zur Weitergabe von Zeichnungen der bei Architekten beliebten Bauornamente. Der Abklatsch war also aus mehreren Gründen für eine auf Tiefdruck und Architekturzeichnungen spezialisierte Werkstatt außerordentlich interessant.
Technik
Verschiedene Zeichenmedien konnten mithilfe von Feuchtigkeit und Druck auf ein blankes Papier oder die Druckplatte übertragen werden. Häufig wurde Rötel verwendet, aber auch Abklatsche in schwarzer Kreide und Graphit, beides trockene Zeichenmittel ohne nennenswerten Bindemittelanteil und sogar von frischen Federzeichnung waren möglich.
Der Vorgang ist in mehreren, vorwiegend französischen Quellen beschrieben:[2] Die mit einem trockenen Zeichenmedium angefertigte Zeichnung wurde rückseitig mit einem Schwamm befeuchtet und mit der Zeichnung nach oben auf dem Bett der Tiefdruckpresse auf einer Kupferplatte als Unterlage platziert. Ein ebenfalls befeuchtetes, leeres Blatt wurde darauf abgelegt und mit mehreren Papieren abgedeckt. Anschließend wurde der Stapel durch die Presse geführt. Dabei überträgt sich nur die oberste, dünne Pigmentschicht der Zeichnung auf das frische Blatt und zeichnet sich detailliert in jedem Strich zwar blass, doch in gleichmäßiger Intensität seitenverkehrt ab. Die Verwendung einer Druckerpresse garantierte bei diesem Verfahren gute Ergebnisse, doch war sie nicht zwingend notwendig. Auch von Hand lässt sich durch Reibedruck, beispielsweise mithilfe eines Falzbeins, ein Abklatsch produzieren.
Von einer Zeichnung ließen sich eine begrenzte Anzahl zunehmend schwächerer Abklatsche herstellen: Jede Befeuchtung der Zeichnung verdichtete und fixierte das Zeichenmedium auf dem Papier und führte dadurch zu schwächeren Abdrucken. Trocken verwischte, lavierte oder zur Akzentuierung befeuchtete Bereiche übertrugen sich nur schwach (Abb. 3). Der Abklatsch eignet sich daher vor allem für trocken aufgetragene Linien. Durch Nachfahren der Linien können diese jedoch aufgefrischt werden, wodurch sich das Abklatschen öfter wiederholen lässt.
Transfer auf die Druckplatte
Wurde eine Zeichnung auf eine – wie für die Radierungstechnik benötigt – mit Firnis präparierte Druckplatte übertragen, spielen weniger die Wechselwirkungen zwischen Wasser und Zeichenmittel als vielmehr zwischen Firnis und Pigment eine Rolle. Rötel und schwarze Kreide lassen sich daher auch von geölten Papieren abklatschen[3] und haften an der gefirnissten und geschwärzten Druckplatte gut sichtbar an, wie wir in eigenen Versuchen evaluieren konnten (Abb. 4). Eine neu angefertigte Zeichnung und ihre seitenverkehrte Ölpause, nach historischen Vorlagen wie sie in der Sammlung der Morgan Library New York im Konvolut der Piranesizeichnungen erhalten sind, konnten so auf der Druckplatte zu einem Kapitell zusammengefügt werden (Abb. 5; siehe auch Essay Pause).
