Eine Tabula ansata ist eigentlich eine rechteckige Inschriftentafel mit eckigen Ansätzen an den Seiten, deren Form in der römischen Antike sehr verbreitet war. Auf der hier gezeichneten Tafel ist allerdings keine Inschrift, sondern eine ornamentale Darstellung zu sehen: Vor einer Girlande spielen zwei kleine geflügelte Liebesgötter mit Adlern, in ihrer Mitte befindet sich eine Maske. Ungewöhnlich für die Blätter der Karlsruher Alben ist die komplexe Zeichentechnik. Über einer Vorzeichnung in schwarzer Kreide wurde zunächst mit einer Feder gezeichnet, anschließend wurde mit einem Pinsel und unterschiedlich verdünnter Tusche in Grau und in Braun eine Lavierung aufgesetzt. Das Blatt erhält so einen recht malerischen Charakter. Möglicherweise wurde es von Piranesis Sohn Francesco gezeichnet, der die Werkstatt nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1778 übernahm.
Werkdaten
Künstler
Francesco Piranesi (1756?–1810) (?), Gruppe 12
Ort und Datierung
Rom, Ende der 1770er oder Anfang 1780er Jahre (?)
Abmessungen (Blatt)
122 x 306 mm
Inventarnummer
IX 5159-35-18-5
- Zeichenmedien
Feder in Braunschwarz (Eisengallustinte), mit Pinsel mehrstufiger Brauntönung und Grau (Kohlenstoff) laviert, über Vorzeichnung in schwarzer Kreide; mit Pinsel in weiß korrigiert; weitere Informationen siehe: Merkmale der Zeichenmedien
- Beschriftungen
Keine
- Literatur
Unpubliziert
- Hadernpapier
Vergé; vermutlich italienische Herstellung; Zeichnung vermutlich auf der Filzseite; weitere Informationen siehe: Merkmale des Papiers
- Rückseite
Keine erkennbaren Hinweise auf eine rückseitige Bezeichnung oder Beschriftung
Das Werk im Detail
- Merkmale des Papiers
Ohne Wasserzeichen
Herstellungsmerkmale:
Ungefärbt; mittlere Stärke; äußerst feine, gleichmäßige Siebstruktur (14–15 Bodendrähte pro Zentimeter), ausgeprägte Filzmarkierung, gelatinegeleimt (siehe Abb. UVF); manuell geglättet (deutlicher Oberflächenglanz)
Weitere Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer
- Merkmale der Zeichenmedien
Schwarze Kreide (Detail 1): Überwiegend zart und mit schmaler Strichbreite aufgetragen; graues Gesamtbild; feinste Pigmente haben sich vor allem vor den Fasern angelagert.
Detail 1: Vorzeichnung in schwarzer Kreide sichtbar in freien Bereichen und unter den heller lavierten Bereichen Feder in Braunschwarz (Eisengallustinte): Variables Auftragsbild, teils tiefschwarz und in die Papieroberfläche eingesogen mit teils krustigem Erscheinungsbild, dort auch mit leichter Hofbildung um die Linien (Detail 2), in dünneren Auftragsbereichen braun mit schwarzen Partikeln; UV-Strahlung auslöschend (UVF); rötliche Tönung im IR-Falschfarbenbild (Detail 3).
Detail 2: Lavierte Bereiche; Feder in Braunschwarz teils mit bräunlichen Höfen um den Strich (Faltenwurf unten rechts) Detail 3: Ausschnitt links unten, VIS-Aufnahme (links) im Vergleich mit der IRFC-Aufnahme (rechts). Lavierung in Grau (1 in der Kartierung in Abb. 1): Dünner, gleichmäßiger Auftrag als erste Lavierungsstufe in der gesamten Darstellung innerhalb der Tabula zur Modellierung eingesetzt; teilweise unter den braunen Partien (1+2 in der Kartierung in Abb. 1) mit feinsten schwarzen, weit verstreuten Partikeln, hindurchscheinend; gleichmäßig graues Erscheinungsbild auf allen MSI-Aufnahmen.
Abb. 1: Kartierung zur Identifizierung der unterschiedlichen Farbmittel der Lavierungen Lavierungen in warmem Braun (2 und 3 in der Kartierung in Abb. 1): Mehrstufiger Auftrag (drei unterscheidbar), teils in unterschiedlichen Verdünnungsstufen eingesetzt: Zur Ausmodellierung der Figuren und Grundierung des Hintergrunds hell- und mitteltonig (2 in der Kartierung); innerhalb der Tabula, teils mit grauer Lavierung überlagernd eingesetzt; im Schlagschatten der Tabula und den tiefen Schattierungen der Figuren dunkler (3 in der Kartierung),dort leicht glänzend durch einen hohen Anteil an Bindemittel; davon unterscheidbar:
Lavierung in kühlerem, gebrochenem Braun (4 in der Kartierung in Abb. 1): In den Schattierungen der Figuren genutzt, zum Beispiel in der Schattierung der Girlande: erscheint im VIS in einem gebrochenen, kühlen Farbton, behält im IRFC einen kühl bräunlichen Farbton bei und ist von den flächig aufgetragenen warmbraunen Lavierungen zu unterscheiden (Detail 3), die im IRFC-Bild rötlich erscheinen: Feder in Eisengallustinte erscheint rötlich, ebenso die warmbraunen, zweistufigen Lavierungen außerhalb der Tabula; neutral graue Bereiche, die leicht mit Pinsel in warmem Hellbraun überlaviert wurden, erscheinen leicht rötlich.Weitere Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer
- Merkmale historischer Nutzung
Das Blatt ist an allen vier Kanten beschnitten, alle vier Ecken sind beim Ablösen von einer früheren Montierung ausgerissen. Links oben und am rechten Rand haftet der Rest eines Transparentpapiers aus dem 19. Jahrhundert (Weinbrennerschule, Detail 4) an. Von dieser Befestigung könnte ebenfalls der Einriss mit Klebstoffresten am oberen Rand rechts stammen.