Nutzung
Die Verwendung der Abklatschtechnik zur Vervielfältigung ornamentaler Motive ist nicht nur in den Karlsruher Alben, sondern ebenfalls in Sammlungen anderer Architekten durch Abklatsche belegt, die in direkter Beziehung zu den Karlsruher Zeichnungen stehen. Abklatsche, die von Karlsruher Zeichnungen genommen wurden oder mit ihnen in Verbindung stehen, befinden sich im Nachlass der Brüder Adam im Sir John Soane’s Museum (Adam vol.26/96 zu SKK Inv. IX 5159-36-23-1; Adam vol.26/100 zu SKK Inv. IX 5159-35-5-2; Adam vol.26/107 zu SKK Inv. IX 5159-35-4-2; Adam vol.26/124 zu SKK Inv. IX 5159-35-13-1; Adam vol.26/125 zu SKK Inv. IX 5159-35-16-1; Adam vol.26/126 zu SKK Inv. IX 5159-35-50-1; Adam vol.26/128 zu SKK Inv. IX 5159-35-15-2 und Adam vol.26/158 zu SKK Inv. IX 5159-36-21-1), im Nachlass von Thomas Hardwick im Metropolitan Museum of Art (Acc. No. 34.78.2(69) zu SKK Inv. IX 5159-35-5-2; Acc. No. 34.78.2(71) zu SKK Inv. IX 5159-36-23-1) und im Nachlass des Züricher Architekten Hans Caspar Escher im Felsenhof (in FA Escher vG 188.6 zu Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. IX 5159-35-35-1) (siehe auch Essay „Stilistischen Gruppen", hier Gruppe 6).[4] Im Zeichenalbum des Züricher Architekten David Vogel befindet sich zudem eine Rosette, die in Karlsruhe als Abklatsch vorhanden ist (siehe auch Essay „Rosetten-Zeichnungen").[5] Die Zeichnungen wurden häufig mehr als einmal abgeklatscht, vollständig überzeichnet und weiterverwendet. Das lässt sich beispielsweise an drei Abklatschversionen der Rötelzeichnung einer Rosette und Konsole vom Tempel des Vespasian und des Titus aus der Kunsthalle Karlsruhe (siehe Katalogeintrag zu IX 5159-36-23-1), dem Hardwick-Nachlass des Met (Acc. No. 34.78.2(71)) und dem Nachlass der Adam-Brüder des Sir John Soane’s Museum (Adam vol.26/96) in London feststellen (Abb. 6): Die Karlsruher Zeichnung ist selbst ein mit Rötel überzeichneter Abklatsch.[6] Die abgeklatschten Linien sind mit denen des Hardwick-Blattes (Abb. 7) identisch. Beide Abklatsche sind demnach durch Kontakt mit derselben Zeichnung entstanden. Die Linien der Überzeichnung des Karlsruher Blatts entsprechen wiederum denen im Londoner Adam-Abklatsch (Abb. 8), der demnach vom Karlsruher Blatt genommen worden sein muss.
Zwar ist es vorstellbar, dass vollständig in Kreide entworfene Vorzeichnungen[7] mit einem einfachen Dreh durch die Druckerpresse auf die Platte übertragen wurden – auch eine kombinierte Anwendung mit der selten überlieferten Pause auf geöltem Papier ist hier möglich – die erhaltenen Blätter weisen jedoch einen auffälligen Mangel an Spuren eines Kontakts mit einer Druckplatte auf, so dass der abschließende Beleg für diese These fehlt.
Identifizierende Merkmale eines Abklatsches
Der Abklatsch ist am leichtesten durch das blasse Erscheinungsbild seines Farbmediums zu erkennen. Bei den als Vorlage dienenden Zeichnungen kommen häufig Stifte zum Einsatz, die ihr feinpulveriges Material leicht abgeben und pigmentreiche Linien produzieren. Von ihnen überträgt sich nur die oberste Schicht, was in einem schwächeren, ebenmäßigen und zudem gespiegelten Abbild der Zeichnung ohne deckenden Auftrag resultiert (Abb. 9). Daher erscheinen ursprünglich schwarze Linien in Gesamtansicht grau, Rötellinien in einem blasseren Rot. Die Farbigkeit ist einheitlich, da sich Modulationen des Strichs durch den Künstler, wie ein verstärktes Aufdrücken des Stifts zur Akzentuierung, nicht in den Abklatsch übersetzen. Bereiche, die bereits in der Zeichnung durch eine Befeuchtung fixiert wurden, übertragen sich weniger kräftig und erscheinen bisweilen als helle Aussparungen in dem ansonsten monochromen Bild.
Eindeutige Indizien für ein Abklatschverfahren sind Eindrücke von Papierkanten und Plattenrändern (Abb. 10). Eine prägnante Siebmarkierung oder auch das vertieft in der Papieroberfläche gelagerte Wasserzeichen, überträgt sich als Abbild auf den Abklatsch, wenn es sich schon in der originalen Zeichnung sichtbar abzeichnet, wie dies bei dem Karlsruher Blatt der Patera geschehen ist (Inv. IX 5159-36-21-1, Abb. 11). Unterbrechungen im Zeichenstrich, können daher ein aufschlussreiches Indiz sein, wenn sie sich im Abklatsch nicht mit der Struktur des Papiers decken, sondern versetzt zu dieser erscheinen. Auch die Siebmarkierungen beider Papiere drücken sich ineinander ab, so dass es zu Überkreuzungen der Strukturen kommen kann, die, im Streiflicht betrachtet, in unbedeckten Bereichen des Blattes hervortreten (Abb. 12).
Identifizierende Merkmale einer abgeklatschten Zeichnung
Am Erscheinungsbild der abgeklatschten Zeichnung allein lässt sich der Vorgang mit bloßem Auge nur schwer erkennen, wenn er korrekt durchgeführt wurde. Der Abtrag der Pigmentschicht im Zeichenstrich ist zu gering um feststellbar zu sein. Zudem deutet die typische Veränderung des pudrig lockeren Kreidestrichs zu einer verdichteten, glatten Linie nicht zwangsläufig auf einen Abklatsch hin, sondern kann auch das Ergebnis einer natürlichen Alterung mit Feuchtigkeitsschwankungen sein. Extensive Feuchtigkeitseinwirkung kann ein leichtes Ausschwemmen der Kreidepartikel zur Folge haben, die sich als unscharfer Schleier entlang der gezeichneten Linie absetzen; im Extremfall zeichnet sich das durch einen flächigen Pigmentschleier auf dem Blatt ab. Dies sind jedoch Indizien, die nicht exklusiv auf das Abklatschverfahren, sondern allgemein auf eine starke Befeuchtung hinweisen und daher im weiteren Kontext der Zeichnung betrachtet werden müssen. Dieser erschließt sich im Fall der Karlsruher Patera (IX 5159-36-21-1; Abb. 1, zoomen Sie hier in das Blatt) zum Teil: Von der Zeichnung wurde ein Abklatsch angefertigt, der von den Brüdern Adam erworben wurde (Abb. 2).[8] Die Zeichnung zeigt zwei Stufen der Ausführung in Rötel, die sich minimal im Farbton unterscheiden. Während beide Schichten heute deutlich verdichtet und geglättet erscheinen, weisen die Linien der oberen, helleren Schicht noch leicht gefurchte Spuren des Stifteduktus‘ aus dem Zeichnungsprozess auf (Abb. 13). Nur die untere Schicht wurde im einzigen heute bekannten Abklatsch abgebildet. Ob nach der Überarbeitung mit dem hellen Rötel weitere Abzüge hergestellt wurden, muss offen bleiben.
Verwendete Literatur:
Antoine J. Pernety: Des Herrn Pernety Handlexikon der Bildenden Künste: worinnen alles, was beym Zeichnen, Malen, Bildhauen, Kupferstechen, Stein-, Metall- und Formenschneiden, Aetzen und Gießen, üblich ist, erkläret wird: Nebst einer practischen Abhandlung von den verschiedenen Arten zu malen, Berlin 1764.
Abraham Bosse: Die Kunst in Kupfer zu stechen: sowohl vermittelst des Aetzwassers als mit dem Grabstichel; insgleichen die sogenannte schwarze Kunst, und wie die Kupferdrucker-Preße nach ietziger Art zu bauen und die Kupfer abzudrucken sind, Dresden 1765.
Sabine Weller: Maria Sibylla Merian. Einige Beobachtungen zu ihrem Werk. In: Michael Roth, Magdalena Bushart, Martin Sonnabend (Hg.), Catalina Heroven (Mitarb.): Maria Sibylla Merian und die Tradition des Blumenbildes von der Renaissance bis zur Romantik, München 2017, S. 161–166.