Detail 4: Rest eines Transparentpapiers aus der Nutzung in der Weinbrennerschule (obere linke Ecke) Weitere Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer
- Zeichnerischer Prozess und historische Nutzung
Die Zeichnung gehört zu einer der wenigen, komplex lavierten Federzeichnungen innerhalb der Alben und ähnelt in der Nutzung der Zeichenmedien einer Gruppe von Figurenzeichnungen (IX 5159-36-4-3, IX 5159-36-4-4; IX 5159-36-4-5; siehe Essay „Gruppe figürlicher Zeichnungen“) im zweiten Album. Der Federzeichnung in Eisengallustinte liegt eine feine Zeichnung in schwarzer Kreide zugrunde, die bei der Ausarbeitung fast vollständig überdeckt wurde. Wo sie durch halbtransparente Lavierungen hindurchscheint, ist zu erkennen, dass die Striche suchend und mehrfach korrigierend gesetzt wurden, bevor der Zeichner die finalen Konturen mit Feder anlegte. Mithilfe teils mehrstufiger Lavierung in verschiedenen Zeichenflüssigkeiten wurden Licht- und Schattenpartien angegeben. Die Lavierungen beinhalten eine kohlenstoffbasierte Rußtusche (graue Bereiche innerhalb der Tabula), Eisengallustinte (kühl dunkelbraune Bereiche in den Schattierungen der figürlichen Anteile der Zeichnung, diese eventuell mit Beimischung von kohlenstoffbasierter Tusche) und vermutlich Bistertuschen (warmbraue Partien innerhalb und außerhalb der Tabula, zur Modellierung der Figuren und die Flächen der Tafel sowie den Hintergrund eingesetzt). Es wurde dabei von hell nach dunkel gearbeitet: Zuunterst liegen Lavierungen in Grau, die im Bereich der glatten Tafel vollständig mit einem hellbraunen Pinsel überarbeitet wurden. In Partien der Figuren wurden einzelne Striche singulär stehen gelassen, bevor mit einem warmbraunen Pinsel kräftig weite Bereiche schattiert wurden – das Licht wird in dieser Zeichnung von rechts unten auf die Darstellung gelenkt. Mit einem noch kräftigeren, satten Warmbraun wurden anschließend die tiefsten Schattenpartien gesetzt. Mit einer anders zusammengesetzten Tusche wurden weitere Schattierungen ergänzt – diese sind vor allem im IR-Falschfarbenbild zu unterscheiden, wo sie im Gegensatz zu den warmen Brauntönen nicht rötlich verfärbt erscheinen. Bei diesen letzten Schritten ist die Reihenfolge des Auftrags nicht eindeutig nachzuvollziehen, möglicherweise waren die Farbmittel in der Ausmodellierung der Figuren wechselseitig im Einsatz.
Ein Korrekturen belegendes Detail legt die UVF-Aufnahme der MSI-Bilder offen: Die Felder unter der mittleren Girlande und in der rechten Ecke erscheinen hier vollständig schwarz trotz hellem Erscheinungsbild im VIS. Im Durchlicht erkennbar ist ein deckender Auftrag (der Bereich erscheint dunkel). In IRFC sind rötliche, verwischte Strichspuren unter der im VIS graufarbigen Überdeckung erkennbar. Möglicherweise hat der Zeichner eine zuvor mit eisenhaltiger Zeichentinte bearbeitete Fläche durch Beimischung eines deckenden, weißen Farbmediums in einer darübergelegten Lavierung zu überdecken gesucht.
Die Zeichnung wurde in der Weinbrennerschule im Unterricht als Vorlage genutzt. Fragmente von Transparentpapieren auf der Vorderseite verweisen auf einen oder auch mehrere Pausvorgänge, bei dem diese Papiere auf der Zeichnung fixiert wurden.
Interessant ist ebenfalls eine Kontaktverfärbung des aufliegenden Albumpapiers in Form der Zeichenmedien: Die in braun lavierten Bereiche erschienen dunkler, der Rahmen der Tabula und Schattierungen erscheinen geringfügig verbräunt, die mit Feder gezogenen Konturen erscheinen hingegen hell (Abb. 2).
Abb. 2: Kontaktverfärbung des auf der Zeichnung liegenden Albumpapiers Weitere Informationen zu den Fachbegriffen finden Sie im Glossar.
Maria Krämer und Irene Brückle
Schlagwörter
- Italienisches Papier
- Schwarze Kreide
- Eisengallustinte
- Stilistische Gruppe 12
- Girlande
- Tabula ansata
- Adler
- Bister
- IX 5159-35-18-5
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