Einzelnachweis
1. Maria Sibylla Merians Raupenbücher von 1679 und 1683 existieren neben einer Ausgabe mit Kupferstichen auch in einer Ausführung als kolorierte Umdrucke. Siehe Sabine Weller: Maria Sibylla Merian. Einige Beobachtungen zu ihrem Werk, in: Michael Roth/Magdalena Bushart/Martin Sonnabend (Hg.)/Catalina Heroven (Mitarb.): Maria Sibylla Merian und die Tradition des Blumenbildes, München 2017, S. 161–166.
2. Abraham Bosse: Die Kunst in Kupfer zu stechen, Dresden 1765, S. 87ff, (eingesehen am 31.08.2021); Antoine J. Pernety 1764, Des Herrn Pernety Handlexikon der Bildenden Künste (Dictionnaire portatif de peinture, sculpture et gravure), Berlin 1764, Teil 2, S. 103, (eingesehen am 31.08.2021).
3. Bosse beschreibt den Abklatsch von einem geölten, Pernety sogar von einem gefirnissten Papier. Siehe Anm. 2.
4. Die Entdeckung der Verbindung zwischen den Karlsruher Zeichnungen und dem Nachlass der Brüder Adam sowie Thomas Hardwick gelang Georg Kabierske, siehe dazu Georg Kabierske: A Cache of Newly Identified Drawings by Piranesi and His Studio at the Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, in: Master Drawings 53, 2015, S. 147–178, hier S. 159; Georg Kabierske: Römische Lehrjahre. Zum Zeichnen und Sammeln von Bauornamentik in Rom in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, 2 Bde., Universität München 2020, Masterarbeit (unpubliziert), S. 33, 39–43. Den Zusammenhang mit dem Nachlass von Hans Caspar Escher und David Vogel (sog. Vogel-Escher Album) erkannte Bénédicte Maronnie, siehe: Bénédicte Maronnie mit Christoph Frank/Maria Krämer: Nouvelle lumière sur l’album de dessins Vogel-Escher de la Zentralbibliothek de Zurich. Copies et circulation de dessins d’architecture et d’ornements dans l’entourage de Johann Joachim Winckelmann, Giovanni Battista Piranesi et Nicolas François-Daniel Lhuillier, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 76, 2019, S. 19–44, hier S. 32.
5. Freundlicher Hinweis von Bénédicte Maronnie.
6. Von dem Motiv existieren zudem weiter per Hand gezeichnete Kopien, die auf diese Abklatschserie zurückzuführen sind, siehe Georg Kabierske: Römische Lehrjahre. Zum Zeichnen und Sammeln von Bauornamentik in Rom in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, 2 Bde., Universität München 2020, Masterarbeit (unpubliziert), 2. Fallstudie, S. 40–42.
7. In Betracht käme die Vorzeichnung eines oktogonalen Raums in den Bädern der Hadriansvilla in Rötel, Metropolitan Museum und fragmentierte Vorzeichnungen zu Veduten der Ecole des Beaux Arts Paris (EBA264 verso; EBA267 verso)
8. Zu den sogenannten Adam travel drawings im Sir John Soane’s Museum siehe Alan A. Tait: The Adam Brothers in Rome. Drawings from the Grand Tour. London 2008, S. 126.
- Die Pause
Mittels des manuellen Verfahrens der Pause (Abb. 1) kann eine Zeichnung in den Konturen nachgefahren und so größengleich dupliziert werden. Diese vielseitige Kopiertechnik erlaubt je nach Anwendung eine spiegelverkehrte Übertragung der Zeichnung, aber auch eine Überarbeitung der Zeichnung durch Korrektur der Linien beim Pausvorgang. Zwei Varianten sind grundsätzlich möglich, die je nach Anforderung ausgewählt und variiert wurden: eine direkte und eine indirekte Methode.
Technik
Die direkte Pause wird mithilfe eines Stifts durchgeführt, der eine Spur auf dem Pauspapier, jedoch nicht auf der Vorlage hinterlässt. Für diesen Zweck wurde ein transparentes Papier auf der Vorlage befestigt, was in der Regel mit Stecknadeln geschah. Spuren von Stecknadeln im Zusammenhang mit einem Pausverfahren sind an zahlreichen Blättern des Karlsruher Konvoluts zu finden (beispielsweise Lyde-Browne-Vase, IX 5159-35-39-1). Einzelne, heute stark vergilbte und wieder opak gewordene Blätter in den Sammlungen der Karlsruher Kunsthalle (Abb. 2), des saai (Abb. 3) und der Morgan Library (Zeichnung und Ölpause, Abb. 4) bezeugen die Verwendung von geölten Papieren zur Anfertigung von Pausen in der Piranesi-Werkstatt. Dieses Vorgehen, bei dem ein übliches Vergépapier mit Öl getränkt wird, ist bereits mehrere Jahrhunderte zuvor bei Cennino Cennini (ca. 1370–ca. 1440) beschrieben.[1] Auch die Verwendung gefirnisster Papiere ist durch Quellenüberlieferungen belegt.[2] Vermutlich wurden in der Piranesi-Werkstatt jedoch selbst Ölpapiere hergestellt, da die Materialien jederzeit zur Hand waren und so nach Bedarf spontan verwendet werden konnten. Welche Art von Öl genutzt wurde, muss dabei offen bleiben. Leinöl und Walnussöl waren höchstwahrscheinlich in der Tiefdruckwerkstatt vorhanden, da sie bei der Herstellung von Ätzgrund und Druckfarbe Verwendung fanden;[3] Olivenöl kam bei der Herstellung von Abdeckmasse[4] für die Stufenätzung zum Einsatz. Anhand der wenigen überlieferten Papiere ist nicht erkennbar, dass besonders dünne Qualitäten, wie in den Quellen empfohlen, verwendet wurden.[5] Die Auswahl wirkt stattdessen eher spontan und könnte nach Verfügbarkeit der Papiere getroffen worden sein.
Im Falle der überlieferten Zeichnungen in der Morgan Library New York (Abb. 4) lässt sich der Ablauf gut nachvollziehen, da ein vollständiges Set aus Zeichnung und doppelseitig bezeichneter Pause erhalten ist: Mithilfe eines geölten Papiers (verso, Mitte) wurde die linke Hälfte des Kapitells einer Zeichnung (oben) abgepaust. Das geölte Papier wurde gewendet und das durchscheinende, gespiegelte Motiv auf die Vorderseite des Ölpapiers übertragen (unten). Griffelspuren (Abb. 5) und Abdrücke in Rötel auf dem geölten Papier belegen, dass die Pause anschließend an die gezeichnete Vorlage angelegt wurde (Abb. 6), um die rechte Seite des Kapitells in die heute beschnittene Zeichnung mit dem indirekten Pausverfahren zu übertragen.
Das indirekte Pausverfahren, bei dem mithilfe eines spitzen Gegenstands, eines Griffels oder einer stumpfen (Radier-)Nadel die Linien nachgezogen wurden, war neben dem Abklatsch die geläufigste Methode, eine Pause weiter zu übertragen, auch für die Übertragung auf eine Druckplatte. Die Ölpause konnte – wurde sie mit einem trockenen Zeichenmedium wie Rötel oder schwarzer Kreide ausgeführt – umgedreht und von der Rückseite aus nachgefahren werden. Dabei entstand eine gespiegelte Kopie der Vorlage, die im Druck wieder seitenrichtig abgebildet werden konnte, wie auf den Blättern der Morgan Library überliefert. Da nur dort Pigment übertragen wird, wo sich auf der vorderseitigen Zeichnung eine Linie befindet, musste die Zeichnerin oder der Zeichner darauf achten, diesen beim Pausen von der Rückseite zu folgen. Diente hingegen ein mit Pigmentstaub eingeriebenes Blatt (das konnte entweder die Rückseite der Vorlage oder ein weiterer Bogen Papier sein) als Übertragungsvermittler, war es möglich, Linien bei der Übertragung zu variieren. Eine Vorlage auf opakem Papier konnte nur von der Vorderseite aus auf einen anderen Bildträger durchgegriffelt werden. War die Rückseite der Vorlage mit Pigmentstaub bedeckt, entstand auf dem darunter liegenden Papier eine seitenrichtige Kopie. Verwendete man ein zusätzliches mit Pigmentstaub eingeriebenes Papier, konnte man sowohl eine seitenrichtige als auch eine gespiegelte Kopie erhalten, je nachdem in welcher Reihenfolge man dieses mit dem leeren Papier unter die Vorlage legte. Diese Methode konnte sehr variantenreich eingesetzt werden, da man nicht auf das Transparentpapier als Träger für die Pause angewiesen war.
Nutzung
Die Nutzung von Pausverfahren lässt sich anhand des Karlsruher Konvoluts in unterschiedlichsten Anwendungen nachvollziehen. Sie reicht von der Spiegelung achsensymmetrisch angelegter Ornamente, bis zur Neukomposition einzelner Bildelemente. Ersteres lässt sich am Beispiel der Zeichnung einer Aschenurne (Abb. 7) demonstrieren, in der die gepausten Linien blass erscheinen und sich mehrfach leicht verschoben abgebildet haben (Detail rechts). Zudem zeigen flächige Ölflecken (deutlich erkennbar in der UVF-Abbildung unten) an, wo das geölte Papier aufgelegt wurde. Bei der Zeichnung Bacchus, tanzende Mänade und Satyr (Abb. 8) wurden mehrere Figuren von zwei Zeichnungen in einer neuen Reihenfolge zusammengefügt. Die Figuren stammen von unterschiedlichen antiken Vorlagen und erscheinen in dieser neuen Zusammenstellung auf einer von Piranesi an Sir Edward Walter verkauften Vase. Ausgehend von den Evidenzen an den Karlsruher Blättern waren Pausverfahren die bevorzugte Übertragungstechnik der Zeichnungen auf die Druckplatten im Spätwerk Piranesis: Mehrere vorbereitende Zeichnungen für die Vasi, candelabri weisen Spuren einer Übertragung mittels geöltem Papier auf, wie u.a. die Vorzeichnung zur Radierung der Lyde Browne-Vase (Abb. 9).Dass die Zeichner der Werkstatt flexibel und kreativ mit dem Pausverfahren umgingen, zeigen zwei Beispiele des Karlsruher Konvoluts, bei dem ein auf ein geöltes Papier abgepaustes Muster abgerieben wurde, um es zu übertragen – ein zeitsparendes und effizientes Vorgehen: Statt die Linien der Pause mit einem Griffel akribisch nachzufahren, bediente man sich einer Abwandlung des Abklatschverfahrens, indem man ein breites Werkzeug – beispielsweise ein Falzbein – von der Rückseite aus mit Druck über das geölte Papier bewegte und dadurch punktgenau die Zeichnung der Vorderseite (sowie Öl) übertrug. Bei der Zeichnung eines Sarkophagreliefs (Abb. 10) wurde die Lorbeergirlande der Darstellung in Rötel abgepaust. Sie erscheint gleich zweimal auf der Rückseite (Abb. 11): als durchgegriffelte Pause und als Abrieb der Pause (unten). Spuren einer analogen Vorgehensweise sind auf der Zeichnung mit einer Architekturfantasie zu sehen (Abb. 12). Hier weisen die in unterschiedliche Richtungen verlaufenden Reibespuren darauf hin, dass zuerst die Zeichnung abgerieben und der Abrieb erneut auf das Papier übertragen wurde. Vielleicht wurde das Verfahren an dieser Stelle getestet, um es an anderem Ort anzuwenden (möglich auch zur Übertragung auf die Druckplatte), denn die Rötelpause eines Friesmusters stammt von dem Bauch einer Urne und taucht auf dem Titelblatt von Band 2 des Radierwerks Vasi, candelabri in gleicher Form dort auf.
Identifizierung
Die am häufigsten zu beobachtenden Spuren an den Zeichnungen sind Ölflecke in Kombination mit Stecknadeleinstichen. Die Ölflecke können unterschiedlich stark ausgeprägt sein, sind jedoch oftmals flächig über das Motiv verteilt und können auch in schwacher Form mithilfe von UV-Strahlung sichtbar gemacht werden. Am offensichtlichsten ist der Kontakt mit geöltem Papier, wenn sich von diesem klar begrenzte Kanten abzeichnen (siehe Abb. 9). Stecknadeleinstiche als Indizien für eine Fixierung erleichtern die Interpretation der Flecke, die sich auch durch eine längere gemeinsame Lagerung abzeichnen können, da an den Einstichen häufig verstärkt Öl absorbiert wird, wie hier bei der Zeichnung einer Säule mit Blattwerk und bärtiger Schlange (Abb.13).
Gezeichnete Pausen auf Ölpapier können wie freie Zeichnungen anmuten, sind jedoch eindeutig an ihrem inzwischen verbräunten Papierträger identifizierbar. Indirekt übertragene Pausen sind leicht erkennbar, da sich bei diesem Vorgang nur eine dünne Pigmentschicht überträgt. Druckvariationen in der Stiftführung drücken sich nicht wie bei einer Zeichnung durch breitere Linien und kräftigeren Auftrag aus, weshalb gepauste Linien einheitlich breit und schwach erscheinen
Einige Karlsruher Zeichnungen tragen Spuren von einer gemeinsamen Lagerung mit Ölpausen. Daraus lässt sich schließen, dass diese nicht sofort entsorgt wurden. Dennoch sind erhaltene Ölpausen rar. Zum einen waren sie aufgrund ihrer natürlichen Alterungsprozesse in Kombination mit einer stärkeren mechanischen Beanspruchung stärker dem Verfall ausgesetzt. Zum anderen waren sie aufgrund ihrer Funktion als „Hilfszeichnung“ für die Weiterverwendung außerhalb des Werkstattzusammenhangs unattraktiv. Bei der Analyse der Pausverfahren ist man daher auf die unterschiedlichen Indizien an den heute noch erhaltenen Vorlagen der Pausen angewiesen. Bei der Zeichnung eines Reliefs aus der Gartenfassade des Palazzo Barberini erscheinen beispielsweise Griffelspuren als zusätzliche Blindlinien in der Zeichnung (Abb. 14). Dort wurde ebenfalls die Rückseite der Zeichnung durch flächige Schraffuren mit einem Stift geschwärzt (Abb. 15).
In zwei Fällen zeugen zufällige Abdrücke durchgegriffelter Pausen von einer gemeinsamen Lagerung von Vorlage und Pause: Jeweils auf den Rückseiten der Zeichnungen der Stowe-Vase (siehe auch Vorderseite) und des Rhyton-Kandelabers hat sich das Rötelpigment einer Pause durch längeren Kontakt wie ein Stempel auf die Blätter abgedrückt und dokumentiert das abgepauste Motiv. Durch Verrutschen erscheint es dort heute in mehrfachem Abdruck, hier beispielhaft an der Zeichnung des Rhyton-Kandelabers dargestellt (Abb. 16). Möglicherweise wurde das Verfahren angewandt, um mithilfe einer Rötelpause Teile der Zeichnung direkt auf die Druckplatte zu übertragen, unter anderem die Kannelierung des säulenförmigen Mittelteils (Abb. 17). Die Abdrücke der in Rötel gepausten Linien (Abb. 19) befinden sich auf der umseitigen Zeichnung (Abb. 18) an zwei Stellen.
Historische Quellen:
Abraham Bosse: Die Kunst in Kupfer zu stechen: sowohl vermittelst des Aetzwassers als mit dem Grabstichel; insgleichen die sogenannte schwarze Kunst, und wie die Kupferdrucker-Preße nach ietziger Art zu bauen und die Kupfer abzudrucken sind, Dresden, 1765. https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bosse1765Lara Broecke: Cennino Cennini's Il libro dell'arte: A New English Translation and Commentary with Italian Transcription, London 2015.
Literatur:
Georg Kabierske: Weinbrenner und Piranesi. Zur Neubewertung von zwei Grafikalben aus dem Besitz Friedrich Weinbrenners in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, in: Brigitte Baumstark/Joachim Kleinmanns/Ursula Merkel (Hg.): Friedrich Weinbrenner, 1766–1826, Architektur und Städtebau des Klassizismus, Ausst. Kat. Karlsruhe, Städtische Galerie und Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Petersberg 2015, S. 75–87.Bénédicte Maronnie mit Christoph Frank/Maria Krämer: Nouvelle lumière sur l’album de dessins Vogel-Escher de la Zentralbibliothek de Zurich. Copies et circulation de dessins d’architecture et d’ornements dans l’entourage de Johann Joachim Winckelmann, Giovanni Battista Piranesi et Nicolas François-Daniel Lhuillier, in: Schweizerische Zeitschrift für Archäologie und Kunstgeschichte 76, 2019, S. 19–44.
Weiterführende Literatur:
Bonizza Giordani Aragno: L'aquaforte e Piranesi. In: Piranesi. Nei luoghi di Piranesi, Rom 1979.
Henri Focillon: Giovanni-Battista Piranesi 1720–1778, Universität Paris, Dissertation, Paris 1918.
Carlo Alberto Petrucci: La tecnica del Piranesi, in: Rassegna dell'Istruzione artistica, 12, 1934.
Einzelnachweis
1. Cennini beschreibt die Verwendung von gekochtem Leinöl. Cennini XXVI. In: Lara Broecke: Cennino Cennini's Il libro dell'arte: A New English Translation and Commentary with Italian Transcription, London 2015, S. 46.
2. Abraham Bosse: Die Kunst in Kupfer zu stechen, Dresden 1765, S. 86. Das Herstellen transparenter Papiere mittels venezianischem Firnis, der aus Terpentin und Terpentinöl gemischt wurde, ist etwas aufwändiger und benötigt zwingend einen Trocknungsschritt, da das Papier durch den feuchten Firnis klebrig wird. Das Papier gewinnt durch den Vorgang ebenfalls an Härte, wodurch es die Weiterverwendung für Übertragungsverfahren weiter einschränken könnte.
3. Ebd., S. 4ff.
4. Ebd., S. 7.
5. Im Fall von Hans Caspar Escher, der in Rom bei Friedrich Weinbrenner Zeichenunterricht nahm, findet diese Empfehlung Anwendung. In dessen Nachlass in der Zentralbibliothek Zürich sind sowohl Pausen auf geölten oder gefirnissten, dünnen italienischen Papieren, als auch auf Postpapier, besonders dünnem Papier, auf dem Briefe verfasst wurde, um sie mit der Post zu verschicken, ausgeführte Zeichnungen – oder Pausen – in Feder erhalten (ZBZ, FA Escher vG.188.6; Beispiele abgebildet auf S. 31f. in: Bénédicte Maronnie mit Christoph Frank/Maria Krämer: Nouvelle lumière sur l’album de dessins Vogel-Escher de la Zentralbibliothek de Zurich. Copies et circulation de dessins d’architecture et d’ornements dans l’entourage de Johann Joachim Winckelmann, Giovanni Battista Piranesi et Nicolas François-Daniel Lhuillier, in: Schweizerische Zeitschrift für Archäologie und Kunstgeschichte 76, 2019, S. 19–44).
GND-Begriffe
Permalink | piranesi.kunsthalle-karlsruhe.de/de/essay/2/Mit-oel-und-Wasser-kopiert
Der Permalink führt Sie immer zur neuesten Version des Beitrags.Zitierfähiger Link | piranesi.kunsthalle-karlsruhe.de/de/essay/2/Mit-oel-und-Wasser-kopiert/1
Mit dem zitierfähigen Link können Sie zukünftig auf diese Inhalte zugreifen, ohne dass Änderungen am Text vorgenommen wurden.
Kommentare
Hier können Sie uns Anmerkungen und Kommentare zu unseren Objekten hinterlassen, die nach Sichtung durch unsere Mitarbeiter*innen allen Leser*innen angezeigt werden.